Die evangelische Kirche müht sich ebenso wie Medien und Politik, die "Demokratie zu stärken" und "Einsatz für Nächstenliebe und Zusammenhalt" zu beschwören. Das ist common sense und daher jeglicher Kritik selbstverständlich erhaben. Die Kirche meldet sich zu Wort, um extremistischen Positionen entgegenzuwirken und zur Wahl aufzurufen.

Nun ist in einer teils unpolitischen und durch verschiedene Filterkommunikationsblasen lebenden Wohlstandsgesellschaft die Teilnahme an Wahlen eine gute Sache. Aber was ist, wenn viele aufgerüttelt sind und zur Wahl gehen, aber nicht die vermeintlich Richtigen ankreuzen? Bei der Landtagswahl in Thüringen im vergangenen Jahr gab es eine sehr hohe Wahlbeteiligung (fast 74 Prozent), das Ergebnis ist bekannt.

Es ist deshalb sehr wichtig, dass wir uns mit den Themen in unserem Land auseinandersetzen, wie von Landesbischof Christian Kopp ausdrücklich gewünscht.

Welche extremistischen Positionen sind gemeint?

Welche extremistischen Positionen sind im Aufruf zur Wahl gemeint, und gegen welche wollen wir uns wehren? Sind Demokratiefeinde und AfD-Anhänger ebenso gemeint wie Corona-Skeptiker oder Kritiker des zunehmenden Zuzugs von Flüchtlingen? Oder Menschen, die die Klimaneutralitätspolitik infrage stellen, die keine Genderneutralität wollen oder am Ende gar für Trump sind und den Ukrainekrieg durch Friedensverhandlungen, koste es, was es wolle, beenden wollen?

Für mich ist diese Frage nicht beantwortet – aber genau dazu muss die Kirche Stellung beziehen. Wer darf bei uns in der Kirche sein Wort erheben?

Der Aufruf zur Wahl spielt in einer an sich heilen Welt, die man vor Extremisten schützen müsse. Die Menschen im Land spüren, dass die vermeintlich guten, alten Zeiten, die heile Welt, vorbei sind, und haben Sorgen vor den Extremisten, der Auflösung der Rechtsstaatlichkeit, aber auch Sorgen ums Land, die Kirche, den Zusammenhalt in der Gesellschaft ganz allgemein. Die Bürger wollen gehört werden, sie möchten mit oben genannten Meinungen nicht in eine extreme Ecke gestellt werden und vor allem nicht auch noch belehrt werden, was sie zu tun und zu lassen haben.

Gerade die Kirche, aber auch Medien und die Politik haben meines Erachtens nicht verstanden, auf welchem gesellschaftlichen Pulverfass wir aktuell sitzen. Deutlich wird mir das bei dem Aufruf unseres Landesbischofs zur Auseinandersetzung: Hier wird von "Wirtschaftswandel" gesprochen, so wie man von Klimawandel spricht!

Dahinter steckt die Ansicht, dass unser Wohlstand als selbstverständlich angenommen wird und die Wirtschaft nicht in einer strukturellen Krise, sondern eben in einem Wandel feststeckt, der mit ein bisschen Unterhaken zu beheben ist. Dem ist aber leider nicht so. Es scheint viele Lenker dieses Landes wenig zu interessieren, wie unser Wohlstand erwirtschaftet und wie Werte entlang von Lieferketten wirklich global geschaffen werden. Unsere Industrie verabschiedet sich gerade in Rekordschnelle aus Deutschland; dagegen feiern die deutschen Verwaltungseinrichtungen personelle Rekordzuwächse, und alle wundern sich über den Bürokratieaufbau.

Die Konsequenzen dieses Wandels der Wirtschaft, des stufenweisen Abbaus der Industrie, einer der größten Bruttoinlandsproduktbringer Deutschlands (und globales Aushängeschild), und die Lähmung durch Verwaltung, Regulierung aus Brüssel und Berlin, wird noch nicht ansatzweise verstanden. DIE Wirtschaft gibt es nicht mehr, viele DAX-Konzerne verdienen ihr Geld im Ausland; Aktienkurse steigen auf Rekordniveau, während der Mittelstand, das Handwerk, die die Wirtschaft unseres Landes stark gemacht haben, im Regen stehen bleiben. Die Kosten für Energie bleiben hoch, die Wettbewerbsfähigkeit ganzer stolzer Wirtschaftszweige in Deutschland ist gesunken. Durch Kostensteigerungen, Krankheitsausfälle und Fachkräftemangel sinkt die Produktivität, dagegen steigen Bürokratie, Sozialabgaben und Steuerlast und gefährden die Wettbewerbsfähigkeit.

Freihandel, Binnenmarkt der EU und Zuwanderung von Fachkräften

Gerade diese Wettbewerbsfähigkeit, die Innovationskraft, vor allem die seit 1990 geöffneten Grenzen, der Freihandel, der europäische Binnenmarkt und die Einführung des Euros haben uns zu einem weltoffenen, global angesehenen Land gemacht. Auch unser Unternehmen mit Hauptsitz in Oberfranken exportiert 60 Prozent seiner Produkte in alle Welt. Das hat Deutschland zusätzlich Arbeitsplätze und Wohlstand gebracht und uns ermöglicht, in der zunehmenden Freizeit frei und viel zu reisen.

Deshalb ist es der Wirtschaft wichtig zu betonen, wie zwingend notwendig zugewanderte Menschen in unserer Gesellschaft für Produktivität und Wohlstand sind. Beides, der Freihandel und der Binnenmarkt der Europäischen Union als auch die Zuwanderung von Fachkräften, unterstützt unseren hohen Lebensstandard, deshalb sind Ideen, die sich dagegen wenden, in Deutschland fehl am Platz.

