Nicht nur in der drittgrößten Stadt des Freistaats, sondern in 38 Kommunen aus Mittelsachsen, dem Erzgebirge und dem Zwickauer Land rumorte es seit Januar bei rund 150 Projekten mit mehr als 1000 Veranstaltungen mit hunderten vorwiegend Ehrenamtlichen. Als Pfarrer des evangelisch-lutherischen Kirchenbezirks Chemnitz lässt Holger Bartsch die protestantische Stimme für die Kulturhauptstadtregion laut werden. Gerade Großveranstaltungen wie das "Kulturkirchenfest" im September seien gut angenommen worden. Durch Kooperationsprojekte mit der Kommune seien die Kirchen konstitutiver Bestandteil des "PurplePath" geworden – ein Kunst- und Skulpturenpfad durch Chemnitz und die Kulturhauptstadtregion, der Werke weltweit anerkannter Künstler in die Region bringt und somit in den Dialog mit der Geschichte der Region. Zum "Tag der Deutschen Einheit" am 3. Oktober sei mit "Deutschland singt und klingt" der Chemnitzer Markt von friedvoller Gemeinschaftsatmosphäre beseelt gewesen.
Noch bis zum 16. November läuft eine ökumenische Ausstellung zu Friedrich Preß in der Jakobikirche und der Propsteikirche. Eine intensiv vorbereitete Ausstellung kommt im November in den Garagen-Campus: Unter dem Titel "History of Citizens" hätten Jugendliche Senioren zu Brüchen und Aufbrüchen in ihrem Leben interviewt. Im Dezember folge noch an selber Stelle die Ausstellung "Verdrängung, Enteignung, Neuanfang – Familienunternehmen in Ostdeutschland von 1945 bis heute". "Das Thema Evangelium und Kunst, Evangelium und Kultur möchte ich theologisch und praktisch mit Kirchgemeinden weiter bearbeiten", meint Bartsch. Einige Kirchen vor Ort hätten ein neues Selbstbewusstsein als Kulturträger gewonnen. "Nach einer langen Periode, bei uns seit mindestens 1933, in der Glaube und Kultur auseinandergespalten wurden, sind wir wieder Teil der Gesellschaft. Die gewachsene ökumenische Zusammenarbeit nehmen wir mit in die Zukunft", so der "Kulturhauptstadtpfarrer.
Stephan Tischendorf, Leiter des Evangelischen Forums Chemnitz, nimmt die Kulturkirche 2025 als einen der großen und starken Teile der Kulturhauptstadt wahr – was er an der hohen Zahl an Veranstaltungen, aber auch an der Beteiligung von Ehrenamtlichen an der Planung und Umsetzung festmacht. Das Motto der Kulturhauptstadt "C the Unseen" habe sich als Glücksfall für die Kulturkirche als ökumenischen Verbund erwiesen. Früh sei entschieden worden, den Satz nicht zur Selbstbespiegelung zu nutzen, sondern die anderen in den Blick zu nehmen. "Aus diesem Impuls sind unzählige neue Netzwerkknoten für uns entstanden, hinein in die Gesellschaft, aber auch innerhalb der christlichen Gemeinschaft in Chemnitz und der Region", meint Tischendorf. "Wir können von einem reichen Jahr voller neuer Impulse auch für unsere kirchliche Arbeit in Chemnitz und der Region berichten", so der Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenbezirk.
Blick in die Jugendkirche
Die Jugendkirche St. Johannis ist das Jugendzentrum der Evangelischen Jugend im Kirchenbezirk. Die Johanniskirche ist eine der ältesten Kirchengründungen in Chemnitz. Erste urkundliche Erwähnungen reichen bis ins Jahr 1264, als die Kirche dem Benediktinerkloster St. Marien das Patronatsrecht übertragen wurde. Manche Quellen vermuten, dass schon um 1143 eine Holzbaukirche oder Vorgängerbau existierte.
