Frohe Weihnachten, liebe Gemeinde, heute, am 26. Dezember. Manche erleben wohl eher verhaltene Weihnachten in diesem Jahr oder sogar "a bleak midwinter", ein ödes und trostloses Weihnachten, weil sie sich gefreut haben auf unbesorgtes Feiern oder um jemanden trauern, der nicht mehr mitfeiern wird.

Wer dann in dieser Stimmung zur Krippe geht, der mag sich wirklich fragen: Was kann ich denn dem Kind überhaupt geben?  "Give him my heart" - mein Herz kann ich ihm geben, singt das Lied, das wir gerade gehört haben.  Wirklich?

Wie sieht es aus in meinem Herzen an diesem Weihnachtsfest? Es ist voller Fragen, voller Unsicherheit.

Eigentlich fängt es schon bei Josef an. Der merkt, dass da mit seiner Maria irgendetwas geschehen ist, was er nicht versteht und nicht fassen kann. Er überlegt, ob es nicht besser ist, sich heimlich aus dem Staub zu machen. Soll das Ganze doch irgendwie weitergehen, aber lieber ohne ihn….

Und dann erscheint ihm ein Engel im Traum.

So ist das mit Fragen und Unsicherheiten: sie treiben einen um, und manchem öffnen sie das Herz und den Geist und im Traum wird er empfänglich für das, was er tun soll - auch, wenn er es nicht versteht.

 "Fürchte dich nicht", hört Josef im Traum den Engel sagen

Wie wäre das, wenn der Engel in diesem Jahr zu mir sagt: Fürchte dich nicht.

Fürchte dich nicht, Bleib auf deinem Weg - auch wenn Du gerade nicht so genau weißt, wie es weitergehen soll. Laß  zu, daß es Weihnachten wird? Laß zu, daß da etwas geschieht, was du scheinbar so gut kennst - und doch nicht fassen kannst?

Und vielleicht würde ich dann aufwachen und mir sagen: Ich laß es jetzt mal geschehen - ich muß nichts machen. Ich bleibe einfach - an der Seite dieser Menschen, die mich brauchen. Ich werde schon erfahren, wohin dieses Weihnachtsfest mich trägt.

Vielleicht würde ich auch einfach nur nachdenklich da bleiben, fragend Ausschau halten, in aller Verunsicherung warten, was geschieht.

Dann kann es dann passieren, dass sich ein Schiff ins Bild schiebt…

Es kommt ein Schiff geladen…

Ein Schiff, das aus dem Nebel auftaucht, eine große Dreimastbark, die tief im Wasser liegt und deren Segel sich blähen. So jedenfalls stellt sich Johannes Tauler das vor. Um 1300 in Straßburg geboren, wird er fast sein ganzes Leben am Oberrhein verbringen. Als Kind sitzt er lange Stunden und Tage am Rhein, er sieht, wie die Handelsschiffe reich beladen den Fluss entlang ziehen. Er versteht, wie wichtig die starken Segel sind und der Mast, damit das Schiff manövrierbar bleibt. Er kennt die Sehnsucht, mit der die Schiffe erwartet werden. Immer wieder erlebt er, wie sie plötzlich auftauchen, aus dem dicken Nebel, wie sie anlanden und ihre kostbare Fracht entladen: Samt und Seide, Gewürze, Schmuck, Waren aus fremden Ländern.

Der Junge hat das nie vergessen. Auch nicht, als er ins Kloster geht und dort seinen Meister findet, den großen Mystiker Meister Eckhardt. Von ihm lernt er, dass man Christus in sich tragen kann, wie eine "teure Last".

 "Was bedeutet das mit dem Schiff, ich verstehe das nicht?", fragt eine Freundin, als ich ihr erzähle, über welches Weihnachtslied ich gerade nachdenke. Das Schiff ist ein uraltes Bild für Maria. Sie ist es, die durch den Geist beseelt und durch die Liebe in Bewegung gesetzt, Jesus zu den Menschen bringt.

