Herr Professor Hofäcker, laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov können immer weniger Menschen Geld fürs Alter sparen. 32 Prozent geben sogar an, überhaupt keine Rücklagen bilden zu können. Woran liegt das Ihrer Einschätzung nach?

Dirk Hofäcker: Bemerkenswert an den Zahlen der Studie ist, dass zwar etwa ein Drittel der Befragten derzeit keine monatlichen Rücklagen für das Alter bildet, jedoch ein deutlich geringerer Anteil der Ansicht ist, dass man keine Rücklagen bilden sollte. Diese Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen Notwendigkeit zu sparen und der persönlichen Möglichkeit, dies zu tun, konnten wir auch im Rahmen eines EU-Forschungsprojektes für das Sparverhalten junger Menschen in der EU belegen. Auch hier zeigte sich, dass junge Menschen angesichts der gegenwärtigen Rentendebatten grundsätzlich durchaus wahrnehmen, dass man eigene Rücklagen bilden sollte, sich dazu aber selbst nicht in der Lage sehen.

"Unsichere Beschäftigungsformen machen es bestimmten Gruppen schwer oder unmöglich, langfristige Rücklagen zu bilden"

Was sind die Gründe hierfür?

Unsere Analysen zeigten, dass sich das unzureichende Sparverhalten junger Menschen zum einen darauf zurückführen lässt, dass unsichere Beschäftigungsformen es bestimmten Gruppen schwer oder unmöglich machen, neben dem alltäglichen Konsum und kurzfristig notwendigen Ausgaben langfristige Rücklagen zu bilden. Insbesondere bei Jugendlichen mit geringeren Bildungsabschlüssen in prekären Beschäftigungsverhältnissen war dieses Phänomen zu beobachten. Zum anderen erschweren aber auch ein unzureichendes Wissen über die Möglichkeiten privater Rücklagen und - vornehmlich in Deutschland - ein sehr komplexes und schwer überschaubares Angebot an privaten Sicherungsoptionen individuelles Sparen.

Welche Bevölkerungsgruppen sind besonders häufig von Altersarmut betroffen?

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2021 etwa 18 Prozent älterer Menschen, das heißt im Alter von 65 Jahren und älter, von Altersarmut betroffen. Die Quote hat in den vorangegangenen Jahren erkennbar zugenommen. Altersarmut bringt eine materielle Mangellage mit sich. Sie kann Menschen auch dazu bringen, ihren geplanten Ruhestandseintritt zu verschieben und länger - teilweise über das Rentenalter hinaus - erwerbstätig zu sein. Dieses Muster unfreiwilliger Weiterarbeit findet sich besonders häufig bei benachteiligten Arbeitsmarktgruppen mit niedrigen Bildungsabschlüssen.

Bildung ist also ein entscheidender Faktor ...

Ja, man muss allerdings sehen, dass das Risiko, von Armut betroffen zu sein, auch zwischen den Geschlechtern ungleich verteilt ist. Frauen weisen dabei mit über 20 Prozent ein höheres Armutsrisiko auf als Männer mit knapp 16 Prozent. Dies gilt insbesondere in den alten Bundesländern.

Das Armutsrisiko für Frauen ist im Westen also höher als im Osten. Wie lässt sich das erklären?

Eine naheliegende Erklärung für diese regionalen Unterschiede ist, dass Erwerbsverläufe von Frauen in Ostdeutschland kontinuierlicher und durch eine höhere Stundenzahl geprägt waren. Staatliche Arbeitsmarkt- und Familienpolitik förderten hier stärker kurze Erwerbsunterbrechungen und eine umfangreichere Erwerbstätigkeit beider Ehepartner. Heutige Rentnerinnen in Westdeutschland waren in ihrer mittleren Erwerbsphase stärker durch das sogenannte Ernährer-Modell geprägt. Frauen unterbrachen meistens länger die Erwerbstätigkeit und kehrten häufiger in Teilzeit auf den Arbeitsmarkt zurück. Hieraus ergeben sich meist niedrigere Rentenansprüche, die sich in einem höheren Altersarmutsrisiko widerspiegeln.

"Altersarmut ist nicht ausschließlich ein Frauenproblem"

Kindererziehung und Teilzeitarbeit sind also zwei zentrale Risikofaktoren für Armut im Alter. Würden Sie sagen, dass Altersarmut somit nach wie vor überwiegend ein Frauenproblem ist?

