Streit ist unvermeidlich und ein fester Bestandteil des menschlichen Miteinanders. Mit dieser wenig überraschenden Feststellung beginnt Jörg Phil Friedrich seinen jüngsten Essay "Richtig streiten". Ob in Talkshows, politischen Debatten, in der Familie oder unter Freunden – täglich prallen unterschiedliche Standpunkte aufeinander. Kein Wunder also, dass sich derzeit viele mit der Streitkultur beschäftigen.
Nach Ansicht des Autors geht es beim Streiten entgegen der landläufigen Meinung nicht darum, den anderen mit Fakten zu überzeugen, sondern darum, die eigene Weltsicht verständlich zu machen – so die zentrale These zu Beginn des Buches. Den häufig geäußerten Wunsch, Streitgespräche weniger emotional und sachlicher zu führen, bezeichnet Friedrich demnach als "unvernünftig".
Seiner Analyse nach sind persönliche Erfahrungen und Vorstellungen von der Welt gewissermaßen die DNA von Streitgesprächen. Das führt ihn zu der Antwort auf die Frage, die der Buchtitel aufwirft: Richtig streiten bedeutet, echtes Interesse am Gegenüber zu zeigen und nach den Gründen für dessen Sichtweise zu fragen. Umgekehrt sollte auch das Gegenüber bereit sein, die eigenen Standpunkte und Motivationen für seine Position zu erläutern.
Warum streiten wir überhaupt?
Diese Sichtweise führt laut Friedrich zu einem tieferen Verständnis der unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründe, die einen Standpunkt prägen. Meinungen ändern sich nicht abrupt, sie werden erschüttert oder weiterentwickelt durch die Begegnung mit einer anderen Perspektiven. Meist geschehe das jedoch erst nach dem Gespräch, in einer Phase der Reflexion. Daraus folgt, dass nicht jede Sichtweise für den anderen nachvollziehbar sein muss. Doch mit jeder Erklärung wächst das gegenseitige Verständnis.
Diese Überlegungen leiten elegant zur zweiten Frage über, die am Ende des Buches behandelt wird: Warum streiten wir überhaupt? Streit setzt Impulse frei. Er ermutigt dazu, nach gemeinsamen Nennern zu suchen, und eröffnet Perspektiven auf die dahinterliegenden Beweggründe, Sorgen, Hoffnungen und Erfahrungen. Durch den Streit wird der Einzelne in seinem Umgang mit der Welt bestätigt oder irritiert, ebenso in der Art, wie er sich in ihr eingerichtet hat.
Friedrich zufolge sind derartige Streitgespräche deshalb für das tägliche Miteinander wichtiger als der Austausch von bloßen Fakten. Diese sind oft unstrittig. Strittig ist, wie die Fakten zu einem Weltbild werden und was aus ihnen folgen sollte, sowie deren Bewertung. Friedrich fordert daher eine neue Logik des Streitens, die Widersprüchlichkeiten in Meinungen nicht kalt analysiert, sondern als Hinweise auf Diskrepanzen zwischen erhofftem Ideal und realem Weltbild begreift.
Fazit: kurzweilig, gut lesbar und durch aktuelle Beispiele nah an der Lebensrealität.
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