Einen gesellschaftlichen Konsens für mehr Wohnungsbau fordert der Rosenheimer Diakonievorstand Andreas Dexheimer. "Mehr Wohnraum heißt entweder höher bauen oder verdichten", sagte der Leiter des Projekts "Wohnraum für Alle" der Diakonie Rosenheim.

Das sei aber nicht möglich, wenn sich bei vielen Bauprojekten sofort Widerstand aus der Bevölkerung rege, betonte der Experte in einem Gespräch mit dem Sonntagsblatt. Politik und Kirchen müssten deshalb stärker für die "soziale Verantwortung aller für das Gemeinwesen werben", denn der Wohnraummangel sei in Oberbayern das derzeit größte soziale Problem.

"Wohnraum für alle" hat mehr als 2.000 Geflüchteten eigene Wohnungen vermittelt

Durch das Projekt "Wohnraum für Alle - Integration braucht ein Zuhause", das die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) und die Diakonie in Kooperation mit dem bayerischen Innenministerium seit 2019 aufbauen, hätten bereits mehr als 2.000 geflüchtete Menschen an acht bayerischen Standorten eigene Wohnungen gefunden.

Durch Netzwerkarbeit mit Wohnungsgenossenschaften und privaten Vermietern habe das Projekt "sehr hohe Vermittlungsquoten", sagte Dexheimer. Allein im Großraum Rosenheim habe man im laufenden Jahr 132 Fälle betreut und dabei 123 Menschen in 38 Wohnungen vermittelt. Weitere Standorte von "Wohnen für Alle" sind Augsburg, Hof, Kempten, Nürnberg, Schweinfurt, Straubing und Traunstein.

Sozial und wirtschaftlich sinnvoll

Durch Überzeugungsarbeit ließen sich viele Vermieter für das Projekt gewinnen, weil es "sozial und wirtschaftlich sinnvoll" sei, sagte der Diakonievorstand. Für die Vermieter bedeute es sichere Einnahmen, da die Miete vom Jobcenter überwiesen werde. Für die geflüchteten Menschen bedeute eine eigene Wohnung nach oft monatelanger Odyssee ein Ende der Flucht.

"Wohnung und Arbeitsstelle sind die zwei größten Baustellen beim Thema Integration",

erklärte Dexheimer. Nur wer endlich ankomme, könne anfangen, sich um ein neues Leben zu kümmern.

Vermieter finden, Vorurteile abbauen

Während das aktuelle Projekt vor allem geflüchtete Menschen betreue, biete die Diakonie in Bayern schon seit Jahren auch allen anderen Menschen in sozialen Schwierigkeiten Hilfe mit ihren Fachstellen rund ums Thema Wohnen und Wohnungslosigkeit. Auch dort gehe es darum, Vermieter zu finden, Vorurteile abzubauen und Menschen in Mietverhältnisse zu begleiten.

Es gebe eine relativ breite gesellschaftliche Gruppe, die sich dafür gewinnen lasse - deshalb sei diese Arbeit erfolgreich. "Aber es entsteht dadurch kein einziges Zimmer mehr", betonte Dexheimer.

Innenminister: Bezahlbarer Wohnraum ist Baustein für Integration

Bezahlbaren Wohnraum hat der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) als wichtigen Baustein für Integration und gesellschaftliche Teilhabe bezeichnet. Deshalb fördere der Freistaat seit 2019 das Projekt "Wohnen für Alle", sagte der Minister am Mittwoch in Bad Aibling. Die Förderung betrage im laufenden Jahr 900.000 Euro, teilte das Ministerium mit.

In den letzten zwei Jahren hätten bereits 1.998 Geflüchtete durch "Wohnen für Alle" eine Wohnung gefunden. "Dahinter stehen Familien, die ein Zuhause gefunden haben und Kinder, die nun einen Platz und Ruhe haben für Spiel und Hausaufgaben", erklärte Herrmann bei der Vorstellung des Projekts. Die Wohnungsnot in den Ballungszentren sei aber nicht erst durch Migration und Flucht entstanden. Deshalb dürften "nicht einzelne Gruppen in ihrer gemeinsamen Not gegeneinander" ausgespielt werden, sagte der Innenminister.

ELKB: Stabilität, die ein Zuhause verleiht

Auf die Bedeutung einer eigenen Wohnung verwies auch Oberkirchenrat Stefan Blumtritt, der das Projekt für die ELKB verantwortet. Erst aus "der Stabilität, die ein Zuhause verleiht", könnten Geflüchtete selbst ihren Beitrag zum Gemeinwesen leisten, sagte der Theologe laut Redemanuskript. Wohnungsnot sei jedoch ein Thema, das auch Einheimische mit wenig Geld und selbst Menschen "mit einem ordentlichen Einkommen" treffe. Deshalb engagierten sich Kirche und Diakonie seit Jahren in der allgemeinen Sozialarbeit, der Wohnungsnotfallhilfe oder der Schuldner-, Schwangeren- und Familienberatung für Menschen in Notlagen.

Blumtritt erteilte allen Unterscheidungen "zwischen Einheimischen und Eingewanderten, zwischen ukrainischen Flüchtlingen und solchen aus anderen Ländern" eine Absage.

"Solche Fragen treiben einen Spalt in unser Land",

sagte der Oberkirchenrat. Sie vergrößerten die Kluft zwischen den Menschen, die den demokratischen Sozialstaat schützen wollten und jenen, die das Vertrauen in ihn verloren hätten. Seine Überzeugung sei, "dass Integration am Ende dazu beiträgt, diese Kluft zu verkleinern".