Herr Graßmann, Sie sind der Theologische Vorstand der Diakonie Augsburg und seit November 2024 auch zugleich der Vorsitzende des Diakonischen Rats. Wie sieht hier Ihre Rolle aus?

Fritz Graßmann: Der Diakonische Rat ist das oberste gewählte Gremium der Diakonie in Bayern und hat insofern eine Aufsichtsfunktion gegenüber dem Landesverband und seiner Geschäftsstelle sowie dem Vorstand. Es geht aber auch darum, die Themen und Interessen der Diakonie in Bayern voranzutreiben und klar nach außen zu artikulieren, manchmal natürlich auch gegenüber der Kirche. Allerdings ist Diakonie anders organisiert als Kirche. Unsere Mitglieder sind alle selbstständige Vereine oder Unternehmen. Unsere Einflussmöglichkeiten auf unsere Mitglieder sind deshalb begrenzt.

Die Diakonie steht jetzt thematisch im Mittelpunkt der Landessynode, die bei Ihnen in Augsburg stattfindet. Wie bereiten Sie sich inhaltlich darauf vor?

Wir freuen uns auf die Synode. Es ist jetzt an der Zeit, dass sich Kirche und Diakonie Gedanken machen, wie wir gemeinsam Es gibt ja größere wie kleinere Diakonien, die jeweils unterschiedlich aufgestellt sind.

Wie ist das Augsburger Modell?

Wir haben, wie ich finde, eine glückliche Struktur im Diakonischen Werk Augsburg mit mir als Theologischem Vorstand und dazu einem Kaufmännischen Vorstand sowie einem Fachvorstand. Denn Diakonie hat immer drei Dimensionen. Die eine ist das diakonische Profil als Soziale Arbeit der evangelischen Kirche. Die zweite ist die Wirtschaftlichkeit, denn wir sind Sozialunternehmen. Die dritte Dimension besteht darin, dass wir eine fachlich saubere Arbeit leisten müssen. Diese drei Dimensionen müssen wir immer zusammenbringen. Das ist bei uns durch die verschiedenen Rollen der Vorstände gut gelöst. Andere Werke organisieren sich anders, aber es sind letztlich dieselben Themen, die wir alle in der Diakonie ausbalancieren müssen.

Der Vorsitzende des Finanzausschusses der Landessynode, Joachim Pietzcker, hat bei der Herbstsynode 2024 anklingen lassen, die Landeskirche könne mittel- und längerfristig nicht für die Defizite der Diakonie aufkommen. Wie beurteilen Sie diese Gedanken?

Wenn man realistisch auf die Dinge blickt, muss man sagen: Es gab und gibt Krisen. Das aktuelle Beispiel ist natürlich Diakoneo. Auch andere einzelne Diakonische Werke und Einrichtungen hatten oder haben wirtschaftliche Probleme. Aber im Großen und Ganzen ist die Diakonie in Bayern sehr gesund – auch im Vergleich zu anderen Anbietern der Sozialwirtschaft. Die überwiegende Zahl der Diakonischen Werke und Unternehmen kann sich in herausfordernden Zeiten gut im Markt halten.

Wird es weitere Zusammenlegungen geben?

Natürlich lässt sich nicht bestreiten, dass wir auch in der Diakonie einen Konzentrationsprozess erleben. Das hat damit zu tun, dass die Anforderungen beispielsweise an Digitalisierung, fachliche Standards, Verwaltung und Bürokratie immer größer werden. Da braucht es eine gewisse Größe, um gut arbeiten zu können. Aber ich bin überzeugt: Wir werden diesen Transformationsprozess, den es in ähnlicher Form ja auch in der Kirche gibt, weiterhin gut umsetzen. Weitgehend ohne kirchliche Mittel! Die Regel ist doch: Wenn irgendwo ein Diakonisches Werk oder eine Einrichtung in die Krise geraten, dann steigen andere diakonische Träger ein. Ich habe das selbst mehrfach in Augsburg mitgestaltet, und die neuen Strukturen waren nachher stärker als zuvor.

Wenn Sie Ihren Augsburger Weg beschreiben: Wie gehen Sie es an, dass der Laden läuft und auch gesund bleibt?

