Die "Büchse der Pandora" ist ein uraltes Bild für die Übel dieser Welt. Was steckt dahinter? Ein alter griechischer Mythos, eine rätselhafte Geschichte. Am Ende geht es aber um die Hoffnung! Und das war mir neu, davon hatte ich noch nie was gehört.
Die Geschichte geht so: Zeus, der Göttervater vom Olymp, hat es Prometheus sehr übelgenommen, dass er den Göttern das Feuer gestohlen und es den Menschen gebracht hat. Sie könnten sich weiterentwickeln und unabhängig von den Göttern werden. Zur Strafe lässt er Prometheus an einen Felsen ketten, da ist er Wind und Wetter und vor allem den Adlern ausgesetzt, die sich auf ihn stürzen. Damit aber nicht genug.
Prometheus, Zeug und die Büchse der Pandora
Zeus will sich an der ganzen Menschheit rächen. Und lässt eine sehr besondere Frau erschaffen - Pandora, die Allesschenkende. Zeus gibt ihr eine Büchse, in die alle Götter ihre Geschenke hineinlegen. Die soll sie Epimetheus, dem Bruder des Prometheus überreichen. Prometheus hat seinen Bruder schon lange davor gewarnt, er möge nie ein Geschenk von den Göttern annehmen. Aber Pandora ist eine wunderschöne Frau, unwiderstehlich. Epimetheus ist hin und weg, und vergisst die Warnung. Voller Neugier, was die Schöne ihm da überreichen will, bittet er sie, die Büchse zu öffnen. Pandora tut es.
Sie öffnet die Büchse und plötzlich entweichen Krankheiten, Leiden, Tod, Krieg, Neid, Gier, alle Übel überschwemmen die Erde. Vor Schreck verschließt Pandora die Büchse wieder und so bleibt ein Geschenk der Götter im Gefäß drin: Und dieses Geschenk ist - die Hoffnung. Was das bedeutet, darüber haben sich viele Leute den Kopf zerbrochen. Man könnte sagen: wir erleben es jedes Mal hautnah: ein Erdbeben, ein Attentat, die Diagnose unheilbare Krankheit. Was dann zuerst fehlt, ist die Hoffnung.
Die Bedeutung der Hoffnung
Angst, Verzweiflung, fluten das Herz und den Verstand. Aber irgendwann taucht sie wieder auf. Man sagt ja auch: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Sie ist eine große Kraft in der menschlichen Seele. Deshalb leuchtet mir eine andere Deutung des Mythos mehr ein: Die Hoffnung ist und bleibt ein Geschenk der Götter. In der Büchse bleibt sie zurück, weil der Mensch ihr nicht so ausgeliefert ist, wie den Übeln. Er kann sie steuern. Sie kann von Menschen kontrolliert werden. Und diese Kontrolle über die Hoffnung ist zentral und eine große Aufgabe.
Wir haben es in der Hand, worauf wir hoffen. Wie wir hoffen. Ob wir Katastrophen herunterspielen, die Hände in den Schoß legen und sagen "Es wird sicher nicht so schlimm"! Ob wir uns Illusionen hingeben, die keine echten Lösungen sind. Dann wird die Hoffnung auch zu einem Übel. Und hilft mir gar nicht, das Leben zu bewältigen. Ich kann mich entscheiden: gebe ich mich Wunschvorstellungen hin, lass ich mir falsche Hoffnungen vorgaukeln. Gehe ich leeren Versprechen auf den Leim. Oder bleibe ich realistisch, vernünftig. Dann gehe ich sorgfältig um mit der Hoffnung und nutze ihre Kraft. So verstehe ich den Mythos.[1]
Man kann die Hoffnung wecken, sagen wir. In uns selbst. Als würde da etwas schlafen in mir, denke ich. Eine große Kraft, ein Muskel, der erschlafft ist und trainiert werden will. Und genau das will ich mit Ihnen machen - heute am Sonntag Jubilate. Die Hoffnung in uns wecken, sie sprühen auf die Mauern unserer Zeit.
Trügerische Hoffnungen
In diesen Tagen erinnern wir uns an das Ende des 2. Weltkriegs vor 80 Jahren. Auf den Trümmern der wahnhaften Vorstellung von einer edlen Rasse leben wir bis heute. Und dieser Wahn lebt unter uns weiter. Die trügerische Hoffnung, dass man Menschen loswerden muss, um ein erfolgreiches aufblühendes Land zu sein, wirtschaftlich und kulturell. Wie viel Gräuel sind geschehen im Namen dieser "Hoffnung"!
