Queere Theologie ist derzeit ein viel diskutiertes Thema. Sie gilt als äußerst relevant, ist aber auch umstritten. Die Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilian-Universität München widmete ihren Dies Academicus dem Thema. 

Queer: Gefahren in Gesellschaft und Kirche

Bereits in den Begrüßungsworten wurde die Tragweite des Themas deutlich: Queere Theologie gewinnt einerseits an Relevanz in Gesellschaft und Kirche, andererseits nehmen queerfeindliche Anfeindungen zu.

Diese Anfeindungen machen auch vor der Universität nicht halt. Nora Meyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Ethik an der LMU, berichtete von einer queerfeindlichen Schmiererei an der Tür der Evangelisch-Theologischen Fachschaft. Solche Aktionen seien demokratiegefährdend, so Meyer. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zu queeren Jugendlichen zeigt, dass die Mehrheit von ihnen bereits diskriminiert wurde, insbesondere in der Schule.

Eine politische Antwort Bayerns auf diese Bedrohungslage ist jedoch nur schwer erkennbar. Im Gegenteil: Markus Söder, der Ministerpräsident Bayerns (CSU), kündigte kürzlich an, dass das Gendern in Schulen und Behörden des Freistaats verboten wird. Wasser auf die Mühlen von queerfeindlichen Denkweisen.

Sichere Räume für queere Menschen

Mathias Wirth, Professor für Systematische Theologie an der Universität Bern, plädierte in seinem Eröffnungsvortrag dagegen für sichere Räume für queere Menschen im kirchlichen Kontext. Queere Menschen benötigen solche Freiräume, um atmen und sozial überleben zu können. Er betonte die Aufgabe der Theologie, das Prinzip der Raumgebung ethisch zu konkretisieren.

Vera Uppenkamp, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn, betonte in ihrem Vortrag, dass es kaum aktuelle Forschung zu den Erfahrungen queerer Personen gebe. Queere Schüler*innen erlebten enormen Stress, der mit ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit verbunden sei.

Eine Analyse von Religionsschulbüchern zeige, dass der Religionsunterricht nach wie vor heteronormativ geprägt ist und der Stress der Betroffenen zunehme. Uppenkamp postulierte, dass religiöse Bildung queer veranlagt sei und queere Theologie dazu beitrage, Heteronormativität im Religionsunterricht abzubauen.

Heteronormative Vorstellungen

Wie wirken sich heteronormative Vorstellungen und religiöse Symbole im Kinderspielzeug aus? Dieser Frage wurde in einem der Workshops nachgegangen. Die Teilnehmenden analysierten in Kleingruppen Katalogseiten für Weihnachtsspielzeug aus queer-theologischer Perspektive. Anschließend inszenieren sie die Weihnachtsgeschichte mit verschiedenen Spielfiguren.

Das Ziel war es dabei, konventionelle und heteronormative Darstellungen der Weihnachtsgeschichte zu hinterfragen und das Krippengeschehen ästhetisch und kritisch neu zu gestalten. Das Ergebnis war eine offene, fantasievolle und partizipative Inszenierung. Von "Frauen und Co. aus dem Morgenland" bis hin zur "Mutter Gottes als Schlangentöterin" wurde das starre heteronormative Familienbild aufgebrochen.

Krippenspiel anders

Triggerwarnung: Brutale Sprache gegenüber Frauen

Anhand von alttestamentlichen Textbeispielen aus der Exilzeit wurden in einem weiteren Workshop hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen vorgestellt und verschiedene Passagen übersetzt. Der Workshopleiter Kai Krause, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Altes Testament an der Universität Bochum, wies auf möglicherweise belastenden Inhalt hin.

Anhand der Bilder wurde sehr deutlich, wie brutal die Sprache in den einzelnen Prophetenbüchern gegenüber Frauen ist. Frauen dienen oft als Abgrenzung zu den 'starken' Männern, die beispielsweise im Zusammenhang der Zerstörung Babels 'zu schwachen Frauen werden' (Jer 51,30).

Es wurde auch klar, dass das Geschlecht in den Texten nicht biologisch, sondern als soziales Konstrukt betrachtet wird. Das Verhalten bestimmt, wie die Akteure als Geschlecht wahrgenommen werden. Diese Beobachtung führt zur Frage nach der Handlungsmacht und den Einflussmöglichkeiten der Frauen, da sie in den Texten lediglich fremd- und vorherbestimmt reagieren.

LMU Innenhof

Queere Theologie zwischen Dekonstruktion und Innovation

Die abschließende Podiumsdiskussion widmete sich der Bedeutung der queeren Theologie für die theologische Forschung. 