Gelegen "extra muros" – also außerhalb der damaligen Stadtmauern – bewahrt St. Johannis Relikte vieler Baustile und Zeiten. Die Kirche diente lange Zeit als Friedhofskirche. Der Friedhof wurde später in städtischen Park umgewandelt: heute ist das Gelände größtenteils der "Park der Opfer des Faschismus". Einige Grabsteine sind dort teils erhalten.
Über die Jahrhunderte wurde St. Johannis mehrfach zerstört, umgebaut und erneuert: im Hussitenkrieg, im Schmalkaldischen Krieg, nach Bränden; später in neugotischem Stil, Jugendstil, und in der DDR-Zeit mit teilweise starken Eingriffen.
1997 markiert einen Wendepunkt: St. Johannis wurde offiziell der jugendlichen Arbeit im Kirchenbezirk Chemnitz zur Verfügung gestellt und zur Jugendkirche umgestaltet. Damit begann nicht sofort das Ende der Kirche als Gotteshaus, aber ihr Zentrum verschob sich. Renovierungen und Nutzungsanpassungen folgten: Sanitäranlagen, Küche, Aufenthaltsräume, Büros, Technik, Fensterrenovierung, Anpassungen im Kirchenschiff und viele mehr. In den Jahren 2010 bis 2012 wurde die Kirche modernisiert: neue Elektrik, neue Böden, Fundamentsicherung, Fassadenanstrich. Später wurde das Kirchenschiff zum Mehrzweckraum umgestaltet, Akustik verbessert, Beleuchtung erneuert.
In diesem historischen Ambiente arbeitet Justine. Als Sozialpädagogin ist sie Teil eines Teams, das sich der offenen Arbeit für Jugendliche widmet, der Gemeinschaftsbildung, Freizeitgestaltung, sozialdiakonischen Angeboten, kulturellen und spirituellen Projekten. Sie spricht oft davon, wie wichtig es sei, "für Kinder und Jugendliche da zu sein, die einen Ort zum Wohlfühlen und Abhängen suchen, an dem sie ihre Freizeit verbringen und sich mit Freunden treffen können oder die jemanden brauchen, der sich für sie Zeit nimmt und für das, was sie beschäftigt. Alles, was an der Schnittstelle zwischen Kirche und Gemeinwesenarbeit liegt, ist unser Feld."
Wenn Justine durch den Innenraum der Kirche führt, erzählt sie nicht nur von Bands und Sofaecken, sondern man spürt, dass die Geschichte der Kirche Teil dessen ist, was Jugendkirche möglich macht. Die Kirche sei ein Beispiel für Wandel und Anpassungsfähigkeit.
Festivals und Mission
Michael Friedemann, Bezirksjugendwart, erinnert sich gerne an das C Festival Anfang Juni, mit vielen Trägern evangelischer Jugendarbeit ein sachsenweites Projekt. "Teilweise haben Jugendliche aus dem gesamten Bundesgebiet teilgenommen, insgesamt über 1800 junge Leute", erklärt Friedemann.
Wichtig sei allen Beteiligten gewesen, als christliche Jugend nicht unter sich zu bleiben, sondern in der Stadt sichtbar werden. Das sei unter anderem durch missionarische und soziale Workshops im Stadtgebiet geschehen. Oder mit einem kostenfreien Konzert im Zentrum, zu dem Chemnitzer und Passanten eingeladen waren.
"Wir nehmen aus dem Kulturhauptstadtjahr mit, dass Kirche auch in einer säkularisierten Stadt etwas bewegen kann", blickt Friedemann zurück. Zugleich gebe es aber nach wie vor Skepsis gegenüber gottesdienstliche Angebote der Kulturhauptstadt. "Deren kultureller und sozialer Gehalt wird da wenig erkannt – ganz zu schweigen vom geistlich-spirituellem", gibt er zu. Aber: "Ich hoffe und glaube, dass das Jahr gezeigt hat, dass Chemnitz ein anderes Gesicht hat. Ganz losgeworden sind wir den Ruf als Industriestadt nicht, die nach Leipzig und Dresden nur das dritte Rad am Wagen ist. Aber es ist eine andere Wahrnehmung dazu gekommen. Nämlich, dass es in Chemnitz viele Menschen gibt, die sich für die Stadt einsetzen und richtig was auf die Beine stellen können."