"Feuerdörfer" – so der Buchtitel eines kürzlich erst auf Deutsch erschienenen Buches, in dem Überlebende aus Belarus über die Zerstörung ihrer Dörfer erzählen. Die deutsche Wehrmacht hat dort 9.000 Dörfer und Siedlungen in den 40er Jahren zerstört. Die Methode: die Menschen werden in ihren Häusern eingesperrt, dann werden die Häuser angezündet. Feuerdörfer. Und das Land, das all das angezettelt hat, liegt am Ende selbst in Trümmern. Hamburg, Dresden, Würzburg, München, Berlin.
Meine Familie stammt aus Siebenbürgen. Mein Stiefgroßvater war beim rumänischen Militär, das an der Seite Hitlerdeutschlands kämpfte. Ich höre noch, wie er stolz davon erzählt: er war Bursche eines rumänischen Offiziers, stationiert in der prächtigen Stadt Odessa. Seine Augen leuchten. In der Oper sei er mit seinem Offizier gewesen. Nie im Leben wäre der Michael aus einem kleinen Dorf so weit in der Welt herumgekommen. In ein Opernhaus. Ich habe mich auch gefreut für ihn als junges Mädchen. Zu der Zeit aber, als er in Odessa stationiert war, begann die Verfolgung der 600.000 dort ansässigen jüdischen Menschen. Das habe ich viel später erfahren. Massenmorde, Pogrome, Massenerschießungen, Deportation in die Konzentrationslager. Und dann war Odessa "judenfrei". War Großvater dabei? Ich habe ihn nie gefragt.
Ende des 2. Weltkriegs
Und muss ich es wissen und erfahren heute, nach 80 Jahren? Wozu diese Gedenktage? Wozu immer wieder dieser Blick zurück. Über 50% der Menschen in unserem Land sagen Nein und wollen den Schlussstrich, lese ich in einer Umfrage. Dass man dann leichter in Zukunft schauen kann ohne den Ballast der Vergangenheit. Wir haben genug mit den monströsen Dingen der Gegenwart zu tun. Lasst uns in Frieden mit dem, was so lange schon vorbei ist. Ich glaube, diese Rechnung geht nicht auf. Eine wach gehaltene und präsente Vergangenheit bewahrt uns vor trügerischen Hoffnungen. Vor einem Glauben an die Versprechen der Schreihälse, Lügner und Populisten.
Mich berühren die Menschen, die damals Opfer der Naziideologie waren und deren Leben ausgelöscht werden sollte. Und wie sie darüber sprechen. Ich habe schon vielen zugehört. Jedes Mal staune ich: Zu Hass und Rache ruft nicht eine Einzige, nicht ein Einziger auf. Sie erzählen ihre Geschichte in dem Vertrauen, auf offene Ohren zu stoßen. Jedes Mal ein Wagnis. Sie zeigen uns ihr Innerstes – seht, ein Mensch. Und sie sagen: es geht nicht um Schuld für uns Nachgeborene, es geht um Verantwortung. Sie erinnern uns an unsere Menschlichkeit. Und genau das macht für mich christliche Hoffnung aus. Sie ist begründet im Aufstand Gottes gegen den Tod und den Todeskult, der von Menschen ausgeht. Es gelingt Pilatus und seinen Helfershelfern nicht, die göttliche Liebe auszulöschen. Diese Liebe zeigt der Welt ihr schönstes Antlitz im Auferweckten Jesus Christus. Und will in uns allen weiterleben. Damit wir nicht mehr der Todeslogik, der Spaltung, der Vernichtungslogik folgen.
Hoffnung ist nichts für Feiglinge. Hoffnung ist mutig. Sie schaut sich um in der Welt und sie schaut hin, realistisch, unbestechlich. Sie kennt die Übel genau. Nichts für Feiglinge, so könnte man auch über einen kleinen Abschnitt aus dem Römerbrief mit großen Buchstaben schreiben. Da schreibt Paulus den Christinnen und Christen in Rom:
Römer 5, 1-5
Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus. Durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung. Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. (Röm 5, 1-5)
Für mich ist das einer der wichtigsten Texte der Bibel. Inzwischen. Früher hatte ich mit ihm so meine Probleme. Wir rühmen uns der Bedrängnisse – Das klingt nach Leidensheldentum, nach Märtyrerlogik. Kopflos sein Leben opfern für eine größere Sache. Und damit in die Geschichte eingehen. Davon hören wir immer noch zu viel, auch im 21. Jahrhundert. Diesmal aus islamistischen Kreisen. Das möchte ich nicht in der Bibel lesen.
