Eine stille Kraft, gepaart mit freundlicher Direktheit: Das strahlt Ernst Grube aus, wenn er jungen und alten Menschen in Zeitzeugen-Gesprächen von seiner Zeit als NS-Verfolgtem berichtet. Doch bei der Vergangenheit bleibt Grube nie stehen: Als Mitglied von Gewerkschaft und Kommunistischer Partei kämpfte er nach 1945 hartnäckig gegen Rassismus, Ausgrenzung und Krieg. Sein Credo: "Unser Ziel muss eine Welt des Friedens und der Freiheit sein." Für dieses Ziel wird Ernst Grube auch nach seinem 90. Geburtstag am Dienstag weiterkämpfen.

Am 13. Dezember 1932 kam Ernst Grube als Sohn eines evangelischen Malermeisters und einer jüdischen Krankenschwester in München zur Welt. Die Familie lebte in einem Haus der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) gleich neben der Münchner Hauptsynagoge. Nach deren Zerstörung im Juni 1938 enteigneten die Nazis die IKG - und Familie Grube stand auf der Straße. Weil die Eltern keine eigene Wohnung mehr fanden, kamen Ernst, sein älterer Bruder Werner und seine Schwester Ruth in das Kinderheim Schwabing, eine Einrichtung der jüdischen Wohlfahrt. Dort erlebten sie erstmals jüdisches Leben. "Vor allem die Feste wie Chanukka, Purim, Laubhüttenfest waren etwas Besonderes", erinnert sich Grube in einem Zeitzeugengespräch. Das Kinderheim sei für ihn "ein Refugium der Geborgenheit" gewesen.

Doch 1941 zerbrach der Schutz: Die Nazis holten 23 von 46 Kindern aus dem Heim und deportierten sie nach Litauen, wo sie erschossen wurden. Im April 1942 mussten die verbliebenen Kinder ins Judenlager Milbertshofen und anschließend in die "Heimanlage für Juden" in Berg am Laim umsiedeln. Im März 1943 ließ die Gestapo den Großteil nach Auschwitz deportieren. Ernst Grube und seine Geschwister blieben verschont: "Unser Leben wurde gerettet durch den Vater, der sich nicht scheiden ließ", sagt Grube in dem BR-Dokumentationsprojekt "Die Quellen sprechen".

Ab 1943 lebten die Kinder - an wechselnden Orten - wieder bei den Eltern und erlebten als "Geltungsjuden" die volle Härte der Verfolgung: Sie mussten den Judenstern tragen, durften keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, konnten keine Schule besuchen, nicht ins Schwimmbad, nicht Fahrrad fahren. Im Februar 1945 deportieren die Nazis Ernst Grube samt Mutter und Geschwistern ins Ghetto Theresienstadt, wo sie am 8. Mai die Befreiung durch die Rote Armee erlebten.

Grube weiß, wie knapp alles war: "Nur wenige hatten das Glück zu überleben wie meine Geschwister und ich." Als junger Mann machte er eine Malerlehre bei seinem Vater, holte das Abitur nach und wurde Berufschullehrer. Auch politisch trat er in die Fußstapfen des Vaters. Doch seine Mitgliedschaft bei der Kommunistischen Partei brachte ihn erneut ins Fadenkreuz des - diesmal demokratischen - Staats: Zweimal war er mehrere Monate im Gefängnis, Anfang der 1970er-Jahre wollten ihm die Behörden wegen seiner politischen Überzeugung Berufsverbot erteilen.

Als Grube im Jahr 2010, inzwischen Präsident der Dachauer Lagergemeinschaft, Kuratoriumsmitglied der evangelischen Versöhnungskirche Dachau und Träger der Medaille "München leuchtet", namentlich im Jahresbericht des bayerischen Verfassungsschutzes gelistet wurde, war die Empörung groß. Die Behörde gab nach, doch unter Beobachtung blieb Grube als Vorsitzender der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" bis 2021 dennoch.

Jüngere Weggefährten der Erinnerungsarbeit schätzen Ernst Grubes starke Haltung. "In seiner kritischen Grundhaltung lässt er sich von niemandem einschüchtern", sagte Jürgen Müller-Hohagen, stellvertretender Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau. Grube sei ein Zeitzeuge, "bei dem Erinnerungsarbeit und politisches Stellungnehmen untrennbar zusammengehören." Seine innere Weite würdigt Björn Mensing, Pfarrer an der Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau:

"Es dürfte wohl einmalig sein, dass ein jüdischer Holocaust-Überlebender, der zudem Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei ist, einem kirchlichen Gremium wie dem Kuratorium der Versöhnungskirche angehört."

Grubes Engagement für eine lebendige Erinnerungskultur betonte Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums. "Von Ernst Grube lernen wir etwas, das selten ist: Er macht uns aufmerksam auf die Bedeutung des Vergangenen für ein solidarisches Zusammenleben im Heute und in der Zukunft", sagte sie. Seine klare Position gegen jede Form von Ausgrenzung, Krieg und Gewalt "lehrt uns, dass Erinnerung auch heute noch widerständig sein muss, wenn sie nicht zum sinnentleerten ‚Nie wieder‘ geraten will", so Zadoff.

Bescheiden, mutig und politisch klar gehe es Ernst Grube bei all seinen Wortmeldungen immer um gesellschaftliche Solidarität. Dieser Idealismus reihe ihn ein in die Tradition der großen jüdischen Revolutionäre des 20. Jahrhunderts. "Mit ihnen verbindet ihn die Überzeugung, dass die Welt durch solidarisches Handeln gerettet werden kann - auch wenn man selbst die schlimmsten Verletzungen erlebt hat."