Die Teilnehmenden waren sich einig, dass das Feld der queeren Theologie komplex ist und weitere Diskussionen erfordert. Dr. Benedikt Bauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum, betonte, dass sie weniger ein feststehendes Konzept ist, sondern vielmehr eine innere Forschungshaltung darstellt. Zudem stellte er die provokante These auf, dass Theologie aufgrund ihrer Auseinandersetzung mit der Transzendenz per se queer ist.

Sonja Thomaier, Promovend*in an der Universität Hildesheim und ehrenamtliche Pastor*in der Queersensiblen Seelsorge in Hannover, plädierte für einen offenen Dialog und Neuentdeckung der potenziell produktiven Synergien zwischen der Queer Theory und dem materialistischen Feminismus. Thomaier betonte die Notwendigkeit, Schnittmengen herauszuarbeiten und die Frage nach einem guten Leben in Zeiten multipler Krisen zu repolitisieren. Die Queer-Theory allein reiche dafür nicht aus, es bedürfe eine*r Dialogpartner*in.

Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion war die Bedeutung der Dekonstruktion. Zwar sei Dekonstruktion wichtig, um bestehende Denkmuster zu hinterfragen, doch dürfe die Theologie nicht bei Kritik und Infragestellung stehen bleiben, so Pezzoli-Olgiati, Professorin für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte an der LMU. Auch Bauer merkte kritisch an, dass Dekonstruktion ein elementarer Bestandteil queerer Theorie sei und nicht ersetzt werden könne. Dennoch sei der Innovationsaspekt von großer Bedeutung.

Thomaier ergänzte, dass Dekonstruktion lediglich der Ausgangspunkt sei und nicht das Ziel. Queere Theologie müsse alternative Perspektiven aufzeigen und Vorschläge machen. Es genüge nicht, Privilegien und Machtstrukturen offenzulegen. Die Frage nach einem guten Leben für alle müsse dennoch gestellt werden.

7 To-Dos für Verbündete in Kirche und Theologie

Was können wir in der Kirche und universitären Theologie unternehmen, um diskriminierte Menschen zu unterstützen. Eine etwas andere To-Do-Liste vor dem Sommerurlaub für gute Verbündete. Von Carlotta Israel

1. Pronomen in Mailsignaturen und Hinweise, wie mensch angesprochen werden möchte, 

2. All-Gender-Toiletten mit Menstruationsprodukten, 

3. Gegenständliche Barrieren in Gemeindehäuser, Kirchen und kirchliche Häuser und Universitätsgebäude abbauen, 

4. Bildprogramme von Kirchen reflektieren, 

5. Bildprogramme von Gemeindebriefen reflektieren, 

6. zusätzlich zur Sprache auch liturgische Sensiblität (bspw. nicht Psalmen im Wechsel zwischen Frauen und Männern sprechen lassen) 

7. Kooperationen mit Bildungsvereinen und -institutionen, die Workshops anbieten.

Den vollständigen Artikel hierzu findest du hier.

Kirche & Queer: Ein Lexikon

Der Begriff "queer" steht für Personen, deren sexuelle Orientierung nicht heterosexuell ist, sowie Geschlechtsidentitäten, die nichtbinär oder nicht-cisgender sind. In unserem Sonntagsblatt-Lexikon erklären wir die Begriffe – und erläutern, wie die evangelische Kirche zum Thema steht; oder wir stellen Personen vor, die sich mit einem der Begriffe identifizieren.

Hier geht es zum Sonntagsblatt-Lexikon "QUEER".

Kommentare

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sneaky am So, 31.12.2023 - 10:47 Link

Glauben Sie in der Redaktion/ auf diesem Symposion eigentlich, dsss sich das, was da im neuen Testament geschildert wird, so zugetragen hat? Oder war das schon damals nur die Erfindung alter weisser chauvinistischer Männer? Ist die Interpretation des Neuen Testaments für alle Evangelischen Meinungsbildner u Mainstreamschwimmer nur noch das argumentative Vehikel, um die Gesellschaft in die gwünschte Rivhtung zu transformieren? Wie sieht „queernormatives“ Spielzeug aus. Hier schreibt Ihnen kein Theoretiker aus der Wertschätzungsblase sondern ein stinknormaler schwuler Christ.

flomeidinger am So, 31.12.2023 - 02:34 Link

Da hat sich aber ein Fehler eingeschlichen! Prof. Pezzoli-Oligati ist bei uns Professorin für Religionswissenschaft und nicht Religionspädagogik.

Karl-Heinz Brendel am Don, 28.12.2023 - 21:01 Link

Wenn die Kirche sich den Schutz der Minderheiten zum Thema macht, finde ich klasse!
Alle Menschen sind vor Gott wertvoll.
Eines noch:
Wenn man so eine Aktion publiziert und sogar eine eigene "Theologie" daraus machen will, müsste man aber die Begriffe klar darstellen und vor allem aud Deutsch erklaären. "Queer-Theory" klingt zwar modern und "cool", bringt so aber gar nichts.