In diesen Tagen habe ich das Lied "Nein, meine Söhne geb’ ich nicht" des Liedermachers Reinhard Mey im Ohr. Ein Lied, das 1986 als mahnende Ballade gegen den Irrsinn des Kriegs galt. Heute klingt es fast schon wie ein trotziges Bekenntnis zur Vernunft in einem Land, das laut über Wehrpflicht und Aufrüstung diskutiert.
An Litfaßsäulen kleben Werbeplakate der Bundeswehr: "Wie weit gehst du für unsere Demokratie?" Ich frage mich: für wessen Demokratie? Für eine, in der soziale Gerechtigkeit erodiert, in der Politiker in Talkshows von "Kriegstüchtigkeit" reden, während sie ihre Kinder in internationalen Schulen anmelden? Heimatliebe wurde den Deutschen über Jahrzehnte abtrainiert. Jetzt wird versucht, sie wiederzubeleben, aber nicht als Liebe zum Land, zu den Menschen, zur Kultur – sondern als Bereitschaft, für "unsere" Demokratie zu kämpfen. Eine diffuse Bezeichnung, mit der diejenigen, die sie skandieren, eigentlich "ihre eigene" meinen.
Es wird versucht die Jugend in Stellung zu bringen
Während früher von Kameradschaft oder gar einem Bekenntnis zu Deutschland die Rede war, wird jetzt versucht, die Jugend in Stellung zu bringen. Nicht einfach zu einer lange vernachlässigten Abwehrbereitschaft, sondern gleich gegen einen drohenden Krieg. "Gegen den Russen" spricht keiner laut aus, es ist aber gemeint.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind mehr als dreieinhalb Jahre vergangen. Die EU hat inzwischen das 19. Sanktionspaket verabschiedet – als würde das 20. den Frieden bringen?
Deutschland hat rund 34 Milliarden Euro an ziviler Unterstützung und 38 Milliarden Euro an militärischer Hilfe für die Ukraine geleistet oder zugesagt. Gleichzeitig steigen die Krankenkassenbeiträge, die Pflegestufe 1 soll abgeschafft werden; und wer morgens in der Regionalbahn steht, weiß: Das Geld wäre im eigenen Land dringend nötig. Während die Regierung die "Sicherheitsvorsorge" beschwört, zerbröckelt die innere Sicherheit des Landes an allen Ecken. Junge Menschen fragen sich, für wen oder was sie sich in den Kampf stürzen sollen.
Demokratie mit Waffen zu verteidigen muss die Ultima Ratio bleiben
Demokratie mit Waffen zu verteidigen muss die Ultima Ratio bleiben. Sie lebt aber von Dialog, Gerechtigkeit und einer Politik, die das Leben höher bewertet als den Sieg. Wir brauchen keine Rekrutierungsplakate, sondern Friedenspädagogik. Keine Aufrüstung, sondern Abrüstung. Keine Parolen, sondern Diplomatie.
Reinhard Mey sang einst: "Nein, meine Söhne geb’ ich nicht für Krieg und nicht für Schlachten." Heute, über 40 Jahre später, klingt dieser Satz aktueller denn je. Ich habe nur einen Sohn, aber angesichts dieser Kriegsrhetorik sage ich: Nein, meinen Sohn geb’ ich nicht.