Zunächst ist bei uns jedem Fachbereich klar, dass er schwarze Zahlen schreiben muss. Das ist nicht überall gleich einfach, und manchmal ist eine "schwarze Null" schon ein gutes Ergebnis. Es gibt auch mal eine Krise. Die stehen wir dann gemeinsam durch. Aber jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter weiß bei uns: Nur wenn ich wirtschaftlich und fachlich gut arbeite, geht es meinem Unternehmen gut, und mein Job ist sicher. Denn als Diakonie Augsburg brauchen wir Überschüsse, um unsere Gebäude zu erhalten, die Digitalisierung umzusetzen, eine ordentliche Personalentwicklung zu gestalten und gute Fortbildungen zu finanzieren. Deshalb wird für jede Einrichtung noch vor dem Wirtschaftsjahr eine Wirtschaftsplanung erstellt und das Jahr über regelmäßig mit dem Controlling abgeglichen.

Diese Herangehensweise unterscheidet Sie dann ja von der Art, wie Kirche an die Themen geht.

Das klingt jetzt so, als müsse die Kirche nicht gut wirtschaften. So ist das nicht. Aber natürlich ist die vor allen Dingen steuerfinanzierte Kirche in einer anderen Situation als wir – auch wenn diese Einnahmen sinken. Als Diakonie müssen wir unser Geld tagtäglich erwirtschaften, und das unter immer schwierigeren Bedingungen. Etwa weil Mitarbeitende fehlen oder die Refinanzierung bestimmter Angebote nicht mehr gesichert ist. Alle Anstrengungen stoßen aber da an Grenzen, wo die Organisation einfach nicht mehr passt oder ein Werk einfach zu klein sind, um dauerhaft zu bestehen. Da braucht es dann Verbünde. Das machen wir in Schwaben längst. So etwas geht bei der Diakonie dann oft sehr schnell.

Wie läuft das ab?

Werke fusionieren, wie die Diakonien in Kempten und Memmingen zur Diakonie Allgäu. Oder es gibt Werke und Einrichtungen, die bestimmte Leistungen, die sie wegen der immer höheren regulatorischen und fachlichen Anforderungen selbst nicht mehr wirtschaftlich durchführen können, bei uns einkaufen. Zum Beispiel bei der Gehaltsabrechnung, in der Finanzbuchhaltung oder beim Förderwesen. Im Großen haben wir da in Bayern die "Kirchliche Dienstleistungs- und Beratungsgesellschaft" KDSE in Nürnberg, die vielfältiges Knowhow für die Sozialwirtschaft bereithält und in Einzelfällen sogar übergangsweise die Geschäftsführung übernehmen kann. Wir sind da gut aufgestellt.

Wie interpretieren Sie die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung aus dem Jahr 2023 für das Standing der Diakonie?

Viele Menschen verstehen Kirche am ehesten noch über Diakonie. Das muss man klar so sagen. Mich schmerzt das auch. Ich bin Pfarrer, mir ist die christliche Lehre enorm wichtig. Aber ich glaube, wir können über eine gute Arbeit im sozialen Bereich und im Gemeinwesen die Menschen wieder dazu bringen, zu fragen, woher dieser gute diakonische Geist kommt. Im Ursprung des Christentums hat doch auch zuerst die christliche Nächstenliebe Außenstehende angesprochen und überzeugt. Erst danach haben diese Menschen angefangen zu fragen, woher diese Liebe kommt, und sich für die Botschaft dahinter und damit für Jesus Christus interessiert. Nach unserem theologischen Denken geht der Weg von der Lehre und vom Glauben zur Tat und zur Liebe. Von der biographischen Perspektive her, also wie ein Mensch auch heute Christ wird, geht der Weg meistens von der Erfahrung der Nächstenliebe zum Glauben und damit zur Kirche zurück. Diesen Weg müssen wir wieder stärken.

Wie ist die Stimmung unter Ihren Mitarbeitern der Kirche gegenüber?

