Die junge Frau sieht blass aus. Nach 7 Jahren, gemeinsam "durch dick und dünn", hat ihr Freund Schluss gemacht. Einfach so, ohne Begründung, ohne Vorankündigung, ohne Wenn und Aber. Es fühlt sich für sie an wie ein schöner Blumenstrauß, den man ihr vor die Füße schmeißt. Gemeinsame Urlaube, füreinander da sein, Freunde treffen, Konzerte besuchen, das alles ist vorbei. Die Eltern, Geschwister und Freundinnen versuchen zu trösten: "Kopf hoch! Du bist noch so jung, du hast das Leben noch vor dir. Vertrau mal der Zukunft!"

Aber, da ist sie noch nicht. Eher in einem Zwischenzustand. Was war ist vorbei, es fällt schwer es loszulassen und das Neue sieht man noch nicht. "Die blödeste Situation, die man sich vorstellen kann! Ich hasse es!" sagt sie.

Zwischenzustand. Zwischenzeiten im Leben. Du verlierst den Arbeitsplatz, bei dem alles gepasst hat. Die Kündigung der schönen Wohnung flattert herein. Sie war einfach ideal und ein Zuhause. Verluste. Abschiede.

Man fühlt sich wie zwischengeparkt, in einem Schwebezustand ohne Boden unter den Füßen, abgeschnitten vom Lebensfluss, von Leichtigkeit, Vorfreude, Zuversicht. Und doch können das im Nachhinein betrachtet, wenn man hindurch ist, die spannendsten Zeiten sein. Der Knopf für Alltagsroutine existiert in solchen Zeiten nicht, er ist wie ausgeschaltet. Denn, wenn nichts mehr ist, wie es einmal war, wenn alles sich ganz anders anfühlt, dann ist es einem auf einmal sogar egal, was andere denken! Schlimmer kann es eh nicht kommen. Und plötzlich öffnen sich ungeahnte Möglichkeiten: etwas Neues ausprobieren, was man immer schon einmal machen wollte. Sich ins Café setzen, auch wenn man bisher meinte, dazu gar keine Zeit zu haben; endlich Freunde und Freundinnen besuchen, die man lange vernachlässigt hat; alleine reisen oder sich ehrenamtlich engagieren, weil man da mal ganz andere Menschen trifft und es Sinn und Freude macht. In solchen persönlich unbestimmten Zeiten liegt, bei allem, was ungewohnt ist und verdammt wehtut, ganz schön viel Potential. In diesem scheinbaren Hohlraum liegt eine ungeahnte Kraft, die hilft innerlich zu wachsen und sich enorm zu entwickeln. Diese Zwischenzeiten machen uns erst, ob wir wollen oder nicht, zu jenen, die wir sind. Zu Menschen, die gelernt haben sich aufzurappeln, die Möglichkeiten wahrnehmen, die das Leben bietet und, die sich endlich einmal trauen die Hilfe anderer anzunehmen.

Im Englischen nennt man diesen Zustand: "The In-Between". Der australische Musiker und Komponist Matt Maher hat einen Song dazu verfasst. Er ist der Meinung, dass Jesus selbst, dieser Zwischenzustand ist, der uns unglaublich verändern kann: vom Dunkel zum Licht, vom alten zu neuem spannenden Leben.

Der Sonntag Exaudi macht das "Dazwischen" zum Programm

Der heutige Sonntag ist auch so ein Zwischending. Er liegt zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Jesus, so bekennen wir im Glaubensbekenntnis, ist in den Himmel aufgefahren und irdisch nicht mehr zu fassen. Und der Heilige Geist, den er verheißen hat, ist noch nicht da. Ein Zustand, zwischen "nicht mehr und noch nicht". Das Alte ist vergangen, aber das Neue zeigt sich noch nicht. Für die Jüngerinnen und Jünger Jesu war das sicherlich nicht einfach. Jesu irdische Phase war für sie mit der Himmelfahrt nun wirklich abgeschlossen. Wundersame Begegnungen mit dem Auferstandenen, von denen einige erzählen konnten, waren nicht mehr denkbar. Bewegt und aufgewühlt stehen sie da, den Blick Richtung Himmel gewandt, auf der Suche, nach dem, der ihnen entschwunden ist. Die Maler des Mittelalters haben diese Szene oft so dargestellt, dass nur noch die Füße Jesu als Letztes aus den Wolken herausschauen. Der entrückte Jesus hat Fußspuren auf Erden zurückgelassen und man kann ihm hier auch weiterhin nachfolgen. Nach diesem Verständnis sind nicht nur der Papst, sondern alle Christen Stellvertreter und Beauftragte Jesu. Sie sollen seine Menschenfreundlichkeit, seine Visionen vom Frieden, von der guten Gemeinschaft aller, in dieser Welt weitertragen. Und dazu braucht es den Spirit, den kreativen Geist Gottes. Er soll uns berühren, fähig machen, die Not anderer zu sehen, Egoismus abzulegen und danach zu suchen, was für alle gut ist. Jesus weiß, das ist ein Prozess, bis der verheißene Aufbruchsgeist, die Herzen erreicht.

