Vor dem internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar haben sich die deutsche Historikerin Stefanie Schüler-Springorum und der israelische Soziologe Natan Sznaider gegen ein erstarrtes Gedenken an den Nationalsozialismus ausgesprochen.

"Ich persönlich glaube nicht, dass die Welt besser wird, wenn man nur fleißig aus der Geschichte lernt. Dieses ganze Gedenkreden-Vokabular ist mir suspekt",

sagte Sznaider in einem Doppel-Interview der Wochenzeitung "Die Zeit" mit Schüler-Springorum.

Mehr Raum für Reflexion und Selbstkritik

Zu den heftigen Debatten der vergangenen Jahre um das Holocaust-Gedenken sagt die Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin: "Ich wünsche mir mehr Raum für Reflexion und Selbstkritik, und das funktioniert nur, wenn man nicht gleich aufeinander losgeht."

Gerade für die Schulen und Gedenkstätten sei das wichtig:

"Viele haben Angst, in die falsche Ecke gestellt zu werden."

Überrascht habe sie die Vehemenz, mit der neue postkoloniale Fragen an die NS-Forschung von Historikern abgeschmettert wurden, denn: "Die Gesellschaft verändert sich, andere Generationen haben andere Themen."

Aus der Geschichte gelernt: Brauche möglichst viele Pässe

Auf die Frage, wie sich Geschichte für die Gegenwart fruchtbar machen ließe, antwortete Schüler-Springorum, die das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin leitet: "Ganz praktisch lässt sich aus der Geschichte vor allem lernen, dass man möglichst viele Pässe braucht." Sie würde zudem immer für historisches Wissen plädieren.

Sie halte es für "unerlässlich, auch allgemeinere Schlüsse aus der NS-Geschichte zu ziehen. Nur so können wir die Gefahren erkennen, die aus Vorstellungen einer religiös, ethnisch oder sexuell homogenen Gesellschaft entstehen."

Vergangenheit kann nicht wiedergutgemacht werden

Beide sprachen sich zudem gegen den Wunsch nach Versöhnung nach dem Holocaust aus. "Das Bedürfnis nach Versöhnung ist Quatsch", sagte Schüler-Springorum. Sznaider ergänzte:

"Die Vergangenheit kann nicht mehr wiedergutgemacht werden."

Stefanie Schüler-Springorum ist eine deutsche Historikerin. Seit Juni 2011 ist sie Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin. Natan Sznaider ist ein israelischer Soziologe. Er unterrichtet an der Akademischen Hochschule in Tel Aviv.