Bernhard Schüßler will seine Zeit nicht mit unnötigen Kämpfen verschwenden. Er bittet um bestimmte Dinge, die ihm als blindem Politologie-Studenten das Studium in München erleichtern würden. Stößt er auf taube Ohren, versucht er, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Zum Beispiel damit, dass die Räume, in denen er studiert, noch immer nicht mit Blindenschrift versehen sind. Solche Dinge machen sein Studium allerdings ziemlich mühsam.
Der Freistaat hat sich zur Herstellung von Barrierefreiheit verpflichtet. Doch gerade an Hochschulen kommt er dieser Verpflichtung nur ungenügend nach. Die Grünen-Landtagsabgeordnete Kerstin Celina, Sprecherin für Inklusion ihrer Fraktion, sagt dazu:
"Das Thema 'Barrierefrei studieren' fand im Programm 'Bayern barrierefrei 2023' der Staatsregierung keinen strukturellen Widerhall."
So gebe es noch immer nicht an jeder Hochschule eine Beratungsstelle für Studierende mit Behinderung.
Vor dem Semester alle Weg auswendig lernen
Damit er sich an der Uni orientieren kann, läuft Schüßler vor Semesterbeginn alle Wege mit einer sehenden Person ab. "Ich lerne sie auswendig", sagt der 23-Jährige. Eigentlich ist die Beschilderung der Räume in Braille-Schrift vorgesehen, sagt eine Sprecherin der Ludwig-Maximilians-Universität. Bei Neubauten werde dies seit Jahren umgesetzt, im Altbestand tausche man die Schilder sukzessive aus. In dringenden Fällen klebe man kurzfristig Braille-Beschriftungen auf bestehende Türschilder.
Von einem Dozenten erhält Schüßler inzwischen nach wiederholter Bitte vorab die Folien zur Vorlesung. Das helfe ihm ungemein: "So kann ich die visuellen Elemente daheim mithilfe eines großen Bildschirms besser erfassen." Fast hätte er nicht mehr damit gerechnet, dass er diese Hilfestellung bekommt, wurde seine Bitte doch zuerst abgelehnt.
"Sehende haben keine Vorstellung, was man alles braucht, wenn man fast nichts sieht",
sagt Schüßler, der einen Sehrest von drei Prozent hat.
Behinderte müssen mehr Ausdauer haben
Obwohl das Studium für ihn, wie er zugibt, ziemlich mühsam ist, beißt sich Schüßler durch. Denn er hat er ein Ziel: Der junge Mann möchte verstehen, wie Politik funktioniert. Schon jetzt ist er politisch aktiv. Studierende mit Behinderung müssen mehr Ausdauer und mehr Disziplin haben, als Studierende ohne Beeinträchtigung, sagt auch Lehramtsstudentin Nina Mayer aus Eichstätt. Die 22-Jährige ist auf den Rollstuhl angewiesen. Nicht alle Unterrichtsräume sind für sie per Aufzug erreichbar.
Eine Lehrveranstaltung, für die sie sich eingeschrieben hat, kann Mayer daher nicht besuchen:
"Es soll aber möglich werden, dass ich zumindest online teilnehme."
Die junge Frau versucht, sich davon nicht die Stimmung verderben zu lassen. Manches, sagt sie, läuft auch "echt gut". So bekomme sie etwa bei langen Klausuren mehr Zeit. Zum Studienbeginn habe sie sich nicht eingestehen wollen, dass sie dies wegen ihrer Schmerzen braucht. Dann erkannte sie, wie wichtig Nachteilsausgleiche sind.
Keine Einzelfälle
Schüßler muss ständig hinterher sein, dass er alle für sein Studium notwendigen Informationen auf eine Art und Weise erhält, die er als blinder Mann verarbeiten kann. Mayer kämpft darum, dass sie an die für sie wichtigen Orte kommt. Kerstin Celina kennt beide Studierenden. Sie sind keine Einzelfälle.
"Lösungen für die inklusive Teilnahme am Hochschulleben müssen oft von den Betroffenen selbst erarbeitet werden",
sagt sie. Vor allem müssten sich Studierende outen, um Hilfen zu erhalten.
Immer häufiger versuchen Dozierende allerdings auch, ein inklusives Studium zu ermöglichen. Der inzwischen emeritierte Bienenforscher Jürgen Tautz aus Würzburg eröffnete zum Beispiel Bernhard Schneider, einem jungen Mann mit Legasthenie, vor fünf Jahren die Chance, bei ihm zu promovieren. In Augsburg studiert derzeit ein Mann Jura, der schwerstbehindert ist, im Rollstuhl sitzt, beatmet wird, nicht sprechen kann, aber mittels seines Laptops kommuniziert, so die Uni.