Ich glaube, es gab noch nie so viele digitale Osterfeuer auf YouTube, flammende Osterpredigten auf Instagram und raschelnde Butterbrottüten mit "Ostern-to-go" vor den Kirchentüren wie in diesem Jahr. Leider nicht! Bisher gab es katholische Osternachtsfeiern am Karsamstag und evangelische Osterfeuer am Ostersonntag morgens um 5. Und danach Frühstück. (Ganz ehrlich: Das ist natürlich das Beste an diesem Gottesdienst. Und vielleicht noch das Kerzenlicht, das leise in die dunkle Kirche hineingetragen wird. Und das Singen. Und dieser Satz: "Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier! Er ist auferstanden!")

Dieses Jahr ist alles anders. Ich kann ohne schlechtes Gewissen ausschlafen, weil ich meinen Gottesdienst schon online gestellt hab (und wer Kinder hat, weiß um dieses Geschenk!). Dafür gibt es Predigten zum Mitnehmen, Osterbotschaften aus Kreide auf der Straße, Kerzen im Fenster und Hefezopf auf dem Küchentisch.

Aber noch etwas ist anders für mich in diesem Jahr:

Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir Pfarrer*innen mehr denn je beweisen müssen, wie relevant Ostern ist und dass Jesus Christus wirklich von den Toten auferstanden ist. Dass der Tod nicht die ganze Macht hat. Dass die Liebe die Finsternis überwindet.

Vielleicht weil es sich gerade so aufdrängt: Wir feiern Ostern trotz Corona!

Und während Pfarrer*innen sonst - und da nehme ich mich gar nicht aus - mühsam nach Beispielen für das Erleben der Osterbotschaft in der Lebenswelt der Predigthörer*innen kramen, können sie in diesem Jahr aus den Vollen schöpfen: Wir brauchen das Dunkle nicht lange suchen. Corona reicht, um das dunkle Bild zu malen, demgegenüber das Osterlicht umso heller leuchten kann.

Aber ist das wirklich so? Ist es so einfach? Ist das tatsächlich die frohe Botschaft der Auferstehung: Dass es eine Zeit nach Corona gibt? Dass wir irgendwann wieder Kaffee trinken gehen können und die Kinder wieder Oma und Opa besuchen dürfen? Dass irgendwann wieder alles gut und normal sein wird? Klar, das sind Hoffnungen, die wir brauchen. Die uns den Lagerkoller überstehen lassen. Das sind Vorfreude und Durchhalten. Bis "nach Corona".

Aber ich glaube, das mit der Auferstehung, das ist mehr. Oder anders.

Auferstehung ist nicht der Alltag nach der Krise. Auferstehung ist nicht das Normale nach dem Ausnahmezustand. Die drei Tage im Grab sind nicht 30 Tage Ausgangsbeschränkung. Drei Tage im Grab können manchmal ein halbes Leben dauern. Das Abgeschnittensein vom Leben, das sich lebendig begraben Fühlen.

Drei Tage im Grab sind all die Tage, an denen ich vor Angst nicht atmen kann. Drei Tage im Grab sind all die Jahre, in denen ich mein Leben wie durch eine Glasscheibe sehe, weil ich irgendwie nicht dazugehöre. Drei Tage im Grab sind die Monate, in denen ich versuche, es besser zu machen. Drei Tage im Grab sind die Momente, in denen ich aufgebe, in denen ich meiner Angst und meinen Schuldgefühlen erliege. Drei Tage im Grab können sich endlos anfühlen. Und ich weiß nicht, wann sie aufhören.

Und vor dem Grab liegt ein Stein. Und ich bin drinnen und kann ihn nicht wegrollen. Nicht wie die Ausgangssperre, die irgendwann wieder aufgehoben wird. Kein Ministerpräsident, keine Kanzlerin rollt uns den Stein vom Grab.

Wann sind die drei Tage vorbei? Manchmal fällt ein Licht durch. Ein schmaler Spalt zwischen dem Grab und dem Leben da draußen. Dann bricht dieser Augenblick auf, der uns Freiheit verspricht. Freiheit von der Angst und der Schuld. Das Licht des Lebens fällt auf uns und von da an können wir eigentlich nicht mehr zurück in die Dunkelheit. Nicht für immer.

Wenn das Sehnen nach dem Leben überhand nimmt, wenn das Warten auf das Licht nicht mehr auszuhalten ist, dann sind die drei Tage vorbei. Dann wälzt Gott den Stein vom Grab, den wir selber nie hätten wegschieben können. Er reißt den Himmel über uns auf, macht aus dem Dämmerlicht Morgenröte.

Irgendwann finden wir das Leben, auch wenn wir uns noch so lange vergraben haben.

Wir gehören dem Licht und nicht unserer Dunkelheit. Und deshalb werden wir auferstehen. Nicht trotz Corona. Sondern trotz unserer Angst, trotz unserer Verzweiflung und trotz all der Dunkelheit.

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