Frauen retten Kinder

Es sind immer wieder Frauen, die Kinder retten. Schon ganz am Anfang der biblischen Überlieferung. Da baut nicht nur Noah eine Arche, um die bedrohte Schöpfung in Sicherheit zu bringen. Da stecken Frauen die Köpfe zusammen, weil ein kleines Kind gerettet werden muß. Und sie kommen auf eine großartige Idee und basteln ein Körbchen, eine kleine Arche.

Mirjam saß neben ihrem kleinen Bruder. Seitdem ihre Mutter Jochebet ihn geboren hatte, wechselte sich die ganze Familie – Jochebet, Mirjam, ihr Bruder Aaron und ihr Vater Amram – ab und passte auf, dass niemand ihn bemerkte. Sie hatten Angst vor Pharaos Befehl. Drei Monate hatten sie es geschafft – kein Mensch war gekommen. Doch es wurde zu gefährlich, bald schon würden sie das Baby nicht mehr verstecken können. Da ging die Tür auf: Herein kam Jochebet mit einem Bündel Schilfrohr unter dem Arm und einem Tiegel mit Pech in der Hand. "Mirjam, wir können den Kleinen hier nicht länger beschützen. Wir müssen etwas tun!" Sie machte aus dem Schilfrohr einen Kasten und dichtete ihn mit Pech ab – sie baute eine kleine Arche für ihr Kind und legte es hinein. Dann gingen Mirjam und Jochebet zum Nil und setzten den Kasten ins Schilf am Uferrand.

Mirjam blieb in der Nähe; sie wollte wissen, was geschehen würde. Sie sah, wie die Tochter Pharaos zusammen mit ihren Dienerinnen zum Ufer hinab kam, um in Nil zu baden, und den Kasten im Schilf entdeckte. Mirjam hörte sie rufen: "Geht, bringt mir den Kasten da! Öffnet ihn!" Als sie den Kasten öffneten, fanden sie das Baby. "Das ist ein Junge, ein hebräischer Junge", stellten sie fest. Die Tochter Pharaos hatte Mitleid mit ihm. "Was sollen wir tun? Wir brauchen eine Amme." Mirjam trat schnell hinzu und schlug vor: "Ich kenne eine hebräische Frau. Sie stillt gerade und würde dieses Kind bestimmt auch versorgen." "Geh und hol diese Frau!", befahl die Tochter Pharaos.

Mirjam ging und holte ihre Mutter. So konnte Jochebet ihren Sohn wieder mit nach Hause nehmen und ihn für die ägyptische Königstochter stillen. Er blieb bei ihnen, bis er alt genug war. Dann brachte seine Mutter ihn zur Tochter Pharaos, wie es vereinbart war. Die adoptierte ihn und gab ihm den Namen Mose.

Wie passt das zu Weihnachten?

Ein Wunder geschieht hier. Mose, der hebräische Junge, wird gerettet vor den mörderischen Plänen des Pharao. Der möchte alle kleinen Jungen der Hebräer, die als Volk in Ägypten leben, töten, damit seine eigene Herrschaft nicht in Gefahr gerät. Aber wie passt so eine Geschichte zur Weihnachtsgeschichte?

So weit entfernt voneinander sind diese Geschichten gar nicht. Das Körbchen, die kleine Arche, im Schilf des Nils unter der ägyptischen Sonne verborgen, das rettet ein feines Kind, so sagt seine Mutter zu ihm, als sie es nach der Geburt liebevoll betrachtet. Ein Kind, das - so sagen die jüdischen Frommen - Licht ist und Licht bringen wird und das Volk Israel aus Ägypten in die Freiheit führen.

Und viel später in Bethlehem, da wird ein anderes Kind zum Licht der Welt: geboren von Maria, gerettet durch Josef, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend….

Was mich hier so fasziniert, ist nicht die weihnachtlich angehauchte Parallele zwischen zwei auf wunderbare Weise geretteten Kindern. Mich fasziniert, daß so deutlich wird, wie Gott selbst seine Macht zeigt. Nicht dort, wo die Mächtigen in ihren Palästen sitzen und aus Angst um ihre eigene Macht ihre Mordbefehle ausgeben. Sondern an den Rändern dieser Herrschermacht, an den Grenzen, in den unbedeutenden Landstädtchen, in den Lagern derer, die sich auf den Weg gemacht haben, an den Flüssen, auf den Meeren - überall da, wo ein Kind geschützt, getragen und gerettet wird: Von Männern und von Frauen, in kleinen Kästchen und auf einem großen Schiff.