Heute höre ich etwas anderes in diesen Versen. Bedrängnis, schweres Leid erleben und hoffen - das gehört zusammen, muss zusammengehören. Hoffnung kommt aus der Tiefe, sie darf nicht oberflächlich sein, nur dann hat sie Kraft. Deshalb steht sie bei Paulus in dieser denkwürdigen Reihe: Bedrängnis – Geduld – Bewährung - Hoffnung. Und dann wieder von vorn. Solches Hoffen ist keine einmalige Errungenschaft, kein Besitz… Wohl auch keine immer logische Reihenfolge. Auf Bedrängnis kann unsere Seele und unser Geist mit Geduld antworten. Daraus wächst Widerstandskraft, standhalten können.
Wir können uns glücklich preisen, weil wir darauf hoffen, dass Gottes Gegenwart alles durchdringt. So übersetzt die Bibel in gerechter Sprache diese Verse.
Auch in Stunden großer Not können wir uns glücklich preisen, denn wir haben die Erfahrung gemacht, dass große Not die Kraft zum Widerstehen stärkt. Diese Kraft stärkt uns, dass wir standhalten können; die Erfahrung standzuhalten, stärkt die Hoffnung.
Wie in dem Osterlied:
Die Welt ist mir ein Lachen mit ihrem Zorn
Die Trübsal trübt mir nicht mein Herz und Angesicht
Das Unglück ist mein Glück, die Nacht mein Sonnenblick.
Menschen, die so gehofft haben schon während des Krieges, die will ich heute feiern und in Erinnerung rufen. HoffnungsMenschen. Alle, die in sich selbst Widerstandskraft gesammelt haben, um menschlich zu bleiben. So haben sie an einem neuen Deutschland, an einem Europa des Friedens mitgearbeitet. Viele haben das mit dem Leben bezahlt. Auch viele Frauen – Sophie Scholl, Hilde Coppi, Cato von Bontjes, Etty Hillesum. Junge Frauen in ihren Zwanzigern. Vorgestern hatte Sophie Scholl Geburtstag. Ihren 104. Für mich bleibt sie immer die junge Frau, Seitenscheitel, modischer Kurzhaarschnitt, weiche Gesichtszüge, fast mädchenhaft…Und doch so voller Kraft. Wenn ich in ihren Tagebuchaufzeichnungen und Briefen lese, wird mir klar, woher sie die Kraft zum Widerstand bekommen hat.
Sophie Scholl
In ihrem Elternhaus erlebt Sophie eine "Gegenwelt". Der Vater wird zweimal inhaftiert, die Mutter weiß genau Bescheid über das Euthanasieprogramm. Ihre Diakonissinnen-Freundinnen erzählen ihr davon. Denn sie begleiten viele behinderte Kinder in den Tod. Sophie und ihre Geschwister werden in alles eingeweiht. In der Familie Scholl wird offen diskutiert. So wie später mit Freundinnen und Freunden. Im Ulmer Freundeskreis etwa, einer Gruppe junger Christen, die sich gegenseitig auf Bücher und die moderne Kunst aufmerksam machen.
"Il faut avoir un esprit dur et le coeur tendre – Man muss einen harten Geist und ein weiches Herz haben", ist ihr Motto. Sophie stützt sich auf diesen Satz. Verinnerlicht ihn wie ein Mantra. In einer Welt, die nur Befehl und Gehorsam kennt; wo nicht das Wort, sondern die Waffe regiert, wird das Gespräch, der Dialog unter Freunden eine Quelle der Kraft. Reden, sich austauschen,– so kann man seinen Geist retten vor Uniformen und Zerstörungswut. Und frei bleiben. Weiter hoffen.
Und in der Natur sein. Sophie erzählt in ihren Aufzeichnungen viel von Wanderungen, Berg- und Skitouren. Sie macht das nicht aus sportlichem Ehrgeiz, sie bleibt also nicht bei sich selbst. Sie sucht die Begegnung mit der Natur. Sie verbindet sich mit ihr.
