Aus dem Fenster seines Büros hat Hannes B. Erhardt einen Blick auf Nürnberg wie aus dem Postkartenalbum. Die Nürnberger Altstadt mit St. Lorenz und St. Sebaldus liegt unten vor ihm, oben thront die Kaiserburg. Hier am Spittlertorgraben in der Nähe des Plärrers ist derzeit das Evangelische Siedlungswerk (ESW) untergebracht, Erhardt ist neben Robert Flock dort einer der beiden Geschäftsführer.

Nürnberg ist Hauptsitz des ESW, Nürnberg ist aber auch die Stadt, in der das Siedlungswerk momentan sehr viel investiert. Am Wöhrder See werden 49 Wohnungen für 14,3 Millionen Euro gebaut, im neuen Wohnquartier "StadtLuft" im Ortsteil Schweinau entstehen 178 Wohnungen für 54 Millionen Euro.

"Jetzt entsteht hier das, was wir sofort in diesem Grundstück gesehen haben: ein durchmischtes, nachhaltiges Quartier mit Wohnungen für alle Lebenslagen", freut sich Erhardt.

Begonnen hat das ESW 1949 mit drei Angestellten und dem Nürnberger Diakonie-Pfarrer Balthasar Dyroff als ehrenamtlichem Geschäftsführer. Sie hatten den Auftrag, in einem vom Zweiten Weltkrieg gezeichneten Land etwas gegen die Wohnungsnot zu unternehmen.

Ein Fünftel des Wohnraums auf dem Gebiet der jungen Bundesrepublik war durch den Krieg zerstört, etwa vier Millionen Wohnungen; gleichzeitig kamen zwölf Millionen Menschen durch Flucht und Vertreibung nach Deutschland.

Mit dem Evangelischen Siedlungswerk wurde in Nürnberg ein gemeinnütziger Bauträger gegründet, Hauptgesellschafter wurde die bayerische evangelische Landeskirche.

Nicht viel später entstand die Münchner Zweigstelle, die im Landeskirchenamt unterkam. Heute hat das ESW 315 haupt- und nebenberufliche Mitarbeiter, darunter 16 Auszubildende. Mit rund 13.000 bewirtschafteten Einheiten ist das ESW das größte evangelische Wohnungsunternehmen in Deutschland.

"In den nächsten Jahren wollen wir den Bestand systematisch weiterentwickeln", sagt Erhardt. "Wir wollen bezahlbaren Wohnraum schaffen, vor allem für Familien, Alleinerziehende, Studenten und Senioren." Das soll in den Metropolregionen von Nürnberg und in München geschehen, aber auch in Augsburg, Regensburg, Ingolstadt, Traunreut und Würzburg.

Insgesamt sollen in den nächsten Jahren rund 1.000 Wohnungen dazukommen. Das ESW kauft und saniert Häuser, baut aber auch neu. Der Eigenbestand soll auf diese Weise auf 6.000 Wohnungen steigen.

Eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass in den deutschen Metropolen viel zu wenige Wohnungen gebaut werden. In München beispielsweise wurde der Bedarf an Neubauwohnungen seit 2016 nur zu 67 Prozent gedeckt.

Die Große Koalition in Berlin wollte in der laufenden Legislaturperiode pro Jahr 375.000 Wohnungen bauen, tatsächlich stagniert die Zahl bei etwas mehr als 285.000.

Die Politik müsse sich den Weg aus der Krise etwas kosten lassen, findet Erhardt: "Sie sollte günstige Wohnungen den Unternehmen an die Hand geben, die Gutes damit tun." Zu diesen Unternehmen gehört aus seiner Sicht das Evangelische Siedlungswerk.

Von Anfang an orientierte sich das ESW an christlichen Werten. Und "Klimaschutz und die Bewahrung der Schöpfung beginnen vor Ort", sagt Erhardt. Wegen der Knappheit der Ressourcen und der Verantwortung für zukünftige Generationen setze das Evangelische Siedlungswerk auf ökologische Nachhaltigkeit.

Bis 2021 will das Unternehmen den Kernbestand seiner Immobilien energetisch sanieren.

Zahlreiche Wohnanlagen wurden bereits mit Fotovoltaikanlagen ausgestattet. Sie erzeugen damit jährlich etwa 1,55 Millionen Kilowattstunden Strom, was dem Verbrauch von 441 Haushalten entspricht. Bei allen Unternehmungen sei es das Ziel, den Verbrauch für Heizenergie, Strom, Wasser, Abfall und Reinigungsmittel zu reduzieren.

In den 70 Jahren seines Bestehens hat das Evangelische Siedlungswerk 23.000 Wohnungen gebaut. Dabei gab es immer wieder außergewöhnliche Projekte, die Aufsehen erregt haben. 1983 baute das ESW eine kleine Siedlung mit sieben Häusern in Nürnberg an der Uffenheimer Straße, um Sinti-Familien eine Heimat zu geben.

1998 entstand in Nürnberg eine Wohnanlage für alleinerziehende Mütter mit angrenzendem Kindergarten und einem Betreuungsangebot durch Sozialpädagoginnen. Und im März 2018 wurde der "SonnenTurm" in Fürth bezugsfertig, ein Hochhaus in einem sozialen Brennpunkt. Dabei wurde ein marodes 14-stöckiges Gebäude aus den 1960er-Jahren kernsaniert.

Kann man mit sozialer Ausrichtung auch künftig im Haifischbecken Immobilienmarkt bestehen?

Erhardt blickt aus dem Fenster, über die Dächer der Altstadt und ihre Kirchtürme zu Füßen der Kaiserburg. "Für einen langfristigen Erfolg muss sich das ESW an den Vorgaben des Markts orientieren", sagt er. "Aber es darf seine christlichen Grundsätze nicht vergessen."