Der Glaube kann für Menschen eine tiefe Quelle der Hoffnung, der Inspiration und der spirituellen Verbundenheit sein. Doch was passiert, wenn die eigene Glaubensgemeinschaft wichtige Aspekte der eigenen Identität ablehnt?
José Calvo Tello, ein bisexueller Mann, der in einer evangelikalen Freikirche aufgewachsen ist, erklärt, wie herausfordernd es sein kann, als queerer Mensch in einem Umfeld zu leben, das wenig Raum für Vielfalt lässt. Seine Erfahrungen mit Ausgrenzung, sein Weg zum Outing und die Suche nach einer queerfreundlicheren Glaubensgemeinschaft zeigen das Spannungsfeld zwischen individueller Identität und kollektiven religiösen Normen.
Der Weg zum Outing
José heiratete eine Frau ("die Liebe meines Lebens", wie er sagt), bekam Kinder und outete sich 2023 als bisexuell. Sich als verheirateter bisexueller Mann zu outen, ist nicht nur in evangelikalen Kreisen eine Seltenheit. Doch für ihn bedeutete das Outing vor allem eines: Befreiung. Befreiung von dem ständigen Druck, nicht zu genügen, nicht richtig oder stark genug zu glauben.
"Um ein guter Evangelikaler zu sein", beschreibt José, "musste man nicht nur hetero, verheiratet, nicht geschieden sein und mehr als zwei Kinder haben. Man musste auch jeden Tag in der Bibel lesen, jeden Tag beten, jede Woche einen Hauskreis besuchen und jeden Sonntag in die Kirche gehen".
Die Entscheidung, sich zu outen, war schwer und wohlüberlegt. Auch wenn José heute stolz sagen kann, dass er froh ist, diesen Schritt getan zu haben – und sich wünscht, er hätte es schon früher getan -, war der Weg dorthin von Ängsten begleitet. Gemeinsam mit seiner Frau habe er sich das Outing gut überlegt. Sie hätten die möglichen Folgen sorgfältig abgewogen: die Angst vor Kränkungen, vor unvorhersehbaren Reaktionen, vor dem Bruch mit anerzogenen Überzeugungen.
"Wir haben uns genau überlegt, wie gefährlich mein Outing für uns sein könnte. Und wir haben festgestellt, dass wir selbst im schlimmsten Fall nicht wirklich in Gefahr wären. Ich würde meine Arbeit nicht verlieren, wir müssten nicht aus unserer Wohnung ausziehen, wir würden nicht alle unsere Kontakte und Freundschaften verlieren. Es gab sogar andere Gemeinden in der Nähe, die uns aufnehmen würden."
Die Reaktionen
Obwohl José mit feindseligen Reaktionen gerechnet hatte, war er von der Heftigkeit der Angriffe überrascht. Er musste sich Beschimpfungen anhören, die ihn zutiefst verletzten: Man verglich ihn mit Prostituierten und Drogenabhängigen, und das Sprechen über Queerness wurde absurderweise mit Diskussionen über den Holocaust gleichgesetzt. Besonders schmerzhaft waren jedoch die Vorwürfe, er würde seine Familie im Stich lassen und ihr Schaden zufügen.
"Und kaum jemand – nicht nur in evangelikalen Kreisen – konnte anfangs verstehen, warum ich mich überhaupt oute."
Doch nicht nur die Beschimpfungen machten ihm zu schaffen. Auch der implizite und explizite Druck, zu schweigen, sei groß gewesen, berichtet er. José sei plötzlich auf bestimmten Veranstaltungen nicht mehr willkommen gewesen – vor allem, wenn es um queere Themen ging.
Außerdem sei ihm von verschiedenen Pastoren gesagt worden, dass das, was er tue und sei, falsch sei. Ein Satz ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: "This is not an orientation, this is a deviation" - "Das ist keine Orientierung, das ist eine Abweichung". Für José ein prägnantes Beispiel für die Ignoranz, mit der queeren Identitäten in diesen Kreisen oft begegnet wird. Denn schließlich werde von queeren Menschen in freikirchlichen und evangelikalen Kreisen etwas anderes erwartet als Josés stolzer Umgang mit seiner Orientierung.
Die Erwartungen
"In evangelikalen Gemeinden gibt es die Erwartung, dass queere Menschen, vor allem Homosexuelle, Single oder zölibatär bleiben", erklärt José. Er stellt eine wichtige Frage: Wie kann eine Person unter diesem immensen Druck und den gesellschaftlichen Erwartungen sicher sein, dass sie Single ist, weil sie es wirklich will - und nicht aus Angst, die Gemeinde zu enttäuschen? Diese Unsicherheit führe dazu, dass manche queere Menschen mögliche romantische Beziehungen bewusst oder unbewusst boykottieren.