Es gibt Rettung

Und auf einmal bekommt für mich das Bild vom Weihnachtsschiff noch eine ganz andere Dimension.  Wer vom Weihnachtsschiff erzählt, der weiß, wie gefährdet Leben ist - und zeigt, dass es Rettung gibt.

Weihnachtsschiffe sind überall da unterwegs, wo Menschen sich der kostbaren und gefährdeten Fracht bewußt sind, die sie retten müssen.

Weihnachtsschiffe bringen ja nicht nur Adventsstimmung und Weihnachtsgefühle. Sie zeigen Kinder in all ihrer Verletzlichkeit.  Das Weihnachtsschiff des Johannes Tauler zum Beispiel. Im dritten Vers dieses wunderbaren Liedes vom Weihnachtsschiff wird der Blick auf das Kind gerichtet, das Menschenkind, den Menschen Jesus. Und wer den sieht, den verletzlichen, den verletzten Menschen, der wird – so heißt es in dem Lied – nicht nur die Adventsfreude spüren, sondern auch "groß Pein und Marter viel ".

Wie passt das denn in die Advents- und Weihnachtszeit mit ihrer Zuckermandelsüßigkeit und dem Zimtaroma? Für Johannes Tauler/den Liederdichter gibt es eine Verbindung zwischen Krippe und Kreuz. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Diese Verbindung ist das Kind. Jesus selbst.

"Und wer das Kind mit Freuden umfangen, küssen will, muß vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel…"

Vorher! Der Weg Jesu führt von der Krippe ans Kreuz – und seitdem steht das Leiden, stehen die Kreuze so in der Welt, dass wir sie sehen müssen und uns nicht darum herum drücken können.

Nicht wegschauen und dennoch feiern

Es gilt, hinzuschauen – vorher – sagt Johannes Tauler, und sich zu überlegen: Wie kann das für mich zusammengehören: das Leid anderer Menschen wahrzunehmen und nicht wegzuschauen und dennoch Weihnachten zu feiern.

Wieder und wieder habe ich in den vergangenen Tagen einen Zeitungsartikel gelesen und das Bild angeschaut, das dazugehört. Es ist für mich in diesem Jahr mein Weihnachtsbild.

Das Bild zeigt kein Schiff, es zeigt ein kleines Mädchen mit großen braunen Augen. Dick eingepackt in einen rosa Thermoanzug mit kleinen blauen Sternchen drauf.  Sieben Monate alt ist das kleine Mädchen, das jüngste von neun Kindern einer Familie, die aus dem Irak geflüchtet ist und nun an der polnischen Grenze zwischen Belarus und Polen gelandet sind, weil der Diktator Lukaschenko gemerkt hat, daß er Druck ausüben kann auf die anderen änder, wenn er Flüchtlinge an die EU-Grenzen bringt. Acht mal sind sie mittlerweile über die Grenze nach Polen gelangen und wieder zurückgeschickt worden. Verzweifelt haben sie sich an Aktivisten um Hilfe gewendet. Die Journalistin Anna Alboth berichtet, wie sie mit anderen im Wald nach der Familie sucht, Getränke und warme Kleidung im Gepäck.

Als sie sie endlich gefunden hat, sitzt sie mit ihnen auf dem hartgefrorenen Boden und lehnt den Rücken an einen Baumstamm. Im Arm hält sie das kleine Mädchen. Es lächelt…

Weihnachtsschiffe, das sind Menschen wie Anna Alboth, die dem Kostbarsten und Verletzlichsten bei sich Raum geben, es tragen und halten - für einen Moment.  Das sind die Polizisten, die in ihre Autos Kindersitze montieren, wenn sie an die polnische Grenze fahren. Weihnachtsschiffe, das sind die Menschen, die in den kleinen Dörfern an der Grenze leben und deren Mitgefühl, Mut und Selbstlosigkeit die Flüchtlinge im Wald überleben lässt. Und natürlich sind sie auch jetzt wieder auf dem Mittelmeer unterwegs, die Weihnachtsschiffe…..

