Die Vokabel "Macht" steht nicht hoch im Kurs. Sie ist eher negativ besetzt. Die Welt hat genug von "Machtworten" und "Machtspielen". Spätestens seit den Abscheulichkeiten "der Macht und der Herrlichkeit" des Dritten Reichs hat das Wort seine Unschuld verloren und ist arg in Verruf geraten. Dabei meint "Macht" ursprünglich nichts anderes als die Fähigkeit, dieses und jenes zu "machen". Den gewalttätigen Beiklang verdankt das Wort dem ständigen "Machtmißbrauch" derer, die "Macht haben" und darüber zu "Machthabern" entarten.

Die Bibel liebt das Wort "Macht" geradezu, freilich in seiner ursprünglichen Bedeutung. Sie bietet einen ganzen Fächer hebräischer und griechischer Vokabeln auf, um damit eine durchaus positive Eigenschaft Gottes zu beschreiben. Gott hat Macht. Sein "Machen" ist ein kreativer Vorgang. "Am Anfang machte Gott Himmel und Erde". So ist der ganze Schöpfungsakt im ersten Satz der Heiligen Schrift auf den Punkt gebracht. Gott "schuf" Himmel und Erde, übersetzt Luther poetisch, um anzudeuten, daß Gott mehr als nur ein "Macher" ist. Gott ist "Creator", ist der "höchst kreative Schöpfer", indem er "alles gemacht hat", zeigt er sich als der "Allmächtige", damals am Anfang und seither.

"Macht", ein vielfältiges Wort

Unter den hebräischen Wörtern für die "Macht" ist das nur unzureichend übersetzbare "cabod" das interessanteste. Um es einigermaßen angemessen ins Deutsche zu übertragen, braucht man schier ein Dutzend Vokabeln. "Cabod" meint wörtlich die "Gewichtigkeit", die "Schwere", die "Gravität" Gottes, im übertragenen Sinne also seine "Bedeutung", seinen "Einfluß", seine "Ehre", seine "Herrlichkeit", seine "Ausstrahlung", seine "Aura". In diesem nicht gewaltigen Sinne also hat er "Macht" und zeigt seine "Wirksamkeit", schon ohne etwas Besonderes zu machen. So gesehen hat er "Macht", als allein seine Nähe "machtvoll wirkt" und "bewirkt", daß sich Dinge und Wesen ändern. Als so "gravierend" wird Gottes "Macht" beschrieben, daß kein Mensch sie ertragen kann. Es sei denn, Gott selbst schütze den Menschen vor dieser "Machtsphäre".

Im Alten Testament heißt es vom Propheten Elia, daß er Gott schauen darf. Freilich nicht von "Angesicht zu Angesicht". Nur mit dem Blick hinterher. Gott rät ihm, sich schützend in einem Felsvorsprung zu bergen, bis die göttliche "cabod" vorübergezogen ist. Nach einer eindrücklichen Demonstration all dessen, was andere für die "Macht" ihrer Götter halten mögen - nach Feuer und Sturm, nach Gewitter und Beben - erscheint "ein sanftes stilles Säuseln", so Martin Luthers Übersetzung. "Eine Stimme verschwebenden Schweigens", nennt es der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber in seiner Verdeutschung der Schrift. Unvergleichlich schön. Gott - wie so oft - der ganz Andere. Gottes Macht - wie immer - völlig anders, als erwartet. Eine paradoxe "Macht" ist es, die Gott da ausübt: die Macht der Stille.

Manchmal schildert das Alte Testament Gott - wen sollte es wundern - völlig zeitgebunden, voll im Rahmen des gängigen Bildes orientalischer Herrscher. Bald unberechenbar gewalttätig und grausam. Bald unvermutet herablassend und gnädig. Dann aber wieder in herrlicher Paradoxie: "Aus dem Munde der Kinder, ja der Säuglinge, hast du dir deine 'Macht' zugerichtet." Oder wie Jörg Zink es ausdrückt: "Wenn eben Geborene schreien, rühmen sie deine Macht."

Macht als Dynamik und Energie Gottes

Nur ein kleiner Schritt ist es von solchen Aussagen bis zu denen des Neuen Testaments. Da heißt es etwa, wiederum paradox formuliert, in 2. Korinther 12: "Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." Wenige Seiten später beschäftigt sich der Epheserbrief mit der "Macht" und der "Kraft" Gottes und benutzt dazu die schönen griechischen Begriffe "dynamis" und "energeia". Diese "Dynamik" Gottes und seine "Energie" sind es, "was die Welt im Innersten zusammenhält". Das sind die Kräfte, die schon bei der Schöpfung am Werk waren, die später Jesus Christus durchdrungen und geleitet und seine Auferstehung von den Toten gewirkt haben.

Diese Kräfte werden es auch sein, die eines Tages auch die Auferstehung aller Toten und die Vollendung aller Welt bewirken werden. Diese "dynamischen" und "energischen" Kräfte sind es schließlich auch, die den Christen mit der Taufe verliehen werden und durchaus (re)aktiviert werden können. Im Kampf gegen die "feurigen Pfeile des Bösen" sollen sie ins Feld geführt werden. Wie "Waffenrüstungen des Geistes" dienen sie als Schutz gegen den Satan. Der Christ muß sich ihrer nur entsinnen und sie immer wieder von Gott erbitten.

Menschen können auf diese Weise durchaus "in Vollmacht" handeln, also im Sinne Jesu Christi und in seinem Geiste, "als Botschafter an Christi Statt", wie es Paulus ausdrückt, oder - um mit Martin Luther zu sprechen - "einander zum Christus werden". Der stete Ruf der Kirche "Komm, Heiliger Geist!" ist schließlich nichts anderes als eine Bitte um solche spirituelle Dynamik und Energie, eine Bitte um die einzig erlaubte "Macht", die "Macht der Liebe". Es geht um die "Kräfte", die einem liebendem Leben innewohnen. Lieblose "Macht" wäre Machtmissbrauch, Sünde, wie alles, was lieblos geschieht.

Die Anführungszeichen, in denen das Wort "Macht" hier im Text steht, mögen daran erinnern, daß Jesus Christus in dieser seiner "Macht" zugleich eigenartig "ohnmächtig" ist, "bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz", weil eben Liebe nun einmal verletzlich, verwundbar, ja ohnmächtig ist. Am Ende aber wird sich erweisen, daß "Liebe stark wie der Tod" ist, und die Sanftmütigen trotz all ihrer Ohnmacht selig zu preisen sind.