Zwischen einem knutschenden Pärchen und einer Familie mit Kindern sitze ich am Tisch eines kleinen Restaurants auf der Strandpromenade in der französischen Hafenstadt Le Havre. Ich blicke auf den Sonnenuntergang über dem Meer und schicke einem Freund ein Foto davon. Er hat mir dieses Restaurant etwas außerhalb des Stadtzentrums empfohlen. "Ich liebe diesen Ort, ich weiß nicht warum", schreibt er mir zurück. Und "Danke, dass du diese Reise mit mir geteilt hast! Voller Erinnerungen. Als ob ich selbst dort wäre."

Drei Tage lang bin ich mit dem Auto die französische Atlantikküste von der belgischen Grenze bis zur Bretagne entlanggefahren und habe an vielen kleinen Orten, Stränden und in Restaurants Halt gemacht, die dieser Freund mir empfohlen hatte. Eigentlich wohnt er selber in der Gegend, ist aber gerade für mehrere Monate im Ausland. Obwohl ich alleine unterwegs war, habe ich mich gut begleitet gefühlt: Er hat mir Tipps gegeben und mir seine Lieblingsplätze genannt, ich habe ihm im Gegenzug Fotos von den Orten geschickt. 

Drei Tage alleine mit dem Auto in Frankreich unterwegs genieße ich - zwei Wochen alleine würden mich überfordern

Manche Menschen möchten gerne alleine verreisen, weil sie das Abenteuer suchen oder Zeit für sich brauchen, die sie im Alltag so nicht haben. Andere würden vielleicht lieber mit einem Partner oder Freunden in den Urlaub fahren, sind jedoch gerade Single und die Freunde haben schon andere Urlaubspläne. Die Gründe, alleine zu verreisen, sind wahrscheinlich genauso vielfältig wie die verschiedenen Möglichkeiten, die man in dem Fall hat. Auch ich verreise aus verschiedenen Gründen und auf verschiedene Arten alleine und mache immer wieder neue Erfahrungen damit, was mir liegt und gut tut und was nicht. 

Meine dreitägige Reise alleine entlang der Atlantikküste in diesem Sommer war eingebettet zwischen eine Woche Urlaub mit einer Freundin und anschließend einem Besuch bei Freunden in Frankreich. Das Alleinereisen war also nur ein kleines Zwischenspiel - und ich habe es sehr genossen. Ein paar Tage lang konnte ich nun wieder ganz alleine entscheiden, ob ich an den Strand fahre oder doch noch ein bisschen durch die Stadt laufe, in welches Restaurant ich gehe und welche Musik ich im Auto höre. Wenn man vorher und hinterher mit Freunden oder Familie zusammen sein kann, tut so eine kleine Auszeit manchmal sehr gut. 

Anders wäre es für mich gewesen, wenn ich den gesamten Urlaub alleine hätte verbringen müssen. Zwei Wochen alleine ein Roadtrip durch Frankreich – das kann ich mir kaum vorstellen. Da hätte für mich nicht die Freiheit im Vordergrund gestanden, sondern die Einsamkeit. 

Die Länge eines Urlaubs alleine spielt sicher eine Rolle dabei, wie man ihn empfindet. Ganz abgesehen natürlich davon, ob man eher "freiwillig" alleine Urlaub macht oder "gezwungenermaßen", weil man keine passende Begleitung gefunden hat. 

Je mehr Wahlmöglichkeiten ich habe, desto schwieriger wird es für mich

Was mir immer wieder auffällt, wenn ich an meine Urlaube alleine denke: Sobald ich die komplette Entscheidungsfreiheit habe, bin ich überfordert. Wenn ich zwei Wochen lang jeden Tag alleine entscheiden könnte, ob ich zum Strand fahre oder mir ein Museum anschaue, hätte das für mich keinen Geschmack mehr von Freiheit, sondern von Ratlosigkeit und Überforderung. 

In Paris war ich mal ein paar Tage alleine in der Wohnung einer Freundin – und habe große Teile des Tages im Bett verbracht. Ich hätte alles machen können, aber habe fast nichts getan. Leider war das kein schönes Gefühl von bewusstem Faulenzen, sondern von Einsamkeit und völliger Antriebslosigkeit. 

Große Städte funktionieren irgendwie generell nicht für mich beim Alleinereisen. Auch in Mailand und Triest, wo ich jeweils nur zwei, drei Tage auf der Durchreise verbrachte, hatte ich nach zwei Stunden Sightseeing keine Lust mehr. Je mehr Möglichkeiten ich habe, desto schwieriger wird es. 