Wir haben immer mehr, die überhaupt keinen kirchlichen Hintergrund haben, aber gerne bei einem kirchlichen Unternehmen arbeiten – und dann auch mehr darüber wissen wollen. Das ist die Chance, von der ich eben sprach. Diese Chance sollten wir auch gemeinsam nutzen. Als Diakonie fehlen uns wegen der wirtschaftlichen Herausforderungen oft Ressourcen, um auch mehr Zeit für geistliche Themen mit unseren Mitarbeitenden zu haben. Ich glaube, da wären kirchliche Mittel gut eingesetzt.

Diakonien der Größe wie Ihre haben eine Vielzahl an Bereichen unter sich. Gibt es da welche, die Sie als zukunftsfähig erachten, andererseits als verzichtbar?

Wir denken erst einmal von unserem Auftrag her. Wo Menschen in Not sind und Hilfe brauchen, dort hat Diakonie eine Aufgabe. Da geht es auch nicht sofort ums Geld. Nach meiner Überzeugung sind alle Bereiche, die wir momentan bedienen, notwendig. Aber ja, wir werden uns fragen müssen, ob wir uns alle auf Dauer leisten können. Vermutlich müssen wir auch Aufgaben an den Staat zurückgeben müssen. Auch wenn das schmerzt. Und es gibt Bereiche – wie die Migrations- oder Armutsberatung – da werden wir auch in Zukunft ohne kirchliche Mittel nicht auskommen können, weil die Finanzierung von staatlicher Seite oft so schwierig ist, dass man diesen Bereich ohne zusätzliche Hilfe nicht erhalten kann.

Wäre das ein klarer Fingerzeig in Richtung Kirche, die Diakonie hochzuhalten?

Das tut sie ja oft. Wenn ich sehe, mit welchen Projekten die Kirche in ihren Briefen zu Kirchensteuer und Kirchgeld wirbt, dann sind das sehr häufig diakonische Projekte oder Projekte an der Schnittstelle zwischen Kirche und Diakonie. Ich glaube, Kirche weiß, welcher Schatz die Diakonie auch in dieser Hinsicht für sie ist. Auch die Vesperkirche ist etwas, das Kirche und Diakonie miteinander machen. Hier in Augsburg jedenfalls sieht man das ganz deutlich. die Kirche der Zukunft entwickeln können. Ich selber kenne beide Seiten, weil ich als Pfarrer 20 Jahre lang im Gemeindedienst war, ehe ich vor 15 Jahren zur Diakonie wechselte. Ich spreche sozusagen beide Sprachen, also die Sprache der Diakonie und die der Kirche. So kann ich auf beiden Seiten für mehr Verständnis werben.

Aber auch der Staat sollte sich entsprechend bei der Diakonie beteiligen, oder?

Die Kommunen und Bezirke stehen zurzeit sehr schlecht da. Dann wird es manchmal beispielsweise in der Jugendhilfe schwierig, Dinge noch ordentlich finanziert zu bekommen. Da müssen wir dann schon sagen: "Liebe Kommune, lieber Bezirk, dann musst du das allein machen, denn wir können und wollen nur Leistungen anbieten, die wir fachlich verantworten können und von deren Erlösen wir unsere Mitarbeitenden auch angemessen bezahlen können." Diese Gespräche sind nicht angenehm, aber wir führen sie.

Es gibt dieses Bild von den zwei Seiten der Medaille, Kirche und Diakonie. Sehen Sie Bereiche, wo beide Seiten noch enger zusammenrücken müssen?

Ich glaube, das ist ein altes Bild, von dem wir uns verabschieden sollten. Denn dieses Bild beinhaltet ja auch: Die beiden Seiten bekommen sich nie zu Gesicht. Ja, Kirche und Diakonie unterscheiden sich in vielem, aber wir sprechen gerade im Vorfeld der Synode nicht ohne Grund von einer "diakonischen Kirche" und der "kirchlichen Diakonie". Wenn wir uns darüber einig sind, dann können wir auch gut über die Unterschiede sprechen. Was wir aneinander haben, sieht man beispielsweise an den armutsorientierten Angeboten der Diakonie, aber auch bei den Beratungsstellen. Hier kann mit oft geringen kirchlichen Mitteln viel erreicht werden. Die Kirche hat da einen enormen gesellschaftlichen Hebel, den sie ohne die Förderung einer eigenständigen Diakonie verlieren würde. Wir sind als Diakonie ein zentraler Weg, um das Evangelium zu den Menschen zu bringen.

Ist die Diakonie demnach kein Problemfall, den man jetzt auch noch retten muss?

Im Gegenteil, wir können füreinander so vieles möglich machen: Viele Kirchengemeinden fangen jetzt beispielsweise an, das Thema Gemeinwesenarbeit im Stadtteil und in der lokalen Umgebung zu entwickeln. Da ist die Diakonie die geborene Partnerin. Und andersherum: Wir haben immer Bedarf an Gebäuden. In Augsburg haben wir den Gemeinden zwei Pfarrhäuser abgenommen, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr gebraucht wurden. Wir haben jetzt im einen Haus Wohnungslose, im anderen Haftentlassene untergebracht. So etwas hilft der Kirche. Denn die Kirchengemeinden erhalten über uns ordentliche Mieteinnahmen und haben einen verlässlichen Mieter. Uns hilft es, weil wir für unsere Angebote Räume finden. Oder nehmen Sie die Vesperkirche. Da arbeiten meine KASA-Mitarbeiterinnen mit Freude mit und haben das Gefühl, bei Kirche nah dran zu sein. Oder Mitarbeitende der Diakonie arbeiten ehrenamtlich mit. Umgekehrt hat Kirche plötzlich 500 Besucher jeden Tag und ist Gesprächsthema in der Stadt. Die Öffentlichkeit nimmt wahr, wie erfolgreich Kirche arbeiten kann. Das wirkt auch missionarisch. Man sieht also: Kirche und Diakonie sind verschieden, wir gehören aber an denselben Stamm.

Eines Ihrer Projekte ist gerade das Forum St. Johannes, in dessen Zuge die Stadt Augsburg in der evangelischen Kirche St. Johannes in Zusammenarbeit mit der Diakonie Augsburg im Stadtteil Oberhausen Betreuung für Suchtkranke anbieten will. Wie weit ist dieses Projekt gediehen?

St. Johannes ist natürlich ein sehr dickes Brett, das gebohrt werden muss. Aber es kommt. Jetzt haben wir mit der Kirchengemeinde den Mietvertrag für Gemeindesaal und Pfarrhaus und mit der Stadt den Untermietvertrag unterschrieben. Wir werden jetzt die Bauplanung einreichen. Den therapeutischen Treff für die Suchtkranken wollen wir bis Anfang 2026 aufbauen. Damit gelingt es, für eine ganz schwierige Kirchenimmobilie unter Einbeziehung der Stadt eine gute Lösung zu finden. Das andere Thema ist das Kirchengebäude selbst, in dem wir ein Café planen, aber auch Beratungs- und Begegnungsräume. Hier gibt es bereits die Zusage der Landeskirche, sich finanziell zu beteiligen.

Wenn Sie sich es wünschen könnten, welche Erkenntnisse sollten am Ende die Synodalen haben?

Dass sie stolz auf ihre Diakonie sind und auf das, was Diakonie in Bayern schafft. Dass sie die Chancen sehen, die Diakonie eröffnet für die Entwicklung von Kirche. Dass jede Synodale mal vor Ort ihr Diakonisches Werk besucht und es mit hineinnimmt in ihr Bild von Kirche. Und dass wir miteinander eine diakonische Kirche bauen. Natürlich reden wir viel über Finanzen. Darüber lässt sich ja auch trefflich streiten. Ich wünsche mir aber, dass wir vor diesen Debatten darüber einig sind, dass wir auf dem gleichen Grund bauen und aufeinander angewiesen sind. Wir brauchen einander. Es scheint vielleicht manchmal zwar so, als sei die Diakonie in einer stärkeren Position, weil Kirche angefochten ist in der Gesellschaft und Diakonie gesellschaftlich gebraucht wird. Aber umgekehrt gilt auch: Diakonie ohne Kirche verliert ihre Seele. Ohne das Herz des barmherzigen Samariters, ohne die Sozialkritik eines Propheten Amos und ohne die Heilszusage des Evangeliums, die auch uns Erlösung vom ewigen Leistungsdenken verspricht, verblutet Diakonie aus. Wir brauchen das Miteinander, wir müssen uns gegenseitig stärken. Das wünscht sich die bayerische Diakonie von der Synode.

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