Jemand hat einmal gesagt: "Jeder Mensch ist ein Gedanke Gottes." Und Gott ist nicht vergeßlich. Jeder Gedanke, den er einmal gedacht hat, hat in Ewigkeit Bestand. Eine Beziehung, die der ewige Gott zu einem Menschen aufgenommen hat, kann nicht einfach ausgelöscht sein. Wir Menschen sind sterblich. Aber Gott ist unsterblich, und er gibt uns Anteil an seiner Unsterblichkeit. Deshalb haben wir Hoffnung über den Tod hinaus.
Wie die Vorstellung vom Jenseits entsteht
Jesus ist uns vorausgegangen. Das war nicht immer so klar. Im Alten Israel herrschte die Vorstellung, dass ein Mensch seine Zeit auf Erden hat, und danach ist es vorbei. Im 115. Psalm heißt es etwa: "Die Toten werden dich, Herr, nicht loben, keiner, der hinunterfährt in die Stille", und im 88. Psalm: "Ich bin zu den Toten hinweggerafft, wie Erschlagene, die im Grabe ruhen; an sie denkst du nicht mehr, denn sie sind deiner Hand entzogen." Hiob fragt: "Meinst du, ein toter Mensch wird wieder leben?" und sagt: "Nun werde ich mich in die Erde legen, und wenn du (Gott) mich suchst, bin ich nicht mehr da!"
Erst kurz vor der Geburt Jesu entsteht im Volk Israel die Vorstellung von einem ewigen Leben. Jesus nimmt darauf Bezug. Für Jesus ist es klar: "Gott wird die Toten auferwecken am Jüngsten Tag. Er wird sie richten, und diejenigen, die im Gericht bestehen, werden eingehen zu ihres Herrn Freude", wie es heißt.
Wie diese Freude allerdings aussieht, das malt Jesus nicht besonders aus. Allerdings spricht er in seinen Gleichnissen immer wieder von dem Festmahl und besonders von dem Hochzeitsmahl. Und in der Offenbarung findet sich das wunderbare Wort:
"Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Und der Tod wird nicht mehr sein, und Leid und Schmerz und Klagegeschrei wird nicht mehr sein."
Das Leben nach dem Tod im Neuen Testament
Das Neue Testament sagt uns also, dass wir keine Angst zu haben brauchen vor dem Tod. Im Gegenteil: Wir dürfen uns freuen auf das, was uns erwartet. Das Neue Testament sagt uns auch, warum wir uns auf dieses Fest nach unserem Tod freuen dürfen. Jesus wurde gekreuzigt und starb, aber Gott hat ihn auferweckt. Und so wurde er der "Erstling der Entschlafenen". Alle, die sich an ihn halten, folgen ihm aus dem Tod ins Leben; er führt sie mit sich, weckt sie aus dem Tod auf und lässt sie Anteil haben am ewigen Leben.
Sehr viel mehr sagt die Bibel nicht über das Jenseits, das Leben nach dem Tod. Aber ich denke, das genügt auch. Das Wichtigste ist doch: Wir fallen nach unserem Tod nicht in ein namenloses Nichts. Jesus erwartet uns. Er ist uns vorausgegangen, hat Quartier für uns gemacht (Johannes 14,2-3), und es wird ein großes, schönes, rauschendes, endloses Fest werden. Die Tränen sind abgewischt, Krankheiten sind geheilt, Schuld ist vergeben. Alle können mit allen einen neuen Anfang machen.
Neuanfang im Jenseits
Und ein neuer Anfang muss sein. Denn: Auch wenn ich fest darauf vertraue, dass Gott mich annimmt und nicht verwirft um Jesu Christi willen, denke ich: So, wie ich bin, passe ich nicht hinein in den Himmel, den Ort der Reinheit. So wenig heil bin ich, dass ich dort, wo alles heil ist, nicht hinpasse.
Ich glaube, Gott muss mich noch zurechtbiegen, damit ich mich dann wirklich mit all den anderen mitfreuen und mit ihnen feiern kann, auch mit denen, die ich hier und heute nicht leiden kann, die ich nicht verstehen und akzeptieren kann, die so ganz anders sind, als ich es bin.
