Auch an grauen Herbsttagen zieht das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas auf einer Lichtung im Berliner Tiergarten zahlreiche Besucher an. Einzelne Touristen und Paare machen Handy-Fotos des Wasserbeckens mit einer steinernen Stele, auf der stets eine frische Blume liegt.
Ein ständig sich verändernder Geigenton als Teil des Ortes lässt rund um das Denkmal keine Ferienstimmung aufkommen. Am zehnten Jahrestag der Übergabe des Denkmals wird am 24. Oktober im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine ergänzende Zusatzausstellung eingeweiht.
Geschichte der Verfolgung
Auf Glasplatten neben dem Wasserbecken lesen Besucher die Geschichte der Verfolgung der Minderheit während des Nationalsozialismus. In der Ergänzungsausstellung werden neun Schicksale einzelner Opfer erzählt. Daneben soll sie Informationen über die europaweite Dimension des Völkermords, den Widerstand, die Situation der Überlebenden nach dem Krieg sowie Bürgerrechtsbewegungen der Roma und Sinti geben.
Die Funktionsweise des Denkmals mit dem unterirdischen Tunnel, über den stets frische Blumen auf die Stele gelegt werden, und dem Geigenton sehen Verbände von Sinti und Roma durch geplante Bauarbeiten für eine neue S-Bahnlinie bedroht. Der Vorsitzende des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, signalisierte mittlerweile Gesprächsbereitschaft über einen veränderten Entwurf. Sinti und Roma könnten sich als Teil der Gesellschaft einem so wichtigen Projekt nicht in den Weg stellen, sagte Rose zur geplanten unterirdischen S-Bahnlinie.
Mahnmal hat zum Bewusstsein für Völkermord beigetragen
Voraussetzung sei, dass die Funktionsweise des Denkmals nicht in Mitleidenschaft gezogen werde, sagt Rose. Das Mahnmal habe zum Bewusstsein für den Völkermord an den Sinti und Roma beigetragen. Die Corona-Pandemie und die Folgen des Kriegs in der Ukraine hätten aber zu mehr Antiziganismus geführt.
Die Bundesvereinigung der Sinti und Roma (BVSR) bleibt dagegen bei ihrer kritischen Haltung. Auch im veränderten Entwurf für die S-Bahnlinie sei geplant, Bäume zu fällen. Diese sorgten aber als Teil des Denkmals für die nötige Ruhe, sagt Romeo Franz. Der BVSR-Generalsekretär komponierte und spielte die Geigenmelodie des Denkmals ein. Franz erinnert daran, dass der Urheber des Mahnmals, der 2021 verstorbene israelische Künstler Dani Karavan, angekündigt hatte, dieses notfalls mit seinem eigenen Körper vor Beeinträchtigungen schützen zu wollen.
Opfer zweiter Klasse?
Nach den vorliegenden Bahn-Plänen werde es neben dem Wasserbecken ein jahrelanges Baufeld geben. Auch der zum Denkmal gehörige Arbeitstunnel zur Stele werde verändert, kritisierte Franz. Sinti und Roma fühlten sich dadurch als "Opfer zweiter Klasse" behandelt.
Das Bauvorhaben sei eine "erhebliche Verletzung der Menschenwürde unserer deportierten und ermordeten Menschen", sagt auch die BVSR-Vorsitzende Kelly Laubinger:
"Ihnen wurde schon einmal die Würde genommen und wir möchten, dass das Denkmal nicht angetastet oder sogar zerstört wird."
Das Mahnmal war im Jahr 2012, zwanzig Jahre nach einem entsprechenden Bundestagsbeschluss eingeweiht worden. Ein Gedicht auf dem Rand des Wasserbeckens erinnert an das Leiden der Opfer. Für die Bundesvereinigung der Sinti und Roma ist es nicht nur ein Denkmal, sondern auch ein Ort, an dem Angehörige um Tote trauern können, für die es keine Gräber gibt.
"Ich selbst habe sechs Angehörige verloren, fünf davon kann ich nie besuchen", sagt der BVSR-Generalsekretär. Das Mahnmal sei der Ort für das Gedenken an seine verstorbenen Familienmitglieder. Den für das Bauvorhaben Verantwortlichen wirft er mangelnde Sensibilität vor. Franz äußerte sich jedoch zuversichtlich, dass die amtierende Berliner Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) mit dem Verband ins Gespräch kommt.
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