Er berichtet auch von Menschen, die diese Erwartungen erfüllen, indem sie bewusst oder unbewusst ihr ganzes Leben neu definieren. "Ich kenne bisexuelle Menschen, die nicht mehr sagen, dass sie bisexuell sind. Stattdessen sagen sie: 'Ich empfinde heute noch homosexuell', kämpfen gegen diese 'homosexuellen Versuchungen', landen schließlich in einer Frau-Mann-Ehe und erhalten dadurch die Anerkennung der Gemeinschaft. Die Botschaft dahinter ist: 'Schau, wir haben Ex-Homosexuelle, die das als Sünde erkennen. Siehst du? Veränderung ist möglich!
Die Diskriminierungskultur
Diese Mechanismen seien Teil einer tief verwurzelten Kultur der Diskriminierung in vielen evangelikalen Gemeinden. Diese Kultur äußert sich nicht nur in offensichtlichen Äußerungen oder Predigten, sondern auch in der subtilen Verweigerung alltäglicher Selbstverständlichkeiten: Händchen halten in der Öffentlichkeit, offen über Beziehungen sprechen oder sich in biblischen Geschichten wiederfinden. Gerade diese subtilen Formen der Ausgrenzung seien besonders schmerzhaft, weil sie oft nicht als Diskriminierung erkannt würden.
José betont, wie wichtig es ist, dieser Kultur aktiv entgegenzutreten. "Oft glauben Evangelikale, sie hätten das Recht, queere Menschen daran zu hindern, das zu tun, was für Heterosexuelle selbstverständlich ist. Diese Einstellung muss sich ändern.
Dennoch bleibt José skeptisch, ob es tatsächlich zu tiefgreifenden Veränderungen kommen wird. Bestenfalls ist er vorsichtig optimistisch. Bei einigen Freikirchen, etwa den Baptisten, sieht er langfristig Chancen für mehr Akzeptanz. "Ich kann mir gut vorstellen, dass die Mehrheit der Baptistengemeinden in 10, 20 oder 30 Jahren queerfreundlich sein wird", sagt er.
Für die Mehrheit der evangelikalen Gemeinden teilt er diesen Optimismus allerdings nicht. Zu tief sitzt bei ihm der Eindruck einer jahrzehntelangen Stagnation bei anderen sexuellen Themen. "Wenn sich die Evangelikalen bei Themen wie Masturbation jahrzehntelang nicht weiterentwickelt haben, warum sollte es dann bei Queerness anders sein", fragt er kritisch.
Eine neue religiöse Heimat
Nach Jahren der Ausgrenzung und des Schweigens in der evangelikalen Freikirche hat José in der evangelischen Kirche eine neue religiöse Heimat gefunden – und mit ihr ein völlig neues Verständnis des Glaubens. Das Besondere an seiner neuen Kirche sei der offene und respektvolle Kommunikationsstil.
"Ich merke jetzt, wie oft es in evangelikalen Kreisen vorkam, dass Fragen einfach unbeantwortet blieben. Als wäre die Frage nie gestellt worden, als gäbe es die Person gar nicht", beschreibt er rückblickend. In seiner neuen Gemeinde sei das anders: "Hier bekomme ich Antworten - nicht immer die, die ich mir wünsche, aber sie sind nachvollziehbar, respektvoll und ehrlich. Man redet miteinander und nimmt sich ernst.
Besonders wichtig ist José, dass er in seiner neuen Kirche Kritik äußern kann, ohne sich schlecht zu fühlen.
"Ich kann sagen: Unsere Kirche ist nicht queerfreundlich genug, nicht kinderfreundlich genug oder nicht ausländerfreundlich genug - und keiner sieht mich deswegen als Gefahr."
Diese Freiheit ermöglicht es ihm, seinen Glauben authentisch zu leben. Auch das Gebet hat er in diesem neuen Umfeld für sich wiederentdeckt. Während es in evangelikalen Kreisen oft als "emotionale Waffe" eingesetzt worden sei, sei es nun etwas Persönliches und Kraftvolles geworden. "Das Gebet wird nicht benutzt, um Menschen zurechtzuweisen oder Entscheidungen zu verurteilen, wie es in evangelikalen Kreisen der Fall ist. Ich entdecke das Gebet neu."
