Die Dresdner Sinfoniker bringen zum Tag der Deutschen Einheit das Konzert- und Theaterprojekt "Drüben" im bayrischen Hof auf die Bühne. Orchesterintendant Markus Rindt ist ehemaliger DDR-Bürger und floh 1989 in die deutsche Botschaft nach Prag und von dort nach Westdeutschland. Der Evangelische Pressedienst (epd) sprach mit dem Dirigenten und Hornisten über sein Leben in der DDR, seine Flucht und das Projekt.
Herr Rindt, Sie waren 1989 einer der DDR-Flüchtlinge in der Prager Botschaft, die schließlich mit dem Zug nach Hof gebracht wurden. Jetzt sind Sie mit den Dresdner Sinfonikern und dem Projekt "Drüben. Eine deutsche Zeitreise" in Hof zu Gast. Ist das ein nochmaliges Ankommen?
Markus Rindt: Für mich schließt sich ein Kreis. Damals wussten wir nicht, ob und wo im Westen wir überhaupt ankommen. Die Züge sind ja zunächst noch einmal durch einen Teil der DDR gefahren. Als wir am 4. Oktober am frühen Morgen in Hof ankamen, war der ganze Bahnhof voller Menschen. Sie haben uns umarmt und beschenkt. Es war ein überwältigender Empfang. Die Menschen haben die Ankunft der Züge regelrecht gefeiert. Dieser Ort ist für mich wahnsinnig wichtig. Aber damals hätte ich nicht geglaubt, dass ich mal mit einem Projekt wie "Drüben" in Hof sein werde.
Wie kam es zu dem Projekt "Drüben" der Dresdner Sinfoniker?
Die Dresdner Philharmonie hat uns 2022 eingeladen, ein Konzert zum 3. Oktober zu gestalten. Da haben wir überlegt, was wir zum Thema deutsche Teilung und Wiedervereinigung beitragen können. Die Uraufführung von "Drüben" war dann im Dresdner Kulturpalast. Zu Hof habe ich seit Jahren persönliche Verbindungen. Dort gab es nun den Wunsch, das Projekt in die Stadt zu holen. Jetzt arbeiten wir mit zwölf jungen Schauspielerinnen und Schauspielern vom Spielclub des Theaters Hof und 40 Schülerinnen und Schülern der Staatlichen Fach- und Berufsoberschule Hof zusammen. Für die Wiederaufnahme des Stückes haben wir auch einige Veränderungen an der Dresdner Inszenierung von Tom Quaas vorgenommen. Es gibt also durchaus Überraschungen.
Das Konzert- und Theaterprojekt spürt deutsch-deutscher Geschichte nach. Was ist Ihnen wichtig dabei?
Zunächst wollen wir die Atmosphäre des damaligen geteilten Deutschlands so gut wie möglich einfangen. Es wird beim Betreten der Freiheitshalle und des Konzertsaals viele kleine Szenen geben, vergleichbar mit einem Wimmelbuch. Eine Herausforderung ist, beide Seiten, also Ost und West, gleichermaßen interessant zu gestalten. Mir ist wichtig, dass wir uns nicht lustig machen über bestimmte Situationen. Wir gehen mit einer gewissen Ernsthaftigkeit, aber natürlich auch mit Humor ran. Unser Publikum wird per Los am Eingang in Ost und West geteilt. Familien und Freunde sitzen in der ersten Hälfte also möglicherweise getrennt. Wie in Dresden bilden im Stück Jugendliche szenisch eine Mauer, die den gesamten Saal, aber auch die Bühne teilt. Jonathan Stockhammer wird das geteilte Orchester bis zum Mauerfall von einem Wachturm dirigieren.
Wie wichtig ist es, Jugendliche zu beteiligen?
Es ist uns wichtig, die junge Generation, die die deutsche Teilung nicht erlebt hat, mit dem Thema vertraut zu machen. Auch wenn dies nur ein temporäres Projekt ist, erreichen wir junge Leute, weil sie sich mit diesem Teil der Geschichte befassen und darüber nachdenken. Im besten Fall erreichen wir mit unserer Aufführung auch deren Freundeskreise und Familien.
Warum sind Sie damals aus der DDR geflüchtet?
Zum einen waren es persönliche Umstände. Zum anderen konnte ich nicht akzeptieren, dass wir eingesperrt waren. Schon als Kind hat mich das beschäftigt. Immer habe ich mir Landkarten und den Globus angeschaut. Ich wollte überall hinreisen können.
Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?
Ja, auf jeden Fall. Als Musiker in Westdeutschland, aber auch privat, habe ich viele Reisen machen dürfen. Ich bin tatsächlich durch die Welt gekommen. Mit einem Schlag war die Welt offen. Auch für meinen Beruf war diese Freiheit und Offenheit wichtig: Ich konnte spielen, was ich will und mit wem ich will. Die Zeit nach 1990 war geprägt von Aufbruch. Wir hatten quasi das Gefühl, alles ist möglich.
Sie haben in Köln gelebt, aber in den 1990er Jahren sind sie für ein künstlerisches Projekt nach Ostdeutschland zurückgegangen. War Ihnen klar, dass Sie bleiben?
Nein, das war mir anfangs nicht klar. Ich bin für das Musical "Black Rider" von Tom Waits nach Dresden gegangen. Dann merkte ich, wie toll diese Zeit dort war, was da plötzlich alles los war und wie viele Möglichkeiten es gab. Ich wollte eine Band gründen, aber dann kam mir zusammen mit Sven Helbig die Idee zu einem eigenen Orchester. Das haben wir dann gemacht. Wichtig war uns die interkulturelle Arbeit. Wir haben Musik, aber vor allem auch Interpretinnen und Interpreten aus der ganzen Welt eingeladen. Und wir waren in der Welt unterwegs.
Wie steht es um die deutsche Einheit aus ihrer Sicht?
Nach wie vor gibt es einen Riss zwischen Ost und West. Ich erlebe das Trennende regional sehr unterschiedlich. In Berlin spüre ich es kaum, aber in einer Region wie Bautzen schon sehr deutlich. So ein Projekt wie "Drüben" ist wichtig, auch für den Zusammenhalt.
Der Wunsch nach Überwindung von Grenzen ist Teil Ihrer persönlichen Geschichte. Welche Grenzen gilt es heute aufzubrechen?
Wir haben enorme Mauern innerhalb Deutschlands. Es ist zum Beispiel für mich unfassbar, wie sich die Kultur im Bundestag geändert hat. Wir müssen in der Gesellschaft viel mehr aufeinander zugehen und eine Kultur des Willkommenseins praktizieren. Es müsste viel mehr gegen Ausgrenzung passieren und für Integration.