Ein entspannter Pizza-Abend mit der Familie
Unter dem Titel "Partei-Programm-Pizza-Party" treffen sich mein Mann und ich an einem Freitagabend mit meiner Familie. Eine Woche lang hat mein Mann abends Parteiprogramme gelesen und mir davon erzählt. Am Nachmittag vor dem Treffen habe ich eine Präsentation mit dem Untertitel "Politik zwischen Hefeteig und San Marzano Tomaten" vorbereitet.
Die Strategie: Wir wollen es locker angehen, der Abend soll für alle schön und angenehm werden. Überhitzte Diskussionen am Esstisch über Transrechte und Verbrennerautos haben nicht nur wir, sondern auch meine Eltern satt. Stattdessen kommen wir diesmal mit Fakten im Gepäck, hübsch aufbereitet in einer Präsentation mit Pizzasymbolen und krakeliger Schrift. Bevor es richtig losgeht, gibt es natürlich selbstgemachte Pizza.
Partei-Programm-Vortrag im Wohnzimmer
Nach dem Pizzaessen setzen wir uns alle auf die Couch, schließen unsere Laptops an den Flachbildfernseher an und mein Mann und ich beginnen mit dem Vortrag. Zuerst soll es um die allgemeine politische Lage der letzten vier Jahre gehen, dann um die Errungenschaften der Ampel und schließlich um die Parteiprogramme, von denen wir aus Zeitgründen am Ende nur noch die von CDU/CSU und AfD durchgehen.
Die Präsentation orientierte sich unter anderem an den Fragen meines Vaters, die er vorher in den Familienchat auf WhatsApp geschrieben hatte: "Was ist unser größtes Problem in Deutschland?" "Was ist schlecht an der CDU?" "Was hat die Ampel erreicht?" waren einige davon.
Das Format funktioniert, wir präsentieren und alle bleiben sachlich, wir diskutieren, aber niemand schreit. Ich bin dankbar für den Vertrauensvorschuss, den meine Eltern mir und meinem Mann an diesem Abend geben, aber zu irgendwas müssen unsere beiden Master der Geisteswissenschaften ja gut sein.
Fakten für sich sprechen lassen
Es ist schon nach zwölf, als wir den Vortrag für beendet erklären, der Freund meiner Schwester hat Mühe, die Augen offen zu halten. Mein Vater dagegen, und das ist ungewöhnlich, ist hellwach. Ihn hat der Vortrag wohl am meisten bewegt, das merken alle im Wohnzimmer.
Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, ihn zum Nachdenken gebracht zu haben. Denn es ist ja nicht so, dass wir noch nie über Politik gesprochen hätten, im Gegenteil. Aber bisher waren es eher Streitereien, bei denen wir beide stur auf unseren Standpunkten beharrten. Beim Parteiprogramm-Pizza-Abend haben wir die Fakten für sich sprechen lassen, Argumente mit Quellen und Statistiken untermauert und schwarz auf weiß auf den Fernsehbildschirm gebracht. Dieser möglichst neutrale Blick auf das Geschehen war notwendig, um vom eigenen Gefühl zu einer klaren Sichtweise zu gelangen.
Demokratie setzt politische Bildung voraus
Wie kommt man überhaupt auf die Idee, seinen Eltern das Wahlprogramm vorzustellen? In meinem Fall gab es dafür keinen konkreten Aufhänger und meine Eltern haben auch nicht direkt danach gefragt. Vielmehr habe ich in den letzten Jahren immer wieder gemerkt, dass die politische Bildung meiner Eltern einige Lücken aufweist. Mein Vater hat mich zum Beispiel bei einer Autofahrt gefragt, was es eigentlich mit der Zweitstimme auf sich hat. Dass Deutschland sich an EU-Gesetze halten muss, war ihm auch neu, und als das Gebäudeenergiegesetz verabschiedet wurde, dachte er, er müsse nächstes Jahr eine neue Heizung einbauen lassen.
Ich glaube, dass Demokratie politische Bildung voraussetzt. Ohne mündige Bürger*innen, die sich informieren, funktioniert die Idee der politischen Teilhabe aller nicht. Wählen zu dürfen und damit politisch mitentscheiden zu können, ist ein Privileg, mit dem auch eine gewisse Verantwortung verbunden ist. Da ich nicht das Gefühl hatte, dass meine Eltern sich von sich aus einen Abend Zeit genommen hätten, um Wahlprogramme zu lesen, haben mein Mann und ich diese Aufgabe übernommen – mit großem Erfolg.
Andere zum politischen Engagement bewegen
Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht einmal damit gerechnet, dass der Pizza-Abend mit den Parteiprogrammen ein Erfolg werden würde, aber was dann passierte, war umso erfreulicher. Wir schicken unsere Präsentation in den Familien-Chat und schon eine Woche später treffen sich meine Eltern mit einem befreundeten Paar, um auch mit ihnen über Parteiprogramme zu diskutieren. Ein paar Tage später schickt mir meine Mutter eine Sprachnachricht: "Ich habe eure Präsentation schon an vier Arbeitskolleginnen geschickt. Alle wollen informiert werden."
Ich bin berührt von dieser kleinen Bewegung im Umfeld meiner Eltern, die wir mit einer Power-Point-Präsentation im Pizzadesign ausgelöst haben. Der politische Diskurs kann ein verbindendes Element sein und Demokratie leben kann Spaß machen – besonders mit Pizza.
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