Wenn Queerness und Glaube Nächstenliebe leben
Diese neue Art, seinen Glauben zu leben und zu verstehen, teilt José, indem er im Organisationsteam von queeren Gottesdiensten mitarbeitet. Diese Gottesdienste folgen einer klassischen liturgischen Struktur, sind aber mit modernen Elementen angereichert: Popmusik, Lichtinstallationen mit queeren Flaggen und Segnungsstationen, an denen die Teilnehmenden selbst entscheiden können, ob und wie sie gesegnet werden möchten.
"Damit haben wir ein klares Zeichen gesetzt: Du hast das Recht, über deinen Körper zu entscheiden, und wir in der Kirche respektieren das", betont José. Es seien Gottesdienste, die nicht fragten: Was braucht die Kirche? Oder: Was brauchen die Konservativen, um das zu akzeptieren? - sondern: Was brauchen wir, die Queers? Selbstbestimmung stehe hier im Mittelpunkt, eine gelebte Spiritualität, die Individualität zulasse und feiere.
Doch José bringt nicht nur seine Queerness respektvoll in die Kirche ein – auch die queere Community begegnet seinem Glauben mit Offenheit und Wertschätzung.
Eine Erfahrung, die ihn selbst überrascht hat. "Ich dachte, wenn ich mich in queeren Kreisen als Christ oute, würde ich auf ähnliche Ablehnung stoßen wie umgekehrt. Aber das Gegenteil war der Fall. Statt Skepsis oder Vorurteilen begegnet er Respekt, Interesse und oft sogar Unterstützung.
"Eine Person auf einer queeren Veranstaltung sagte neulich zu mir: 'Ich bin Atheistin, aber ich finde es toll, dass es Christen wie euch gibt.' Solche Worte berühren mich sehr."
Für José zeigt diese Erfahrung, dass sich Queerness und Glaube nicht ausschließen müssen. Vielmehr sieht er darin einen Ausdruck gelebter Nächstenliebe.
"Ich bin immer wieder überrascht, wie präsent in der queeren Community der Gedanke ist, sich um alle zu kümmern – vor allem um die, die benachteiligt sind. Es wird darüber nachgedacht, ob Räume barrierefrei sind, wie sich Nicht-Cis-Personen wohlfühlen oder wie man Menschen mit anderen Muttersprachen einbeziehen kann. Diese Haltung der Nächstenliebe erinnert mich sehr an die christlichen Werte, die ich mir immer gewünscht habe."
Kommentare
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Allein an der Vielzahl der…
Allein an der Vielzahl der Kommentare sieht man: aufwühlendes Thema!
Die Gratwanderung zwischen Halt und Enge, die in evangelikalen Kreisen oft schwierig sein mag (nicht nur bei der Frage der sexuellen !) ist für mich persönlich immer wieder spannend - die hier sehr pauschale Verurteilung aus der Verletztheit heraus verständlich, aber zu einseitig.
Ich kenne homosexuelle Menschen, die furchtbar gelitten haben, bis sie eine selbst-sichere Einstellung gefunden haben. Natürlich müssen diese Menschen in der Kirche Halt und Segen finden.
Aber: als herkömmlich heterosexuell lebender Mensch möchte ich nicht vorschnell als konservativ (und damit weniger „richtig“?) abgestempelt werden!
Man darf nicht Diskriminierung des Einen mit nun Verächtlichmachen des Anderen „wettmachen“ wollen. Unrecht darf nicht mit Unrecht vergolten werden. Das ist Selbstjustiz statt Nächstenliebe.
Wenn an einigen theologischen Fakultäten inzwischen verlangt wird, dass über „Gott:In“ geschrieben wird, wenn in unserem Weihnachtsgottesdienst nur noch den Hirtinnen (ohne Stottern, ohne Binnen-I) der Segen zugesprochen wird, die anderen 50 % der Menschen folglich leer ausgehen, obwohl „allem Volk große Frude“ widerfährt, dann geht mir das zu weit!
