Ramona traut sich. Auf den ersten paar Metern wirkt ihre Rollstuhlfahrt zwar noch ungelenk: Geradeaus zu steuern, fällt ihr schwer. Dafür muss sie die Räder synchron per Hand anschieben, sonst dreht sich ein Rad schneller als das andere. Der schmale Gehweg gerät zur Schlingerpartie. "Das ist schwieriger, als es aussieht", sagt sie. Fast wäre sie vom Bordstein gekippt, aber zwei aus der Gruppe fangen sie auf.

Wie es ist, im Rollstuhl zu sitzen und den Alltag zu bewältigen: Regensburger Studierende wollen es genau wissen und wagen den Perspektivwechsel. Dazu eingeladen hat die Evangelische Studierende Gemeinde. "Wir wollen sensibilisieren und Veränderungsprozesse anstoßen", sagt Laura, die ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) macht und das Projekt organisiert hat. Sie händigt der Gruppe ein Aufgabenpapier aus: Fahrt über verschiedene Oberflächen, fahrt mindestens eine Station mit dem Bus, sucht ein Behinderten-WC auf, wie viel Zeit müsst ihr einplanen, um an die Bahnsteige zu gelangen?

Probleme mit dem Aufzug

Ramona fährt gerade eine Bank an. Zum Kundenschalter führen ein paar Stufen, aber eine kleine Hebebühne soll Rollstuhlfahrer nach oben bringen. "Ich habe gedrückt, aber der Aufzug fährt nicht", sagt sie. In ihrem studentischen Alltag sind die jungen Leute hochfunktional, hier erleben sie Barrieren und Hindernisse, die es zu überwinden gilt. "Lass den Finger drauf", hilft Sonja weiter. Der Aufzug bewegt sich. Für das Rollstuhl-Manöver "Tür auf, Tür zu" und in die schmale Hebebühne hinein braucht Ramona Geduld mit sich selbst. Allein die Prozedur des Auf und Ab dauert etwa zehn Minuten. Da ist das Bankgeschäft noch längst nicht erledigt.

Ramona wirkt genervt und gibt den Rollstuhl an Elisabeth weiter. Sie soll den Dom ansteuern. Das historische Kopfsteinpflaster in Regensburg verlangt ihr Kraft ab: "Momentan geht es noch, aber es ist ein gutes Armmuskeltraining", sagt sie, während sie an den Rädern dreht. Die Welterbestadt rühmt sich ihrer Barrierefreiheit. Als eine der ersten mittelalterlichen Städte Deutschlands habe sie einen Inklusionsratgeber aufgelegt, heißt es auf der Internetseite. Das Besondere an dem Plan: Er kategorisiert auch die vorhandenen Oberflächenmaterialien in der Stadt, um zu erkennen, ob der Untergrund zu bewältigen ist oder nicht.

Der Dom kommt in Sichtweite. Große Schilder weisen den Weg zum Behinderteneingang. Demzufolge geht es von der Südseite über den Domgarten auf die Nordseite der Kathedrale. "Wenn man sich auskennt, kann man den Schildern gut folgen und den Eingang finden", sagt Elisabeth.

Das Ziel ist erreicht, aber das Tor zur Rampe ist geschlossen. Bei Anruf einer Telefonnummer werde geöffnet, heißt es auf einem Schild. Ein Mann am anderen Ende der Leitung erklärt, dass wegen eines bevorstehenden Orgelkonzerts kein Eintritt mehr möglich ist. "Das ist ein bisschen frustrierend, dass wir ganz außen herumgefahren sind und man jetzt nicht mehr hereinkommt", sagt Elisabeth. Die Gruppe dreht bei. Es warten weitere Aufgaben.

Details machen es schwer

Die jungen Leute steuern einen Manga-Shop mit japanischen Anime-Figuren an. Eine Rampe aus Legosteinen überbrückt die Stufen in den Altstadt-Laden. Sie ist eine der vielen Maßnahmen, die der Inklusionsbeirat der Stadt initiiert hat, um es Menschen mit Behinderung leichter zu machen. Doch im Geschäft sind die Regale wieder höher, als eine Person im Rollstuhl sie erreichen könnte. Es braucht eine Begleitperson. Und später im Supermarkt scheitert Laura fast beim Öffnen der Kühlregale, so eng stehen sie.

Es sind die Details, die es schwer machen, Dinge, die Menschen ohne Rollstuhl nicht bemerken. "Mir war nicht bewusst, wie sehr man darauf achten muss, was barrierefrei ist und was nicht", sagt die FJSlerin Laura, die den Parcours organisiert hat. Das gilt auch im Straßenverkehr, wenn plötzlich Baustellen auftauchen, wie am Hauptbahnhof. Einer der Aufzüge wird renoviert. Den andern zu finden, habe viel Zeit gekostet, erläutert Sonja. "Das war für mich eine lehrreiche Erfahrung, das am eigenen Leib zu erleben", sagt sie.

"Es geht zwar schon vieles, wenn man im Rollstuhl sitzt. Aber man braucht viel mehr Zeit und alles ist komplizierter."

Die Studierenden sprechen auch darüber, wie sich ihr Status und der Blick der Mitmenschen auf sie verändert haben, wenn sie im Rollstuhl sitzen. "Da sind auch unangenehme Blicke gewesen, so von der Seite", sagt Laura. Mitleidiges und bewusstes Wegschauen mag keiner von ihnen. Für Sonja stellt sich im Rollstuhl ein anderes Problem: "Generell muss man ja immer nach oben schauen, um dem anderen in die Augen zu sehen. Das ist keine so tolle Position."

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