"Auf meinem Nachttisch stehen zwei Rosen. An die Stiele und das Blatt, die ins Wasser hängen, haben sich winzige Perlen gereiht. Wie schön und rein dies aussieht, welch kühlen Gleichmut es ausstrahlt. Daß es dieses gibt. Daß der Wald so einfach weiterwächst, das Korn und die Blumen, daß Wasserstoff und Sauerstoff sich zusammengetan haben zu solch wunderbaren lauwarmen Sommerregentropfen. Manchmal kommt mir dies mit solcher Macht zu Bewußtsein, daß ich ganz voll davon bin und keinen Platz mehr habe auch nur für einen einzigen Gedanken. Dies alles gibt es, trotzdem sich der Mensch inmitten der ganzen Schöpfung so unmenschlich und nicht einmal tierisch aufführt. Allein dies ist schon eine große Gnade."[2]
So wird Gott die innerste Lebenskraft, und zwar in einem doppelten Sinne: Gott ist der Schoß aller Dinge, sich in ihn versenken heißt: Eins werden mit allem, was lebt. Und Liebe, Gerechtigkeit, Freiheit entfalten sich in Sophies Leben als Kraft von Gott her. Sie findet über die Gottesliebe zu einer tiefen Menschenliebe:
"Wenn ich die Menschen um mich herum sehe, und auch mich selbst, dann bekomme ich Ehrfurcht vor dem Menschen, weil Gott seinetwegen herabgestiegen ist. Auf der anderen Seite wird mir dies dann immer am unbegreiflichsten. Ja, was ich am wenigsten an Gott begreife, ist seine Liebe. O Herr, ich habe es sehr nötig, zu beten, zu bitten. Ja, das sollte man immer bedenken, wenn man es mit anderen Menschen zu tun hat, daß Gott ihretwegen Mensch geworden ist. Und man fühlt sich selbst zu gut, zu manchen von ihnen herabzusteigen! O Hochmut! Woher habe ich ihn nur?"[3]
Bedrängnis – Widerstehen – Standhalten– hoffen. Wie Sophie vom einen zum anderen findet, wird hier sehr deutlich: durch das Gebet. Durch das innige Gespräch mit Gott, und der Seele mit sich selbst.
In der letzten Nacht ihres Lebens, von 21. auf den 22. Februar 1943, bevor sie hingerichtet wird, zusammen mit ihrem Bruder Hans und Christoph Probst, hat Sophie einen Traum, den ihre Zellennachbarin überliefert.
"Kurz vor sieben muß ich dich für diesen schweren Tag wecken. Du bist sofort munter und erzählst mir, noch im Bett sitzend, Deinen gehabten Traum: Du trugst an einem schönen Sonntag ein Kind in einem langen, weißen Kleid zur Taufe. Der Weg zur Kirche führte einen steilen Berg hinauf. Aber fest und sicher trugst Du das Kind. Gänzlich unerwartet tat sich auf einmal eine Gletscherspalte auf. Du hattest gerade noch Zeit, das Kind auf die gesicherte Seite zu legen, da stürztest Du in die Tiefe. Du legtest Dir den Traum so aus: Das Kind in dem weißen Kleid ist unsere Idee, sie wird sich trotz aller Hindernisse durchsetzen. Wir durften Wegbereiter sein, müssen aber vorher sterben, für sie."[4]
Das Kind im weißen Kleid- das ist die Idee: vernünftig und realistisch hoffen auf ein friedliches und würdevolles Zusammenleben in Europa und auf der ganzen Welt. Sophie war Christin. Eine Schwester, die wahrhaftig leben wollte. Mit Gottvertrauen und Liebe hat sie auf die schrecklichen Ereignisse um sie herum reagiert. Mit einem klaren, wachen Geist und einem weichen Herzen.
Die Erinnerung an sie tut mir gut. Sie weckt die Widerstandskraft in mir. Gegen jede Form von Unterdrückung. Und Verachtung. Wenn der Holocaust verharmlost oder geleugnet wird. Und sie zeigt mir, wie hoffen geht, wenn man zu verzweifeln droht. Und diese Hoffnung will ich sprühen auf die Mauern dieser Zeit!
Dass ihr völlige Hoffnung habt. So heißt es in einer Kantate von Georg Friedrich Telemann. Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit allerlei Freude und Friede.
[1] Grethlein, Jonas. Hoffnung. Eine Geschichte der Zuversicht von Homer bis Klimawandel, C.H.Beck Verlag München 2024, S. 29 ff.
[2] Brief an F.H, 17.6.40, hrsg. Jens, Inge: Hans und Sophie Scholl. Briefe und Aufzeichnungen, Fischer Verl Frankfurt, 25-26. Tausend Ausgabe Juli 1998, S. 183.
[3] Tagebuch 12.2.42, in hrsg. Jens, Inge: Hans und Sophie Scholl. Briefe und Aufzeichnungen, Fischer Verlag Frankfurt, 25-26. Tausend Ausgabe Juli 1998, S. 252 f.
[4] Vinke, Hermann, Das kurze Leben der Sophie Scholl, Ravensburger Verl. 1987, S. 161.
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