Der heutige Sonntag ist mir sehr sympathisch, denn er macht diese Erkenntnis zum Programm. Auch mein Glaube hat The In-Between, also Dazwischen-Phasen, in denen ich unsicher bin und mehr Fragen als Antworten habe. Wie oft erscheint Jesus in Krisenzeiten irgendwie weit weg. Wie entschwunden aus unserem Herzen und unseren Gedanken, in einen undefinierbaren Himmel. Dann stehen wir auch da, und blicken verloren in den Himmel. Ja, wir haben die Erzählungen der Bibel, wie Jesus durch Galiläa wandert, wie er Menschen begeistert, tröstet oder auch mal vor den Kopf stößt, weil der die gesellschaftlichen Normen anzweifelt und etwa Kinder und Frauen als ebenbürtige Wesen behandelt. Wir haben seine Worte wie: "Ich bin bei euch alle Tage"; "Selig sind, die Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden." Wir haben Gebete, Glaubensbekenntnisse und einen Schatz an Liedversen. Von diesem Handgepäck des Glaubens haben wir bewusst oder unbewusst immer etwas dabei, und es verbindet uns mit Jesus. Aber all das täuscht nicht darüber hinweg, dass es diese "Dazwischen-Zeiten" gibt, Zeiten des Schulterzuckens und des Blicks ins Leere.

Wenn ich im Gottesdienst vom Altar aus ein Fürbittengebet spreche, frage ich mich schon manchmal: hört Gott das? Dass Frieden werden soll in der Ukraine, in Israel, in Gaza. Und glaube ich, dass dieses Gebet etwas nützt? Ich möchte nicht aus Gewohnheit beten, keine Allgemeinplätze vor Gott bringen und merke, dass meine Gebete im Gottesdienst immer konkreter werden. Es ist weniger ein Wunschprogramm, als ein Hinhalten dessen, was gerade ist und mir Sorge macht.

Wie kann es sein, dass immer mehr Menschen in der Welt freiwillig radikale Machthaber, wählen? Die dann Politik und Deals zum eigenen Vorteil machen und denen ganz egal ist, wie es anderen auf diesem Planeten geht? Wie kann man dafür sein, dass Hilfspakete für Kinder, Kranke und Hungernde eingespart werden? Wo ist da der Geist Gottes, der stopp sagt, zur Vernunft bringt!

Der Forschungsreisende Alexander von Humboldt gilt als der Erste, der Ende des 18. Jahrhunderts bei seinen weltweiten Reisen und Forschungen in der Natur, erkannt hat, dass alles mit allem zusammenhängt. Schon damals stellte er fest, dass es weltweit Klimazonen gibt, die einander bedingen und, dass die damals entstehenden Industrienationen das Klima verändern. Erst langsam erkennen wir heute, dass diese weltumspannende Vernetzung in der Natur für das ganze Leben gilt, auch wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich. Global gesehen leben wir wohl auch in einer Dazwischen-Zeit. Die alten Sicherheiten, die Friedensordnung nach dem 2. Weltkrieg in Europa, die Logik des Wachstums und grenzenlosen Wohlstands, das Einhalten staatlicher Souveränität, das alles ist brüchig geworden. Fühlt sich an wie etwas Vergangenes. Wohin die Reise geht, das ist mehr als unsicher. Ein Zwischenzustand, der unsere Stabilität angreift und ziemlich unsicher macht. Mir hilft in solchen Zeiten Musik. Am besten Bach. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, Bachs Musik beruhigt, senkt sogar die Herzfrequenz. Vielleicht liegt es auch daran, dass Bach komponiert hat, was er selbst brauchte und suchte. In seiner Bibel findet man den handgeschriebenen Eintrag:  "Bei einer andächtigen Musik ist allezeit Gott mit seiner Gnaden Gegenwart."