Altersarmut ist nicht ausschließlich ein Frauenproblem, auch weitere Risikofaktoren beeinflussen die Wahrscheinlichkeit von Altersarmut. Frauen sind aber durchschnittlich betrachtet deutlich häufiger von Altersarmut betroffen als Männer. Von Bedeutung sind hier unter anderem die am Arbeitsmarkt weiterhin vorherrschenden Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen, der sogenannte gender pay gap, der sich mit der Familiengründung meist nochmals verschärft. Dies führt dazu, dass infolge des geringeren Einkommens meistens auch die Rentenhöhe von Frauen deutlich geringer ausfällt als die von Männern. Die Aufteilung von Hausarbeits- und Betreuungsaufgaben traditionalisiert sich im Zuge der Familiengründung, Frauen übernehmen also zunehmend häufiger diese Aufgaben. Entsprechend finden sich Frauen häufiger in unbezahlter Care-Arbeit wieder, die durch Anrechnungszeiten im Rentensystem nur bedingt aufgefangen werden kann.

Wie gut gelingt es Männern, Geld fürs Alter zurückzulegen?

Männer können deutlich häufiger als Frauen auf Leistungen außerhalb der staatlichen Rentenversicherung zurückgreifen. Sie verfügen öfter über Betriebsrenten und private Rücklagen. Diese ungleiche Verteilung zusätzlicher Alterssicherung vergrößert die bereits in der gesetzlichen Rentenversicherung angelegten Geschlechterunterschiede. Aus meiner Sicht sind es in beträchtlichem Maße strukturelle Ungleichheiten in Rentensystem und Arbeitsmarkt, die dazu führen, dass Frauen geringere gesetzliche Rentenhöhen und weniger Zugang zu ergänzender Alterssicherung aufweisen.

"Staatliche Rentenleistungen sollen in Zukunft nicht mehr den alleinigen Bestandteil des Alterseinkommens ausmachen"

Viele gaben in der bereits erwähnten YouGov-Befragung an, das Vertrauen in die Politik verloren zu haben, wenn es um die Alterssicherung geht. Welche Gefahren für die Gesellschaft sehen Sie in dieser Entwicklung?

Das Phänomen der Altersarmut stellt in Deutschland in der wissenschaftlichen Diskussion ebenso wie in der öffentlichen Debatte ein ausgesprochen präsentes Thema dar. Die Wahrnehmung zunehmender Sicherungsrisiken und der in der YouGov-Studie unterstellte Vertrauensverlust in die Politik beim Thema Alterssicherung muss aber auch im Kontext der aktuellen rentenpolitischen Entwicklungen gesehen werden: Deutschland ist ein Land, in dem die gesetzliche Rentenversicherung lange die zentrale Säule der Alterssicherung darstellte, die bereits allein existenzsichernd wirken und einen angemessenen Lebensstandard im Alter garantieren sollte.

Ähnlich wie andere europäische Länder hat die Politik in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend auf eine Verbreiterung der Rentenbasis hingearbeitet, um die Alterssicherung auch in Zeiten des demografischen Wandels sicherstellen zu können. Staatliche Rentenleistungen sollen in Zukunft nicht mehr den alleinigen Bestandteil des Alterseinkommens ausmachen, sondern zunehmend durch betriebliche Renten und private Rücklagen ergänzt werden.

Das klingt ja erstmal positiv.

Problematisch ist daran aber, dass nicht alle Menschen in gleicher Weise in der Lage sind, zusätzliche Rücklagen zu bilden und damit die wachsende Rentenlücke zu füllen. Es käme dann also zu einer selektiven Verschlechterung der Einkommenssituation im Alter bei bestimmten, benachteiligten Gruppen, die nicht ausreichend sparen können. Dies ist meiner Einschätzung nach ein politisches Problem, das noch stärker adressiert werden müsste, um die Legitimität der Rentenpolitik zu erhöhen.

Wie könnte eine geeignete Maßnahme aussehen, um diesen Trend abzufedern?

Vorstellbar wäre hier beispielsweise eine spezielle Sicherungsleistung für benachteiligte Gruppen und allgemein mehr Bildung über Möglichkeiten einer breiten Altersvorsorge in Schulen.

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