Das Gericht Gottes
Ich stelle mir das so vor, um ein Bild zu gebrauchen: Ich bin wie ein rostiger, krummer Nagel. Wenn der Handwerker den gebrauchen will, muss er ihn mit dem Hammer gerade klopfen, vielleicht sogar ins Schmiedefeuer halten, dann richtet er ihn, und dann kann er ihn gebrauchen, kann ihn einbauen. Er wird dem Nagel keine Vorwürfe machen, dass er so krumm und rostig ist, und er wirft ihn nicht weg, aber er muss ihn erst richten, das heißt: zurechtbringen, zurechtbiegen, brauchbar machen. So wie ich eine kaputte Uhr zum Uhrmacher bringe, damit er sie richtet.
So stelle ich mir das Gericht Gottes vor, das auch die erwartet, die er annimmt. Mit einem anderen Bild: Gott zeigt mir die Zusammenhänge, die Wirkungen meiner Worte und Taten. Es tut weh, wenn ich die Zusammenhänge erkenne. Wenn ich spüre und sehe, wie viel Leid durch mich in die Welt gekommen ist, und wenn ich meine eigenen Wunden und Verletzungen noch einmal anschauen muss, um zu verstehen, wie es dazu gekommen ist, um heil zu werden. Aber dann ist es gut, der Wundschmerz vergeht, die Wunden verheilen, und ich kann feiern.
Jenseitsvorstellung: Opium für das Volk?
Solche Bilder können uns trösten, wenn wir an unseren Tod denken, oder wenn ein Mensch stirbt, der uns nahesteht. Leider wurden diese Bilder aber auch immer wieder dazu missbraucht, um Menschen zu vertrösten, um sie ruhigzustellen. Leider haben die Kirchen allzu oft mitgemacht bei dem bösen Spiel, die Menschen hier auf der Erde in Unterdrückung und Abhängigkeit und Armut zu halten und sie zu vertrösten:
"Ja, die Erde ist ein Jammertal, aber wenn ihr schön brav und anständig seid und alles geduldig ertragt, dann werdet ihr im Himmel belohnt."
Schlimm sind solche Sätze, wenn sie aus dem Mund von Reichen und Mächtigen kommen, die auf diese Weise ihren Reichtum und ihre Macht schützen, was vorgekommen ist und teilweise noch vorkommt, etwa in Lateinamerika. Diese Art des billigen Trostes, der Vertröstung auf ein besseres Jenseits, hat Karl Marx zu Recht "Opium des Volkes" genannt: Eine Methode, die Schmerzen zu betäuben und die Armen ruhigzustellen. Aber Jesus hat keine individualistische Erlösungsreligion gepredigt, mit dem Tenor:
"Seid hübsch anständig und bescheiden, dann bekommt ihr im Himmel einen schönen Ausgleich."
Im Markusevangelium im ersten Kapitel wird zusammengefasst, was Jesus gepredigt hat:
"Die Zeit ist jetzt da. Das Reich Gottes steht vor der Tür. Ändert eure Einstellung und glaubt an diese gute Nachricht."
Das Reich Gottes steht vor der Tür. Es beginnt nicht erst nach unserem Tod, sondern es steht vor der Tür. Da, wo Jesus zu den Menschen kommt, da ereignet sich das Reich Gottes. Wo Menschen ihm begegnen, begegnen sie Gott, da bricht Gottes Reich an für sie.
Was sagt die Bibel über das Jenseits?
Die Frage: "Gibt es ein Jenseits?" lässt sich von der Bibel her also eindeutig beantworten: Ja, es gibt ein Jenseits. Gott wird uns nach unserem Tod auferwecken und uns ein neues und ewiges Leben schenken. Das ist gewiss. Aber es ist nicht die Hauptsache in unserem Glauben. Ich stelle es mir eher so vor wie einen Hintergrund, oder besser noch, wie ein Fundament, auf dem das Leben als Christ im Hier und Jetzt aufbaut.
Irgendwann, wenn wir gestorben sind, dann werden wir ihm wieder begegnen, und wir werden wir ihn so sehen, wie er ist. Und er wird uns so sehen, wie wir sind. Darauf können wir vertrauen. Diese Hoffnung, diese Gewissheit soll uns aber nicht den Blick verstellen für das Leben hier und jetzt, für die Freude, für die Not unserer Mitmenschen. Die Gewissheit, dass mein Leben durch den Tod nicht ausgelöscht wird, kann und will mir Kraft geben für dieses Leben, das Leben vor dem Tod.