Zunächst einmal ist es…
Zunächst einmal ist es bedauerlich was Herr Jose erleben musste und gut, dass er offenbar jetzt ein für sich gutes und stärkendes Umfeld gefunden hat. Allerdings finde ich weder pauschalen Schießen gegen Evangelikale angebracht, auch wenn dort ein repressives Umfeld vielleicht nicht so selten ist, noch ein pauschalen Freisprechen der landeskirchlichen Gemeinden. Letztere mögen mehrheitlich liberaler sein, aber es gibt auch Freikirchen, die am Ende den Mensch sehen und Fuenfe gerade sein lassen und Menschen in den Landeskirchen, die evangelikal denken und Lästermäuler und Ungustl gibt es sowieso fast überall. Unabhängig von der Organisation finde ich daher wichtig, dass man bereit ist die Reissleihne zu ziehen, wenn es in der Gemeinde uebergriffig wird und Gottes Wille mit Gemeindewille verrührt wird und moralischer Druck aufgebaut wird. Das ist im städtischen Bereich mit vielen Angeboten freilich leichter als im ländlichen Raum.
José beschreibt seine…
José beschreibt seine individuellen Erfahrungen mit verschiedenen Freikirchen und der evangelischen Kirche. Der Artikel schildert also seine eigene, durch Erfahrung gewonnene Sicht der Dinge und keine pauschalen Äußerungen.
Allerdings wäre ich sehr interessiert, wenn Sie evangelikale Freikirchen nennen könnten, in denen Personen aus der LGBTIQ-Community ein selbstverständlicher, in keiner Weise benachteiligter Teil der Gemeinde sind, wo sie Ämter innehaben, predigen und wo ihre Ehen und Partnerschaften gesegnet werden. Um diese Gleichberechtigung und Gleichbehandlung geht es nämlich - nicht, wie Sie schreiben, dass Gemeinden "am Ende den Mensch sehen und Fünfe gerade sein lassen": "Fünfe gerade sein lassen" bedeutet, großzügig über etwas hinwegzusehen, das nicht in Ordnung ist. Das hieße, dass Freikirchen Queersein nur in diesem Sinne akzeptieren - mithin, dass sie Queersein eben als nicht in Ordnung ansehen, wenn nicht gar als Sünde, und es wenn überhaupt, dann nur gnädig akzeptieren.
Eine solche Haltung ist glasklar Diskriminierung queerer Personen, Abwertung, wenn nicht gar in stärkeren Ausprägungen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, von der José u.a. berichtet. Wie kommen Menschen dazu, anderen Menschen zu suggerieren, dass sie so, wie Gott sie geschaffen hat, nicht in Ordnung sind? Das müssen sich Christen, die andere Personen diskriminieren, schon fragen lassen. Es geht auch nicht um einzelne Lästermäuler, die es fraglos überall gibt, sondern um eine sehr ernst zu nehmende systematische Ausgrenzung und Abwertung bestimmter Personengruppen.
Und Sie glauben das gäbe es…
Und Sie glauben das gäbe es in den Landeskirchen nicht? Natürlich macht es einen großen Unterschied wie die Kirchenleitung dazu steht, aber sie kann nicht durchregieren schon gar nicht in die Köpfe der Gläubigen. Solange Olaf Latzel oder Peter Hahne als Onlinepfarrer durch die Kirchen ziehen und ihre liebevollen Grüße versenden, wäre ich mit diesbezüglichen Selbstgewissheiten vorsichtig. Es ist ausserdem eine Tatsache, dass in der Bibel diskriminiert wird und Christen egal welcher Konfession und Organisation damit genauso wie mit dem Universalismus umgehen müssen, wenn sie ihren Glauben ernst nehmen. Die Lesung zum Ewigkeitssonntag ist so ein klassischer Text, der die Diskriminierung durch Gott selbst ankuendigt. Mit freikirchlichen Beispielen kann ich ihnen nur bedingt dienen, weil ich mich nur selten in solchen Kreisen bewege. Es gibt nur die anekdotische Evidenz der Personen, die über ihr Outing berichtet haben und das ging eben von desaströs bis überraschend positiv (wenn auch vielleicht ausgehend von extrem niedrigen Erwartungen). Im Artikel wird ja zumindest angedeutet, dass es auch in den Freikirchen eine Bandbreite gibt und das entspricht auch meinem Erleben bei den zugegeben überschaubaren Begegnungen mit deren Mitgliedern. Mir ist nur aufgefallen, dass hier mit schöner Regelmäßigkeit Artikel mit Anti-freikirchlicher Schlagseite erscheinen, die recht pauschal daherkommen: Pickerl drauf und fertig. Das finde ich angesichts der eigenen Kirchengeschichte und -gegenwart fragwürdig und etwas verlogen. Das heißt nicht, dass Freikirchen außerhalb jeder Kritik stehen oder man konkrete Missstände nicht benennen soll. Wir (die Guten?) und diese anderen da, ist mir dann aber doch etwas zu billig, gerade, wenn man sich über Diskriminierung mokiert. Lieber als die Detektion des Bösen wäre es mir einmal theologisch und aus der eigenen Glaubenspraxis heraus zu begründen, warum wir bestimmte Dinge anders bewerten als es andere Christen tun. Das ist mühsam stärkt aber in der konkreten Herausforderung und macht zudem für eigene Unsicherheiten und Fehlschlüsse sensibel.
