Der Nürnberger Jesuitenpater Jörg Alt hat am Freitag in einem Offenen Brief an den Landtag die Proteste von Klimaaktivisten verteidigt. Schon jetzt würden auf der Welt Hunderttausende wegen der Klimakatastrophe sterben, schreibt er.

"Nicht diejenigen sollten bestraft werden, die darauf aufmerksam machen."

Vielmehr sollten Proteste dazu führen, dass umgehend über Wetterextreme, Hunger oder Flucht gesprochen und Maßnahmen ergriffen würden. Auch im Landtag müsse öffentlich über die Motivationen, Hintergründe und Inhalte des Protests diskutiert werden, so Alt, der daher eine "Aktuelle Stunde" verlangt.

Warnungen der Wissenschaft ignoriert

Der Protest sei entstanden, weil die Warnung der Wissenschaft jahrzehntelang ignoriert und seitens der fossilen Industrie manipuliert oder unterdrückt worden sei, sagte Alt auf Nachfrage des Sonntagsblatts.

"Jetzt haben wir kaum noch Zeit, das Ruder herumzureißen, bevor irreversible Entwicklungen drohen und uns bei Klimawandel und Artensterben das Heft der Kontrolle und des Handelns zu entreißen drohen."

In dem Schreiben an den Landtag wirft Alt den politisch Verantwortlichen vor, jahrelange Versäumnisse zu verschweigen. Das trage dazu bei, dass sich Hass gegen diejenigen aufbaue, die auf die Probleme aufmerksam machten. "Eine Politik, die mutig Versäumnisse einräumen würde, könnte ein Signal der Versöhnung in die Gesellschaft senden", erklärt der Priester.

Verärgert über Überreaktion der Polizei

Alt kritisiert, dass die sozial-ökologische Transformation in Bayern in keinem relevanten Bereich vorankomme und im Bundesländerindex Mobilität und Umwelt 2020/21 der Freistaat auf dem letzten Platz liege. Bayern solle sich für ein Tempolimit einsetzen, das auch der ADAC und eine breite Mehrheit in der Bevölkerung forderten, und sich für einen bezahlbaren Öffentlichen Personennahverkehr stark machen.

Verärgert zeigt sich Alt über das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Straßenblockierer in München in der vergangenen Woche. Das Vorgehen etwa gegen den 90-jährigen Pater Joe Übelmesser zerstöre Vertrauen in die Verhältnismäßigkeit und Fairness staatlichen Handelns.

"Ängstliche Gemüter haben ab sofort Angst vor Überreaktionen der Polizei und zögern entsprechend, ihr Grundrecht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit in Anspruch zu nehmen",

befürchtet Alt.

Aktivist*innen mundtot gemacht

Übelmesser und andere seien festgehalten worden, obwohl sie sich an die Anweisungen der Polizei gehalten hätten, so Alt. Außerdem seien während einer Aktionswoche in München 13 Mitglieder der Aktivistengruppe "Scientist Rebellion" für mehrere Tage in Gewahrsam genommen und so "mundtot" gemacht worden.

Jörg Alt über Klimaproteste: "Herkömmliche Mittel sind unzureichend"

Angesichts der derzeit heftigen Kritik an den Klimaprotestaktionen - denken Sie, dass Blockaden wie das Ankleben an Straßen noch produktive Diskussionen über die Klimakatastrophe auslösen?

Jörg Alt: Die Frage ist, welche Aktionen besser geeignet sind und nicht schon Jahrzehnte vergeblich versucht worden sind. Fakt ist, dass die Straßenblockaden mehr als jede andere Protestform eine öffentliche Diskussion in Gang gesetzt haben - ungleich mehr als die Farbattacken auf die Parteizentralen der Ampel, die Essenslieferung an das Justizministerium oder die Pferdemistlieferung an das Landwirtschaftsministerium.

"Der Protest ist nötig, weil die Warnungen der Wissenschaft jahrzehntelang ignoriert wurden oder gar seitens der fossilen Industrie manipuliert oder unterdrückt wurden."

Sie haben anfangs die Aktionen der "Letzten Generation" auch skeptisch gesehen, und sich dann doch deren Argument angeschlossen, dass alles Reden und Argumentieren bisher ins Leere lief. Das sehen sie also weiterhin so?

Es ist immer wieder nötig daran zu erinnern, warum dieser Protest überhaupt nötig ist. Er ist nötig, weil die Warnungen der Wissenschaft jahrzehntelang ignoriert wurden oder gar seitens der fossilen Industrie manipuliert oder unterdrückt wurden. Jetzt haben wir kaum noch Zeit, das Ruder herumzureißen, bevor irreversible Entwicklungen drohen und uns bei Klimawandel und Artensterben das Heft der Kontrolle und des Handelns zu entreißen drohen.

"Jeder, der eine bessere Idee hat, möge sie uns sagen."

Professor Jürgen Manemann, einer der Initiatoren des Klimaappells an die katholische Kirche, sprach davon, dass die Folgen der Aktionen des zivilen Ungehorsams evaluiert werden müssten. Sehen Sie da jetzt den Zeitpunkt gekommen?

Die Aktionen des zivilen Ungehorsams werden meines Wissens seitens der "Letzten Generation" laufend evaluiert. Und nochmals: Jeder, der eine bessere Idee hat, möge sie uns sagen. Aber gerade meine eigene belegbare Tätigkeit mit Kampagnen, Publikationen, Petitionen und Vorträgen zeigt doch, dass herkömmliche Mittel der Bewusstseinsbildung unzureichend waren und es jetzt auch noch sind.