Der Bayerische Flüchtlingsrat hat die Staatsregierung und die Ausländerbehörden im Freistaat zu einem sofortigen Abschiebestopp aufgefordert. "Mindestens, bis das neue Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht in Kraft ist", sagte Flüchtlingsratssprecher Stephan Dünnwald am Mittwoch dem Sonntagsblatt.

Flüchtlingsrat wirft Behörden "Abschiebe-Furor" vor

Der Bundestag wird diesen Mittwoch über den Gesetzentwurf beraten. Dünnwald zufolge befinden sich Bayerns Behörden derzeit geradezu im "Abschiebe-Furor":

"Man will offenbar so viele Menschen, wie nur möglich, loswerden - auch bestens Integrierte."

Dünnwald beklagte, dass der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die Möglichkeit hätte, die Ausländerbehörden im Freistaat mittels Rundbrief zur Aussetzung von Abschiebungen bei Geduldeten aufzufordern: "In anderen Bundesländern ist das geschehen - doch der Innenminister positioniert sich lieber gegen das geplante Chancen-Aufenthaltsrecht der Ampel und auch gegen das neue geplante Afghanistan-Aufnahmeprogramm des Bundes."

Es sei schlicht falsch, wenn sich Politik und Behörden immer auf eine Abschiebepflicht beriefen: "Das Recht gibt wirklich viel her."

Abschiebungen machen Arbeit und sind teuer

Weshalb bayerische Ausländerbehörden nicht nur derzeit besonders eifrig bei Abschiebungen seien, sei ihm ohnehin unverständlich, sagte Dünnwald: "Die machen viel Arbeit, sie sind teuer." Auch beim bevorstehenden Chancen-Aufenthaltsrecht hätten die Ausländerbehörden die Chance, "Geflüchteten Knüppel zwischen die Beine zu werfen" - etwa, indem sie ihnen den Duldungsstatus entziehen.

Das könne ohne Begründung geschehen,

"einfach, weil man die Macht dazu hat".

Grundsätzlich hätten die Mitarbeitenden Ausländerbehörden zu viel Macht und würden zu wenig kontrolliert, sagte er.

Grüne Abgeordnete bestätigt Flüchtlingsrat

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Gülseren Demirel bestätigte die Beobachtung des Flüchtlingsrats: Das Innenministerium mache seine Ausländerbehörden zu regelrechten Abschiebebehörden, sagte die Sprecherin für Integration, Asyl und Flucht der Landtags-Grünen:

"Im Eiltempo werden Geduldete kurz vor dem Inkrafttreten des Chancen-Aufenthaltsrechts abschoben",

obwohl diese Menschen seit mehr als fünf Jahren im Land lebten, arbeiteten und integriert seien. So nehme die Staatsregierung "Bayern die Chance, weitere dringend benötigte Arbeitskräfte zu erhalten", sagte Demirel.

CSU-Innenminister gegen Abschiebestopp

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) entgegnete auf Sonntagsblatt-Anfrage: "Wir reden hier ausschließlich über Leute, deren Asylantrag vom zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rechtskräftig abgelehnt wurde."

Wer keinen Schutzstatus erhalte, müsse Deutschland wieder verlassen. Dies sei geltendes Recht. 

"Ein genereller Abschiebestopp kommt deshalb überhaupt nicht infrage."

Es könne keine Generalamnestie geben, bis das neue Gesetz gelte: Dieses hält er ohnehin "für eine völlige Fehlkonstruktion".

Darum geht es beim Chancen-Aufenthaltsrecht

Beim Chancen-Aufenthaltsrecht geht es darum, dass Geflüchtete, die am 1. Januar 2022 bereits seit fünf Jahren oder länger in Deutschland leben, die Möglichkeit auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland bekommen sollen. Sie haben dann ein Jahr Zeit, ausreichend Sprachkenntnisse, einen unbefristeten Job sowie ein Ausweisdokument vorzulegen, um dauerhaft im Land bleiben zu können.

Flüchtlingshelfer und auch Vertreter der Wirtschaft kritisieren, dass ein Jahr als Frist zu kurz sei. So stünden beispielsweise viel zu wenig Deutschkurse für geflüchtete Menschen zur Verfügung.

Am 31. Dezember 2021 haben sich in Deutschland nach Angaben des Bundestags 242.029 geduldete Ausländer aufgehalten, davon 136.605 seit mehr als fünf Jahren.