Was tun in Zwischenzeiten?

Liebe Leserinnen und Leser, was kann man eigentlich tun in sogenannten Zwischenzeiten? Zurückblicken, verharren in dem, was war oder vorausschauen und aktiv die Zukunft in die Hand nehmen oder einfach mal einen Stopp einlegen, sich aufs Sofa setzen und gar nichts tun? Schlafen und Tee trinken? Meine Erfahrung sagt, gut ist eine Mischung. Von allem ein bisschen. So ganz exakt steuern lässt sich das nicht. Anspruchsvolle Zeiten haben uns durchaus eher im Griff, als wir sie. Aber wir können voneinander lernen. Wahrnehmen, dass schwere Zeiten Ungewöhnliches hervorbringen.

Im Mai war ich mit dem Pfarrkapitel unseres Dekanats 4 Tage in Prag. Wir hatten Begegnungen mit Menschen der deutschsprachigen Gemeinde und der Kirche der Böhmischen Brüder, der größten evangelischen Kirche in Tschechien. Außerdem gab es eine Führung durch das jüdische Prag mit seinen einzigartigen Synagogen und seiner jahrhundertealten Geschichte. Ein älterer Herr, der sehr gut Deutsch sprach, zeigte uns Synagogen aus 4 Jahrhunderten, erzählte von der Geschichte des jüdischen Viertels, in dem auch der Schriftsteller Franz Kafka gewohnt hat, führte uns auf den alten jüdischen Friedhof, der zu den ältesten in Mitteleuropa zählt und erzählte auch von den Deportationen und Gräueltaten der deutschen Besatzer im dritten Reich. Seine Eltern, Prager Bürger jüdischen Glaubens, mussten wie Tausende andere auch nach Theresienstadt. Ein Lager, das 60 Kilometer von Prag entfernt lag. Und für viele ging es von hier dann weiter ins Vernichtungslager Auschwitz. Und dann erzählte der Mann, dass seine Eltern Kabarettaufführungen in Theresienstadt geleitet haben. Dass Theresienstadt ein Gefangenen-Orchester hatte und es dort Lesungen und kulturelles Leben gab, wusste ich. Aber ein Kabarett? Es war, so erzählte er weiter, ihre Art, mit Ironie das Grauen auszuhalten. Und so in gewisser Weise mit Sprache und Ausdruck Wiederstand zu leisten. Später lese ich, dass es insgesamt 5 Kabarett-Ensembles der KZ-Häftlinge in Theresienstadt gegeben hat. Lieder, Gedichte, Sketche waren alle selbst geschrieben. Und natürlich musste man aufpassen, was man sagte und zur Aufführung brachte. Aber zwischen den Zeilen wussten alle, was gemeint war. Kunst und Kultur bleiben bis heute eine unverzichtbare Form, dem Schweren und Bedrängenden Ausdruck zu geben und widerständig zu sein, sogar in Unrechtszeiten.

Einander helfen und nicht resignieren

Vor gut einem Monat hatten wir in unserer Erlöserkirche in Bad Kissingen eine ganz besondere A-Capella Band aus Amerika zu Gast. Wir waren sehr gespannt und freuten uns auf den Abend. Dann aber kam ein Anruf. Die Sänger von Undivided waren nach einem Konzert in Portugal, am Flughafen in den Black-Out, den absoluten Stromausfall geraten, der Ende April große Teile Spaniens, Portugals und Italiens betroffen hatte. Ihr erstes Konzert in Deutschland musste ausfallen, denn sie waren zwar in Frankfurt gelandet, aber ohne Equipment und Koffer. Außerdem sollten sie noch auf dem Kirchentag in Hannover auftreten. Wie sollte das nun alles gehen? Ihr Manager staunte, er kannte unseren Kirchenmusikdirektor ja nicht, dessen Devise immer lautet "geht nicht, gibt´s nicht". Alles, was man an Verstärker, Mischpult, Mikrophonen, Licht, Kabel und Sonstigem für solch ein Konzert braucht, brachte er aus dem Fundus unseres Gospelchors bei und organisierte, was fehlte. Er machte das Undenkbare möglich: Der Auftritt konnte stattfinden. Auf dem Weg zu uns machte die Band Halt in Fulda kaufte schwarze Hosen und weiße T-Shirts als Konzertoutfit und dann ging es los.