Luther und Müntzer in Zwickau
Wer nach Chemnitz kommt, sollte wenigstens einen Abstecher nach Zwickau unternehmen, spielte die heute eher wegen seiner berühmten Söhne August Horch sowie Robert Schumann bekannte viertgrößte Stadt in Sachsen im frühen 16. Jahrhundert eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Reformation. Sowohl Martin Luther als auch Thomas Müntzer prägten von hier aus die religiöse Entwicklung Mitteldeutschlands.
Martin Luther besuchte Zwickau mehrfach, vor allem aber im April 1522 kurz nach seiner Rückkehr von der Wartburg, um die durch radikale Prediger aufgewühlte Stadt zu befrieden. Diese Unruhe war vor allem durch Thomas Müntzer und die sogenannten "Zwickauer Propheten" ausgelöst worden, die in Zwickau eine sozialrevolutionäre, spirituell geprägte Reformationsbewegung entfachten. Luther predigte in der Marienkirche (Dom St. Marien), der bedeutendsten Kirche der Stadt.
Thomas Müntzer hatte dagegen schon ab 1520 in Zwickau gewirkt. Als Kaplan an der Kirche St. Katharinen predigte er zunächst im reformatorischen Sinn – gegen Missstände in der Kirche, für eine unmittelbare Beziehung des Gläubigen zu Gott. Doch bald entwickelte sich seine Theologie in eine radikalere Richtung. Er betonte die innere Offenbarung des Heiligen Geistes und forderte soziale Gerechtigkeit. Diese Lehre brachte ihn in Konflikt mit den städtischen Obrigkeiten und der gemäßigten lutherischen Bewegung. Bereits 1521 musste Müntzer Zwickau verlassen.
Der Katharinenkirche wurde 2014 das Europäische Kulturerbesiegel im Netzwerk "Stätten der Reformation" verliehen. Die spätgotische Hallenkirche im Nordosten der Zwickauer Altstadt ist nur noch selten geöffnet, soll in den kommenden Jahren aber wieder eine größere Rolle im kulturellen Leben der Stadt spielen. Matthias Rose, Geschäftsbereichsleiter Tourismus & Märkte der örtlichen Tourismuszentrale verrät, dass bei einem bald geplanten Umzug seiner Einrichtung in die gegenüber der Kirche liegende, ehemalige Posthalterei St. Katharinen dann für Veranstaltungen genutzt werden soll, also kulturelles Leben hier wieder Einzug findet.
Ein lohnender Exkurs führt zu den sogenannten Priesterhäusern in Zwickau – einem der ältesten erhaltenen Wohnensembles für Geistliche in Deutschland. Sie stammen aus dem 13. Jahrhundert und liegen unmittelbar neben dem Dom St. Marien. Heute beherbergen sie ein Museum zur Stadt-, Kirchen- und Reformationsgeschichte. Besucher können hier auf eindrucksvolle Weise die Lebenswelt spätmittelalterlicher Kleriker, den geistigen Umbruch der Reformationszeit und das Wirken Luthers und Müntzers nachvollziehen. Originale Dokumente, Ausstellungsstücke aus der Frühzeit der Reformation und multimediale Darstellungen machen deutlich, wie eng religiöse und gesellschaftliche Entwicklungen in Zwickau miteinander verflochten waren.
Das formale Ende des Kulturhauptstadtjahres ist am 29. November: An diesem Tag soll ein mehrteiliger Abschluss stattfinden — Bergparade, gemeinsames Singen auf dem Theaterplatz und ein großes Open-Air-Abschlussprogramm, das in ein nächtliches Konzert und einen Rave übergeht. Zeitgleich markiert James Turrells groß angelegte Lichtinstallation "Ganzfeld – Beyond Horizons 2025" in einer sanierten Industriehalle in Oelsnitz einen leuchtenden Schlussakkord präsentiert – übrigens inklusive eines Gottesdienstes.