Keiner hat hier pauschal die…
Keiner hat hier pauschal die Landeskirchen exkulpiert: Diese Lesart tragen Sie selbst in die Diskussion hinein. Es handelt sich bei dem Artikel um einen Erfahrungsbericht, nicht um eine Promotion zum Thema "Queerness in den Kirchen".
Mit Verlaub: Sie werfen theologische Nebelkerzen, statt sich dem in Josés Erfahrungsbericht aufgezeigten sehr ernsten Problemfeld zu stellen. Ganz sicher haben auch Sie Gelegenheit, aktiv dazu beizutragen, dass in Kirchen keine Personen aufgrund unveränderbarer Merkmale abgewertet und ausgegrenzt werden. Abwertung und Ausgrenzung sind keine Bagatellen, wie man insbesondere an der deutschen Geschichte unschwer erkennen kann: Sie sind die Keimzelle von Terror, Tyrannei und alle Formen der Gewalt. Aus meiner Sicht ist es eher billig, da erst noch mühsam nach theologischen Begründungen suchen zu wollen, statt die Augen aufzumachen.
Nun hat unsere Generation inner- und außerhalb der Kirchen heute mehr denn je die Verantwortung, entschieden für eine menschenfreundliche, inklusive, demokratische Gesellschaft einzustehen und diese jeden Tag, im Kleinen und im Großen, zu leben und zu gestalten. Auf geht's!
Nebelkerzen sind eher die…
Nebelkerzen sind eher die Buzzwordgirlanden inklusiv, menschenfreundlich, demokratisch, denn so bezeichnen sich von Stalinlisten bis weit in rechtsnationale Kreise hinein heute fast alle. Firmen betreiben Pink-, Regenbogen- und Greenwashing zumindest auf der Fassade. Davon halte ich als Anhänger des Augsburger Bekenntnisses gar nichts. Denn so sehr man den alten Polterer und teilweise Menschenfeind, Luther kritisieren mag, seine klare Sprache und Aufrichtigkeit sind eher positiv zu vermerken. Ich finde es gut, wenn heute gleichgeschlechtliche Paare in meiner Kirche gesegnet und gefeiert werden, wenn sie nicht mehr ein Ort des Schreckens und der Suppression ist, weil das theologisch begründbar und ihre Bestimmung ist. Aber das macht die Kirche nicht zu einer Vorkaempferorganisation für die Emanzipation. Die Kirche ist nämlich tatsächlich noch ziemlich bunt und man trifft dort auf liberale, linke wie sehr konservative Laien wie Pfarrer und das führt auch zu Spannungen und Enttaeuschungen. Etwas anderes vorzugaukeln wäre unredlich und genau dieser Pluralismus ist schon seit den Urgemeinden ein Wesenszug des Christentums im Allgemeinen und des Protestantismus insbesondere und ja das hat auch sehr dunkle Aspekte. Die Kirche arbeitet gerade COVID, Missbrauch auf und auch die NS-Zeit beschäftigt uns bis heute, wenn auf einmal Glocken mit Hakenkreuzen auftauchen oder ein Vikar in alten Gemeindedokumenten stöbert. Die Kirche sollte sich in Demut üben. Sie besteht aus einem kleinen Haufen liebenswerter und hoffentlich auch liebevoller Sünder mit vielen Macken und Kanten. Sie ist kein besserer Ort sondern will einen Vorgeschmack einer besseren Welt geben. Das ist schwer genug und gelingt nicht immer. Es stimmt, dass hier nur ein Erlebnisbericht widergegeben wurde, der theoretisch für sich steht und das habe ich auch anerkannt, aber die Behandlung des Themas ist in diesem Medium seltsam unbalanciert und hat mit meinem Erleben verschiedener Gemeinden nicht soviel zu tun. Es geht dabei nicht um diesen Artikel allein oder gar darum dem Protagonisten seine Erfahrungen abzusprechen sondern um die Summe der Berichterstattung und das, was ich über die Jahrzehnte in verschiedenen Gemeinden so erlebt und gehört habe.