Sieben Wochen ohne Fleisch in der Kantine, stattdessen der pappige Gemüsestrudel. Sieben Wochen ohne Gin Tonic, stattdessen der Bio-Kräutertee mit Ingwer, ist ja fast dasselbe. Sieben Wochen am Bäcker vorbeigehen, statt schwach zu werden vor lauter Käsebrezen.
Ich glaube, die meisten Menschen, die ich kenne, wollen auch in diesem Jahr wieder fasten. Und die sind nicht alle besonders religiös. Sie nutzen einfach die Chance, dass es einen festen Abschnitt im Jahr gibt, wo sie sich an bestimmte Lebensregeln halten können, von denen sie denken, dass es ihnen eigentlich gut tun würde, sich immer an sie zu halten.
Zumindest sieben Wochen ein besserer Mensch sein also. Ich finde das gut, klar! Sollen sie machen. Es gibt seit vielen Jahren auch sowas wie eine intellektuelle Version der Fastenzeit: Die Aktion Sieben-Wochen-ohne der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sieben Wochen ohne Zögern, ohne Lügen, ohne Pessimismus. Das ist auch schön, vor allem weil man gute Texte dazu lesen kann und sich manchmal dabei erwischt, dass man ganz schön oft schwindelt, zaudert und pessimistisch ist.
Und trotzdem, ich hab es nicht so mit der Fastenzeit. Ich hab das Gefühl, wir alle verzichten im Leben schon auf ganz schön viel.
Auf freie Abende, weil die Wäsche noch gemacht werden muss. Auf den Traumjob wegen der Kinder. Auf Schokocroissants, weil die dick machen. Wir versuchen, weniger Auto zu fahren wegen des Klimas. Wir versuchen weniger zu reden, um andere mehr zu Wort kommen zu lassen. Wir halten uns zurück, wenn es um den Urlaubsplan geht, weil andere auch mal frei haben sollen. Wir sagen nichts, wenn die Nachbarin AfD wählt. Weil es ja nichts bringt.
Ja, verzichten ist manchmal gut und weniger ist manchmal mehr. Aber nicht immer. Manchmal muss man auch verschwenden. Liebe, Zeit und Geld zum Beispiel. Liebe für mein Kind, mit dem ich Pommes im Schwimmbad essen will und auch noch Eis, wenn wir schonmal da sind. Zeit für meine Freundin am Telefon, zwei Stunden lang. Weil sie mir so wichtig ist, wichtiger als die Steuererklärung heute. Geld für die neuen Schuhe: Weil ich nämlich ganz schön viel renne im Leben und dabei gut aussehen will.
Ich will mehr Hingabe im Leben. Mehr Gefühle und einfach mehr machen.
So wie die Frau in der Bibel, die Jesus mit dem teuren Öl die Füße gesalbt hat, statt zu sparen. So wie Jesus selber, der aus Wasser Wein gemacht hat, weil man damit einfach besser feiern kann. So wie Jesus, der sich hingegeben hat für die Menschen. Aus lauter Liebe. Aus lauter überfließender Liebe, die so weit ging, dass sie den Tod in Kauf genommen hat. Er hat gelitten dafür.
Passionszeit heißt die Fastenzeit deshalb auch. Passion - das ist Leiden und Leidenschaft. Für das Leben. Den Schmerz. Die Hingabe. Die Liebe. Ich will sieben Wochen mit mehr Hingabe. Sieben Wochen ohne Verzicht.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden
Gedanken zu Passion
Durch das Wort Passion Leiden und Leidenschaft haben Sie mir einen Impuls gegeben,
das Fastenzeit auch heißt unsere Mitmenschen zu achten und Respekt entgegenzubringen, gerade in der Pandemie brauchen wir Aufmerksamkeit und Achtung, denn wie Sie sagen das Leben bringt Leiden und Leidenschaft ,nicht Gegensätze sondern
ein Achtsamsein für unsere Mitmenschen.