Klar kann man das auch anders sehen. Manche sagen: wer jetzt an diesen Grenze hilft oder Flüchtlinge aus Schlauchbooten rettet, macht sich schuldig: er wird zu Handlangern von Diktatoren, zerstört europäische Werte oder lädt gar Terroristen nach Europa ein… Kreuz, Pein und Marter - die liegen mittlerweile auch darin, wie hart über selbstverständlichste Menschlichkeit gestritten wird.

Ja, schreibt Anna Alboth, ich bekenne mich schuldig: schuldig, im Wald Wasserflaschen für die Durstigen zu verstecken, schuldig, Suppe zu teilen, schuldig, feste Schuhe über eiskalte Füße zu streifen, die sich kaum noch bewegen können.

An diesem Weihnachtsfest halte ich Ausschau nach Weihnachtsschiffen und ihrer kostbaren Fracht.

Dabei erinnere ich mich an meine allererste Geschichte vom Weihnachtsschiff. "Sankt Nikolaus in Not" hieß sie. Das große grüne Weihnachtsbuch, in dem sie stand, wurde nur in der Adventszeit hervorgeholt.

Sankt Nikolaus in Not

Sankt Nikolaus ist wirklich in Not. Er hat alle seine Geschenke schon verteilt, nur Cäcilie, das ärmste und bravste Kind in der kleinen Stadt, wartet noch. Sie wünscht sich nichts sehnlicher als das Schokoladenschiff aus dem Süßwarengeschäft der Trine Mutler, das groß und prachtvoll im Schaufenster steht.

Das wird dann alles noch ziemlich kompliziert. Das Schiff kostet 25 Franken, fast alle schlafen schon, der Nikolaus hat kein Geld und darf auch niemanden wecken. Doch am Ende lassen sich alle erweichen - die hartherzige Süßwarenhändlerin, der versponnene Dichter, der Turmwächter, der alle Stunden ein Lied auf seiner Geige kratzt, der Heilige selber und sein knurriger Knecht Ruprecht…. Schließlich landet das Weihnachtsschiff doch noch bei Cäcilie im Kamin: "Da stand es in der kalten Asche, ohne Bruch, ohne Delle, strahlend von Silber und rauchte für mindestens zwei Groschen weiße Watte aus beiden Schornsteinen…."

Wie können wir (trotzdem) Weihnachten feiern? Trotz all dem, was uns in diesem Jahr bedrückt und beschäftigt? Trotz aller Unsicherheit? Trotz aller Fragen?

Wir feiern Weihnachten, weil dieses Fest und alles, was uns an diesem Fest berührt, die Sehnsucht nach Rettung wachhält. Die Sehnsucht danach, dass es Weihnachtsschiffe gibt.

Diese Rettungsbilder dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Ganz egal, wo wir sie finden: in alten grünen Weihnachtsbüchern oder sehnsuchtsvollen Weihnachtsliedern, in der Anfangsgeschichte des Volkes Israel und den Rettungsgeschichten Jesu mit seinen Menschen…

Wenn wir uns von diesen Bildern berühren lassen, macht Gott uns selbst zu Weihnachtsschiffen, zu Menschen, die gerettet sind und selber Rettung bringen können.

Die Evangelische Morgenfeier

"Eine halbe Stunde zum Atemholen, Nachdenken und Besinnen" - der Radiosender Bayern 1 spielt die Evangelische Morgenfeier für seine Hörerinnen und Hörer immer sonntags von 10.32 bis 11.00 Uhr. Dabei haben Pfarrerinnen und Pfarrer aus ganz Bayern das Wort. "Es geht um persönliche Erfahrungen mit dem Glauben, die Dinge des Lebens - um Gott und die Welt."

Das Sonntagsblatt veröffentlicht die Evangelische Morgenfeier im Wortlaut jeden Sonntagvormittag an dieser Stelle.