Wenn aber die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland sinkt und die Einnahmen zurückgehen, dann wird dies Auswirkungen auf Kommunen, Gesundheitseinrichtungen, Bildungsarbeit, Rentenkasse und den Staatshaushalt haben. In den kommenden Jahren werden diese Auswirkungen zu spüren sein und werden der neuen Bundesregierung eine schwere Bürde auferlegen, die im Falle des Scheiterns populistischen Parteien des rechten und linken Rands in die Karten spielen dürfte.

Ja, das klingt nicht gut und ist es auch nicht. Wen wundert es dann, dass Menschen orientierungslos sind, wenn sie merken, dass ihre Stimme nicht mehr gehört oder mit extremen Meinungen gleichgesetzt wird, dass so vieles, was unser Land ausgemacht hat, einfach nicht mehr funktioniert?

Viele verzweifeln – und hören von der Kirche nur gut gemeinte Statements

Ich kenne viele Unternehmer und Mitarbeiter, die an der aktuellen Situation verzweifeln, viele Christen, die Beistand benötigen und mit dieser geschilderten Situation und den eigenen Lebensumständen nicht zurechtkommen. Viele dieser Menschen sind wertkonservativ und Kirchenmitglieder, sie ziehen sich mehr und mehr in die Familie, vielleicht noch in die Kirchengemeinde zurück. Und sie hören von ihrer Kirche leider nur gut gemeinte Meldungen und Statements, aber kein Wort, das ihre Lebenswirklichkeit und ihre Fragen aufgreift.

Es gibt auch viele hoffnungsvolle Branchen und engagierte Betriebe, die trotz Krise wachsen und erfolgreich sind, die sich frühzeitig neu ausgerichtet haben: Digitalisierung, Start-ups, Dienstleistung, grüne Energieerzeugung und Hightech-Elektronik können sicherlich neue Arbeitsplätze schaffen. Das dauert allerdings oft viele Jahre, und das Geld muss bei einem Transformationsprozess zuvor von den Firmen verdient werden. Durch unsere Steuern können wir uns den Wohlstand und die angemessene Umverteilung des eingenommenen Geldes, zum Wohle aller, noch erlauben.

Um uns als Kirche ehrlich zu machen, müssen wir Fehler eingestehen: Die Isolation der Pflegeheime und kirchlicher diakonischer Einrichtungen während der Coronazeit muss aufgearbeitet werden, um auch wieder ein Stück Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen. Unsere Aufgabe ist es, wie dies auch an vielen Orten der Kirche dankenswerterweise geschieht, auf alle Menschen zuzugehen und Wege des Dialogs zu ermöglichen.

Die Kirche muss mit der Diakonie, ihren Pfarrern und den Ehrenamtlichen wieder nah bei den Menschen sein, sie muss für einen einfachen Zugang zur Liebe Gottes sorgen, mit dieser Botschaft Hoffnung machen, Seelsorge betreiben, Trost spenden, der Menschen Sprache sprechen. Wir sind als lebendige Gemeinschaft Christi gefordert, uns klar zu den positiv besetzten Themen wie Nächstenliebe, Pflege, christliche Werte, Ehe (zwischen Mann und Frau, gerne auch unter Einschluss aller anderen Partnerschaften) und Familie zu verhalten.

Wir dürfen uns positionieren, dass Gott die Welt inklusive Wirtschafts-, Politik- und Klimawandel (!) in seinen Händen hält. Diese Rückbesinnung auf unsere Werte und das kirchliche Tun (Diakonie, Mission, Bildung, Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Unterstützung von Schwachen) kann uns als Kirche wieder Glaubwürdigkeit bringen und den Menschen im Land Hoffnung machen.

Kommentare

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Florian Meier am So, 26.01.2025 - 18:57 Link

Ich glaube die Kirchenleitung über- und unterschätzt sich zugleich. Sie überschätzt sich, wenn sie glaubt durch relativ hohle Demokratieerhaltungsparolen die Wahl nennenswert beeinflussen zu können. Die Bürger spüren, dass egal wie sie entscheiden in jedem Fall schwierige Zeiten kommen und sich alle etablierten Parteien ein Stück weit als Problemlöser und Demokratiestärker disqualifiziert haben. Es geht da eher um das kleinere Übel und das fällt dann je nach Sozialisation unterschiedlich aus. Sie unterschätzen andererseits wie sehr die Gesellschaft sich nach etwas Wärme und Geborgenheit und Hoffnung vielleicht auch über den eigenen Alltag hinaus sehnt und was sie dazu trotz allem im Kleinen, aber doch auch in der Breite leisten kann. Sie sollte sich vor einfachen Antworten hüten. Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Wer Angst vor Verelendung oder dem Weg zum Bahnhof hat, dem ist der Klimawandel vielleicht gerade egal. Wer gerade Kinder geboren hat, denkt dagegen sicher daran in was für einer Welt sie erwachsen werden, wer um die eigene Würde kämpft, dem sind vielleicht gerade 100 Trumps Wurscht, wer Familie in den USA hat, dem gar nicht. Die Kirche darf gerne sagen, was sie für moralisch richtig und akzeptabel hält, sollte aber wissen, dass es längst viele Leute im Land gibt, die sie für moralisch völlig bankrott halten. Vielleicht wäre das Motto von Gerhard Schöne "alles muss klein beginnen" ein guter Anfang. Wir werden viel Zeit haben um "Kraft zu gewinnen", denn die Krise wird nicht im Februar enden vielleicht in zehn, zwanzig Jahren nicht und auch dann braucht es Lebensfreude bis dahin.