Freitagspredigten in deutschen Moscheen sind keineswegs eine Quelle für Radikalisierung – entgegen der weitverbreiteten öffentlichen Wahrnehmung. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsprojekt des Zentrums für Islam und Recht in Europa (EZIRE) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).
Die Predigten, so das Fazit der Wissenschaftler*innen, beschäftigen sich mehrheitlich mit ethischen Fragen des Alltags, zwischenmenschlichen Beziehungen und gesellschaftlichem Engagement.
"Völlig akzeptable Inhalte"
"Die Predigten, die in den Moscheen der bekannten türkischstämmigen Verbände gehalten werden, haben völlig akzeptable Inhalte und beinhalten nichts, an was man sich reiben müsste", erklärt Projektleiter Jörn Thielmann. Der Islamwissenschaftler und Geschäftsführer des EZIRE betont, dass Hasspredigten für den durchschnittlichen Moscheebesucher nicht zum Alltag gehören.
Stattdessen thematisierten die Prediger regelmäßig Bildung, Respekt in der Familie, Nachbarschaft, Umweltschutz und den Einsatz für Bedürftige – Inhalte, "die auch jeder nicht gläubige Mensch unterschreiben könnte", so Thielmann.
Auch werde immer wieder zu gesamtgesellschaftlichem Engagement aufgerufen. Dass diese Aufrufe in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen würden, bedauert der Wissenschaftler ausdrücklich: Weder Politik noch Medien nähmen die konstruktive Rolle dieser Predigten angemessen zur Kenntnis.
Ablehnung von Extremismus und Gewalt
Zwar kommen auch gesellschaftliche und politische Themen wie Krieg, Frieden, Terrorismus, Integration oder Islamfeindlichkeit zur Sprache – allerdings seltener. Wenn solche Themen angesprochen würden, nähmen die Prediger die Erfahrungen ihrer Zuhörer*innen ernst, mahnten aber zugleich zu einer "konstruktiven und friedlichen Bewältigung" dieser Erlebnisse.
Radikale Positionen, Gewalt oder Extremismus lehnten die analysierten Predigten konsequent ab, heißt es in der Untersuchung. Vielmehr vermittelten sie eine Orientierung an der "Gemeinschaft der Mitte", betonten Mäßigung und forderten ein rechtstreues, aktives Engagement – nicht nur für die eigene religiöse Community, sondern für die Gesellschaft insgesamt.
Breite Auswertung über zwei Jahrzehnte
Für das Projekt wurden Freitagspredigten ausgewertet, die online veröffentlicht worden waren – teils bis zurück ins Jahr 2005.
Im Fokus standen die drei großen muslimischen Verbände: die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) und der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). Sie repräsentieren etwa 1.500 von rund 2.300 Moscheen und Gebetsräumen in Deutschland – und erreichen damit einen Großteil der muslimischen Bevölkerung.
Stichprobenartig prüften die Wissenschaftler*innen auch, ob die online veröffentlichten Predigtmanuskripte tatsächlich so gehalten wurden wie verschriftlicht – und ob es in den jeweils türkischen und deutschen Versionen inhaltliche Abweichungen gab. Beides sei nicht der Fall gewesen.
Teil des Projekts "Wechselwirkungen"
Die Untersuchung der Predigten ist Teil des umfangreichen Forschungsvorhabens "Wechselwirkungen", das sich von 2000 bis Ende 2024 mit der Frage beschäftigt hat, wie sich gesellschaftliche Diskurse über Islamismus auf muslimische Communitys auswirken – und welche Folgen staatliche Maßnahmen gegen Radikalisierung haben. Die Predigtanalyse war eines von insgesamt sechs Teilprojekten.
Für FAU-Wissenschaftler Jörn Thielmann ist das Ergebnis eindeutig: In deutschen Moscheen werde "kein Hass gepredigt, sondern Verantwortung". Eine Erkenntnis, die bislang jedoch kaum in die öffentliche Debatte vordringt.
Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels war von "hunderten" Predigten die Rede. Diese Zahlenangabe stammte nicht von den Urhebern der Studie. Sie wurde daher ebenso entfernt, wie Kommentare, die sich darauf bezogen.