Es sind Zeiten, in denen wir verzagen könnten. Auf einmal sollen wir "kriegstüchtig" werden, die Feindbilder scheinen glasklar zu sein, und es werden wieder Heldenmut und Tapferkeit gepriesen. Hat es Christen, friedensbewegten Menschen die Sprache verschlagen? Wo ist sie denn, die Friedensbewegung?
Die Lektüre des kleinen, feinen Buches von Stefan Seidel macht Mut. Er zitiert viele altbekannte Gestalten der Friedensbewegung und zeigt, wie sie immer wieder der militärischen Logik und der bewährten Muster von: Hier wir, die Guten, da die anderen, die Bösen, widerstanden haben.
Bergpredigt als Kulturrevolution
Der Autor zeichnet den "Sog der Feindschaft" und die "aus der Verfeindung aufgebaute Kriegslogik" nach. Dem stellt er die Bergpredigt als "Kulturrevolution" gegenüber, die eine "Erlösung aus den Begehrens- und Gewaltzirkeln der Menschen" aufzeigt. Diese Linie zieht er weiter bis zum "Gegengift" gegen Hass, Gewalt und Verfeindung, nämlich eine differenzierte Sicht auf andere Menschen und Empathie.
Mich persönlich hat die Lektüre ermutigt. Wir können uns dem Sog der Feindbilder und Kriegsertüchtigung entziehen. Gerade das Zeugnis des Jesus von Nazareth ermutigt dazu. Ich wünsche dem Buch viele Leser, die sich bestärken lassen auf dem Weg, friedenstüchtig zu werden.
Seidel, Stefan: Entfeindet euch! Auswege aus Spaltung und Gewalt. Claudius Verlag, 128 S., ISBN 978-3-532-62897-3; 20,00 Euro
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Die Friedensthematik wird in…
Die Friedensthematik wird in Bayern - vorsichtig gesagt - mit Zurückhaltung behandelt. Andere Themen scheinen wichtiger.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben .... zu spät in der Aufarbeitung von Missbrauch, zu spät in der Aufarbeitung des kirchlichen Handelns während der Corona-Krise, zu spät in vielem. .... Zu spät irgendwann auch, wenn man uns als bayerische Landeskirche fragt: "Wo wart Ihr?", als Europa fast schlafwandlerisch in eine neue Ära der Kriegslogik geriet.
Ich bin aufgewachsen in einer Kirche, in der Friedenspolitik grundlegend war.
Verwundert und beunruhigt bin ich über die derzeitige theologische Zurückhaltung. Kann man Waffen und Militär auch durch Stillschweigen segnen?
Die Anliegen von Gender bis Klimaschutz werden Makulatur sein, wo Militarismus und Kriegslogik herrschen.
Eine Relektüre der Bergpredigt, oder von Sölle und Co tut gut.
Dass es nur wenige sind, die sich positionieren, ist bedauerlich. Aber immerhin. Sie tun es.
Nehmen. Lesen. Handeln.
Die gegenwärtige…
Die gegenwärtige Zurückhaltung hat gute Gründe: Die Welt ist unübersichtlich geworden, der Westen strauchelt und Kräfte, die Gewalt als legitimes Ziel ideologischer Auseinandersetzung sehen erstarken überall. Eine Friedensbewegung, die da sagt: Du darfst Dich nicht wehren, während alle Welt vor brutalsten Tiefschlägen kaum mehr zurückscheut ist unehrlich und unethisch und das verstehen auch die dümmsten "Bauern". Dass das den Waffenschiebern und Kriegsgewinnlern freudige Schauer bereitet und sie hämisch auf den Pazifismus eindreschen, mit allem was sie haben, dass unsere Sinne vernebelt werden um uns gefügig für das Übel zu machen ist eine unliebsame Nebenerscheinung. Auch die Stasi hat uns schon manipuliert um uns wehrlos zu machen. Die Friedensbewegung ist nicht unschuldig sondern selber von Lügen und Selbstbetrug durchsetzt. Macht das aber den Hass auf andere Völker und Weltanschauungen gut? Sollen wir feiern, wenn es eine Hamasfamilie zerfetzt oder russische Invasoren im Graben elendig sterben und von ihren Vorgesetzten wie Abfall behandelt werden? Natürlich nicht. Die gegenwärtigen Krisen stellen neben der konkreten Anforderung sich für Solidarität und Abwehr oder auch Kompromiss einzusetzen auch viele Fragen an uns selbst: Wer wollen wir sein und genügen wir den eigenen Anforderungen? Mich ermüden sowohl emotionale Apelle zur Waffenvermehrung als auch selbstgerechte Friedensappelle von der sicheren Wohnzimmercouch oder einer Bühne im linken Szeneviertel voller herzenswärmender Zustimmung. Krieg und Leid sind eine große Katastrophe und menschliche Niederlage. Die Frage wie man gegen Unrecht agiert ist eine komplizierte persönliche. Der 2,10m Lackl kann einem Schläger gelassener gegenübertreten als ein 20kg Bub. Bei Gewalt geht es nicht fair zu und es gibt kein fixes Regelwerk. Eh man da Handlungsempfehlungen macht, kann man erst einmal das Unrecht benennen und nach Wahrheit suchen und zuhören, was Gewaltopfer erzählen. Was soll die Kirche denn tun, denn für Frieden und die Menschen zu beten im Wissen, das letztere sündhaft und fehlerhaft und ersterer schwer zu erreichen ist?