Wenn Christus im Herzen wohnt

Zwischenzeit. Auch in den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Religion gehört nicht mehr selbstverständlich zum Leben, so wie das jahrhundertelang war. Es ist gut, dass Menschen freiwillig und ohne Bevormundung den Gottesdienst besuchen und sich frei entscheiden, ob sie Mitglied einer Kirche sind und was sie dort unterstützen wollen. Wir wissen allerdings noch nicht wohin die Reise führt, wenn Kirchen aufgegeben, umgewidmet oder gar abgerissen werden, wenn Budgets fehlen und evangelische Kindergärten, die Diakoniestation oder die Schuldnerberatung nicht mehr finanziert werden können, oder aber immer mehr Gemeinden sich zusammentun müssen, weil es so wenige Pfarrerinnen, Diakone oder Religionspädagogen gibt. Es verändert sich viel und mancherorts gibt es auch Ärger, Frust und Streit. Eigentlich ganz normal, wenn Liebgewonnenes aufgegeben werden soll und das Neue noch nicht so richtig erkennbar ist.

Alles nicht neu. Alles schon mal dagewesen, nur dass wir es jetzt selbst erleben. Aber Krisenzeiten waren immer auch Erneuerungsprozesse. Mönchtum, Reformation, Frauenordination. Immer wieder haben sich neue Wege aufgetan und natürlich wurde darum auch gerungen und gestritten. Der Epheserbrief - den wahrscheinlich ein Paulusschüler an die Christen in Ephesus und Umgebung schreibt, - berichtet zwischen den Zeilen davon. Die Zeit der ersten Begeisterung ist vorbei, der Druck der römischen Machthaber wächst und die Gemeinden streiten darum, wer den Ton angibt und wie es weitergeht als Kirche.

Spaltungen, Rückwärtsgewandtheit und Jammern machen nicht Halt vor Kirchentüren. In solch eine ungeklärte und kräftezehrende Situation hinein hören die Epheser folgenden Worte:

…dass Gott euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne.

Und ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre. (Eph 3,16-21)

Der Briefschreiber wendet den Blick nach innen. Dort möge Gott genug Kraft geben, um innwendig gestärkt zu werden. Er stellt sich vor, dass Christus in unserem Herzen wohnt. Ist das nicht ein wenig zu viel, zu nah? Aber im Herzen entscheidet sich, was ich möchte, wofür ich brenne, was mir wichtig ist, wofür ich mich stark mache und auch woran ich leide. Es ist mein innigster Ort. Wenn Turbulenzen kommen, dann reagiert dieses Herz. Es verkrampft sich, es schlittert wie ein Schiff im Orkan, es weint, macht schlapp oder pocht lautstark. Wenn nun Christus da wohnt, dann ist das doch auch der Ort einer besonderen Gemeinschaft. Ich bin nicht allein, ich muss nicht alles selbst lösen. Und Jesus steht doch dafür, dass ihm immer etwas einfällt. Als einmal die Jünger für eine große Menschenmenge nur ein paar Brote und zwei Fische haben, schauen sie ängstlich auf den Mangel. Was sollen sie nur tun? Dieser Blick des Zukurzkommens durchzieht bis heute die Welt. Aber Jesus lädt ein zu einem großen Picknick und alle legen in die Mitte, was sie haben. Und siehe da, sie genießen das Fest, werden satt und es bleibt sogar noch reichlich übrig. Mit Jesus im Herzen kann manches passieren. Türen öffnen sich und Neues kann eintreten und ich kann staunen. Mir gefällt dieser Gedanke! Paul Gerhardt hat es wohl auch so gesehen, als er 1653 alles auf Jesus setzt und über ihn dichtet:

Sein Geist wohnt mir im Herzen,

Regieret meinen Sinn,

Vertreibt mir Sorg und Schmerzen,

Nimmt allen Kummer hin,

Gibt Segen und Gedeihen

Dem, was Er in mir schafft. [1]

 

[1] EG 351,7 "Ist Gott für mich, so trete…"

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden