Das Entsetzen ist groß: Am Samstag haben mehr als 1000 Demonstranten an einer islamistischen Kundgebung in Hamburg teilgenommen. Sie protestierten gegen Islamfeindlichkeit in Politik und Medien. Auf Plakaten war unter anderem die Forderung "Kalifat ist die Lösung" zu lesen.
Zwar verlief die Demonstration friedlich, es kam zu keinerlei Gewalt oder Ausschreitungen. Politiker*innen zeigten sich im Nachgang dennoch besorgt, insbesondere die Forderung nach Errichtung eines Kalifats stieß auf Empörung. Doch wer steckt überhaupt hinter der Kundgebung?
Muslim Interaktiv und Hizb ut-Tahrir
Der Anmelder steht nach Informationen des Hamburger Verfassungsschutzes der Gruppe "Muslim Interaktiv" nahe, die vom Verfassungsschutz als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft wird. Die Gruppierung versucht durch Aktionen im öffentlichen Raum und über eine professionelle Social-Media-Arbeit Aufmerksamkeit zu erregen. Ihr Kernmotiv ist eine angeblich von der Auslöschung bedrohte kulturelle Identität von Muslim*innen in Deutschland und Europa.
"Muslim Interaktiv" wiederum steht der verbotenen islamistischen Organisation Hizb ut-Tahrir nahe und wirbt schon seit Langem für die Einführung eines Kalifats. Sie predigt laut dem schweizerisch-deutschen Islamwissenschaftler Reinhard Schulze "religiösen Ultranationalismus". Dieser fordere die Wiedergeburt des Islam als "Nation", die politisch als Kalifat verfasst sein solle.
"Das, was die Sekte als Kalifat definiert, hat nur den Namen mit dem historischen Kalifat gemein; faktisch handelt es sich um einen religiösen Führerstaat, der sich extensiv Lenins Politikmodell bedient",
schreibt Schulze auf X (vormals Twitter). Mit den nationalreligiösen Muslimbrüdern, den Taliban oder gar dem IS habe "diese Sekte" nichts zu tun: "Sie positioniert ihren Nationalislam jenseits bestehender Nationalstaatlichkeit."
Pseudislamisch-patriotischer Pathos
Schulze führt weiter aus, die Gruppoierung bediene sich ideologischer Versatzstücke aus der "leninistischen und stalinistischen Mottenkiste" und kombiniere diese "wild" mit "zusammengeschusterten Bruchstücken" aus der islamischen Tradition. Das alles tue sie mit einem "pseudoislamisch-patriotischen" Pathos.
Bestürzend sei, bilanziert Schulze, dass die Sekte in der Breite der islamischen Öffentlichkeit lange Jahre schlicht ignoriert worden sei. Deshalb gebe es bis heute keine wirkungsmächtige Brandmauer gegen diesen religiösen Ultranationalismus und gegen die nationalistische Aneignung des Islam.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden