Herr Friedlein, Sie haben zusammen mit weiteren Theologie-Studierenden ein Schreiben verfasst, in dem Sie das neue Grundsatzprogramm der CDU kritisieren. Wie kam es dazu?

Tobias Friedlein: Meine Kommilitonen Matti Ertel, Tim Jesberger und ich haben dieses Schreiben verfasst und an unsere Mitstudierenden weitergeleitet, um Unterstützung zu erhalten. Unsere Hauptbedenken betreffen einerseits die pauschale Darstellung des Islam im Programm: Obwohl das Papier am Ende etwas differenzierter vorgeht und von Extremismus spricht, ist es besorgniserregend, dass am Anfang ausschließlich der politische Islam erwähnt wird, ohne andere Formen von Extremismus zu berücksichtigen. Es ist positiv anzumerken, dass später auch Rechtsextremismus und Linksextremismus erwähnt werden, jedoch bleibt der Begriff 'politischer Islam' problematisch.

Was ist an dem Begriff problematisch?

Nach einigen Recherchen, unter anderem auch einem Text der Bundeszentrale für politische Bildung, wurde uns deutlich, dass dieser Begriff nicht treffend ist und den Eindruck erwecken könnte, dass politische Aktivitäten von Muslimen unerwünscht seien. Ich möchte nicht behaupten, dass dies die Absicht der CDU ist, jedoch bleibt die Gefahr, dass das Papier von verschiedenen Personen dahingehend interpretiert werden könnte, bestehen.

Was hat Sie am neuen Grundsatzprogramm noch gestört?

Die Situation der Geflüchteten war für uns ebenfalls ein zentrales Anliegen. Es ist schon lange ein Spannungspunkt zwischen vielen Christinnen und Christen und der CDU, wie man angemessen mit Geflüchteten umgeht. Uns war bewusst, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um irreguläre Migration einzudämmen. Die entscheidende Frage dabei ist jedoch, wie man dies tun kann, ohne die Menschenrechte zu verletzen.

Unser Interviewpartner

Tobias Friedlein studiert im 6. Semester Theologie. Aktuell studiert er als Austauschstudent der Augustana-Hochschule Neuendettelsau an der Lutheran School  Theology at Chicago. Er steht auf der Landesliste der evangelischen Landeskirche in Bayern und kommt ursprünglich aus Windsbach in Mittelfranken.

Konkret kritisieren Sie das sogenannte Drittstaaten-Modell, bei dem Asylverfahren nicht in Deutschland, sondern in anderen Staaten durchgeführt werden. Was genau ist Ihre Kritik?

Das von uns kritisierte Drittstaaten-Modell scheint vor allem eine Form der Verantwortungslosigkeit zu sein. Wenn wir beispielsweise Ruanda betrachten, das oft als Beispiel herangezogen wird, so ist die Demokratie des Landes akut gefährdet, mit Verhaftungen von Oppositionellen und anderen Verstößen gegen die Menschenrechte. Es fehlt uns außerdem an einem konkreten Plan, und Amnesty International teilt diese Bedenken, dass die Forderungen der Union die Menschenrechte wahren könnten. Des Weiteren ist die Belastung der EU durch Geflüchtete im Vergleich zu anderen Ländern wie Ruanda oder den Nachbarländern des Sudans noch vergleichsweise gering.

Ein dritter Aspekt, den Sie kritisieren, sind die Forderungen nach festen Kontingenten für Geflüchtete. Was hat es damit auf sich?

Kontingente finden wir vor allem aufgrund der dynamischen politischen Lage problematisch. Wir sind uns bewusst, dass der Bundestag Gesetze jederzeit ändern kann, aber andererseits sehen wir auch, wie Parteien oft um die Verabschiedung von Gesetzen ringen, was zu Verzögerungen führen kann. Angenommen, es bricht plötzlich irgendwo ein Krieg aus: Selbst wenn es ein Recht auf Schutz in Deutschlandgibt, könnte es sein, dass unser Kontingent bereits erschöpft ist. In diesem Fall müssten wir trotz des Rechts auf Einreise aufgrund von Kontingentbeschränkungen die Menschen abweisen.

Unsere Sorge bei den Kontingenten ist, dass sie uns eine gewisse Flexibilität nehmen könnten, die wir in bestimmten Situationen dringend benötigen würden. Flexibilität ist für uns von großer Bedeutung.

Nun hat die CDU ihr neues Programm inzwischen verabschiedet. Sind Sie enttäuscht?

Tatsächlich hatten wir gehofft, dass die CDU auf unsere Anliegen eingehen würde. Wir haben sogar Zugeständnisse gemacht, die von einigen unserer Kommilitonen stark kritisiert wurden. Beispielsweise haben wir bewusst auf gendergerechte Sprache verzichtet, obwohl diese im Universitätsbetrieb üblich ist. Einige unserer Kommilitonen haben uns dafür stark kritisiert. Wir dachten jedoch, dass wenn CDU-Politiker dieses Schreiben lesen und wir gendergerechte Sprache verwenden, die Hälfte von ihnen möglicherweise direkt ablehnend reagieren würde. Deshalb haben wir bewusst darauf verzichtet, um auch einen Denkprozess anzuregen.

Wie war denn die Resonanz aus der Partei auf Ihr Statement?

Enttäuschenderweise war die Resonanz der CDU-Politiker sehr gering. Ich habe das Schreiben tatsächlich an mehrere führenden Köpfe der CDU gesendet, von denen nur drei reagiert haben. Die Reaktionen waren eher oberflächlich, mit typischen Dankesbekundungen für das Engagement, aber ohne wirkliche Bereitschaft zur Diskussion oder Änderung. Ich habe sogar darum gebeten, das Schreiben auch anderen Politikern innerhalb der CDU zukommen zu lassen, um eine breitere Diskussion anzuregen, aber offenbar besteht wenig Interesse daran, etwas zu verändern.

Ich kann einerseits verstehen, dass es schwierig ist, einen Text, der bereits seit einem Jahr kursiert, kurz vor der Veröffentlichung noch zu ändern. Andererseits wäre es wichtig, dass unsere Anliegen ernst genommen und diskutiert werden.

Ging es Ihnen eigentlich nur um die CDU oder steckt mehr hinter Ihrem Engangement?

Unser Anliegen ist es keineswegs, in Parteigrenzen zu denken. Vielmehr streben wir danach, dass demokratische Parteien näher zusammenrücken und dass keine taktischen Spielchen – wie aktuell in der Koalition – mehr gespielt werden. Wir haben betont, dass uns der demokratische Diskurs am Herzen liegt, denn unsere Demokratie ist ein kostbares Gut. Unser Ziel war es, die Union daran zu erinnern, dass sie sich weiterhin an christlichen Werten orientieren sollte, wie sie es in ihrem Parteiprogramm betont, und dass sie als Partei, die derzeit in Umfragen 30 Prozent erreicht, eine besondere Verantwortung trägt. Die Äußerungen einer solch einflussreichen Partei haben eine große Bedeutung und müssen entsprechend reflektiert werden.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden