An deutschen Hochschulen sind Sinti und Roma nach Ansicht von Radoslav Ganev vom Studierendenverband der Sinti und Roma in Deutschland nach wie vor unterrepräsentiert. Zwar lägen genaue Zahlen hierzu nicht vor, da sich viele Angehörige dieser Minderheit aus Angst vor Diskriminierung nicht outen, sagte er im Gespräch mit dem Sonntagsblatt anlässlich des Tags der Roma am 8. April. Häufig sei ihre Generation die erste in der Familie, die nun studiere.

Herr Ganev, vieles, was man über Sinti und Roma denkt, gehört ins Reich der Fabeln. Mit welchen antiziganistischen Mythen und Stereotypen werden denn Studierende konfrontiert?

Ganev: Wir erleben, dass Sinti und Roma an Hochschulen vor allem mit viel Unwissen konfrontiert werden. Und dass sich Professoren ihrer eigenen Rassismen nicht bewusst sind. Das wurde zum Beispiel bei einer Lehramtsstudentin deutlich, die eine historische Arbeit über die Stigmatisierung von Sinti und Roma schrieb.

Ihr Professor, der nicht wusste, dass sie selbst der Minderheitengruppe angehört, schrieb unter die Arbeit einen hochgradig antiziganistischen Kommentar. Er meinte in etwa, dass die Minderheit selbst daran arbeiten müsste, dass sie von der Mehrheit nicht mehr diskriminiert wird. Nach meiner Ansicht, und ich bin auch Dozent, war die Arbeit außerdem zu schlecht bewertet.

Zur Person: Radoslav Ganev

Radoslav Ganev wurde 1986 im bulgarischen Kyustendil geboren. 1995 emigrierte er mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Deutschland. Ab 2007 studierte er Politikwissenschaft und Geschichte in Bamberg. Der Münchner ist Gründungsmitglied und zweiter Vorstand des Studierendenverbands der Sinti und Roma in Deutschland.

"Sinti und Roma, die überlebt haben, wurden lange weiter diskriminiert - vor allem auch in Schulen."

Ihr Verband will Sinti und Roma an Hochschulen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wie gut wird Ihr Angebot angenommen?

Ganev: Unser Verband wurde Ende 2020 gegründet, seither hatten wir schätzungsweise 50 bis 70 Anfragen. Ich hatte zum Beispiel kürzlich ein Beratungsgespräch mit einer Studentin, die als erste in ihrer Familie das Abitur gemacht hat. In ihrer Heimatstadt konnte sie das, was sie wollte, nicht studieren, weil ihr Abitur nicht gut genug war. Nun wusste sie nicht, was sie machen sollte. Ihre Eltern konnten sie nicht unterstützen.

Bei Sinti und Roma aus Deutschland ist es häufig noch so, dass sie als erste in ihrer Familie studieren. Das liegt daran, dass die geistige Elite im Holocaust vernichtet wurde. Und Sinti und Roma, die überlebt haben, wurden lange weiter diskriminiert - vor allem auch in Schulen.

Was war für Sie persönlich die Triebfeder, sich im Studierendenverband der Sinti und Roma zu engagieren?

Ganev: Ich hätte mir als Student selbst einen solchen Verband gewünscht. Möglicherweise hätte ich mich dann getraut, mich zu outen. Das tat ich während meiner gesamten Studienzeit nicht, was an den Erfahrungen meiner Eltern und Großeltern liegt, die mich stark geprägt haben. Meine Mutter zum Beispiel wurde in Bulgarien, woher wir stammen, massiv auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Sie warnte mich, ich sollte auf keinen Fall zum Thema machen, dass ich Roma bin. Ich würde dann darauf reduziert und Nachteile erfahren. Möglicherweise würden mir meine Fähigkeiten abgesprochen.

Hätte es zu meiner Zeit schon einen Studierendenverband gegeben, hätte ich sicher auch eine andere Diplomarbeit geschrieben. Ich schrieb über die Repräsentation ethnischer Minderheiten und ging dabei auf das Wahlverhalten Türkischstämmiger und Russlanddeutscher ein. Lieber hätte ich über Sinti und Roma geschrieben. Das hatte ich mich nicht getraut, aus Angst, mich zu outen.

Ausstellung "Gern gesehen: Sinti und Roma"

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