Ein anderer Aspekt ist es, auf der Reise Leute kennenzulernen. Auch hier macht es wieder die richtige Mischung: Ich freue mich über die Vorteile des Alleinereisens besonders, wenn ich zwischendurch auch Gesellschaft habe. Doch wie findet man die? Wer in einem Hotel oder einer Pension übernachtet, hat mit Glück ein nettes Gespräch mit den Besitzern oder dem Portier. Ich mag diesen Smalltalk, aber zu einer tiefergehenden Reisebekanntschaft führt er eher nicht. 

Hüttenwanderungen in den Bergen sind für mich die perfekte Art des Reisens geworden

Vor einigen Jahren habe ich dann die perfekte Art des Alleinereisens für mich gefunden: Mehrtageswanderungen in den Bergen! Hier passt einfach alles für mich. Ich liebe die Natur, die Berge und die frische Luft genauso wie Sport und Bewegung. 

Was mir auch sehr gut gefällt: Bei einer Mehrtagestour steht von vorneherein die Route fest. Ich suche mir meist eine bekannte Alpenüberquerung oder einen Höhenweg heraus, der zur Anzahl meiner Urlaubstage passt. Für jeden Tag steht dann die Übernachtung und damit auch der Plan für den Tag fest: Von Hütte A zu Hütte B. Während des Urlaubs muss ich also keine Entscheidungen mehr treffen – anders, als wenn ich etwa in einer Ferienwohnung im Tal bleiben und Tageswanderungen machen würde. Das ist eine große Entlastung für mich. Innerhalb dieser festen Struktur kann ich den Tag und die Wegstrecke alleine dann in vollen Zügen genießen. 

Abends auf der Hütte erwarten mich dann viele Gleichgesinnte. Die alpenländische Gastfreundschaft und die Ausstattung der Wirtsstuben lässt es nicht zu, alleine an einem Tisch zu sitzen. So kommt man ins Gespräch und hat auch meist direkt ein Thema: Woher kommst du, wohin gehst du? Welche Wanderungen hast du schon gemacht? Vielleicht auch – warum bist du unterwegs, welche Themen beschäftigen dich gerade in deinem Leben? So können auch tiefergehende Gespräche zustande kommen, mit Menschen, die man kaum ein paar Stunden kennt. Am nächsten Tag geht man dann mit schönen Gesprächen im Herzen und neuen Denkanstößen im Kopf weiter. 

Leider gibt es immer wieder unangebrachte Kommentare, wenn man alleine unterwegs ist

Natürlich laufen auch nicht alle Hüttenwanderungen so perfekt ab. Ich habe auch schon auf Hütten gesessen, wo ich mit niemandem ins Gespräch gekommen bin. Mittlerweile habe ich für solche Situationen immer ein gutes Buch dabei oder nutze die Zeit, um Tagebuch zu schreiben. 

Und einen Aspekt will ich auch noch erwähnen: Die Wahrnehmung der anderen. Auch wenn eine Wanderung alleine für mich persönlich nichts mit einem Defizit oder Mangel zu tun hat, wird es manchmal doch von außen so gesehen. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Café an einem See, wo ich lange nicht bedient wurde. Als ich dann endlich auf mich aufmerksam machen konnte, meinte der Kellner unwirsch: "Na ich dachte, da kommt noch jemand dazu." Oder der eine Abend auf einer Berghütte, wo die zwei älteren Herren am Tisch sich ganz erstaunt gaben, dass ich alleine wandere und mich fragten: "Und was sagt dein Freund dazu?" Wohlgemerkt: Von einem Freund war bis dahin nicht die Rede gewesen. 

Und für manche Menschen scheint das Alleinereisen auch zwangsläufig gleichbedeutend mit einer tiefen Lebenskrise oder einem Selbstfindungstrip zu sein. "Und, welche Themen bearbeitest du auf deiner Wanderung?" – auch diese Frage wurde mir auf einer Hütte schon gestellt. 

Mittlerweile weiß ich ziemlich gut, was mir guttut und was nicht. Das hilft auch dabei, sich unangebrachte Kommentare nicht so zu Herzen zu nehmen. Auch wenn ich in den letzten Jahren viele schöne Urlaube mit Freundinnen hatte – meine Wanderungen alleine möchte ich nicht mehr missen. Sie bedeuten für mich pures Glück. Der Rucksack für die nächste Tour ist schon gepackt.

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