Im Koalitionsvertrag steht dieser etwas schwammige Satz, dass die Bundesregierung prüfen will, inwieweit das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen angeglichen werden kann. Was halten Sie von dieser Idee?

Detlev Fey: Es kommt drauf an, was sich dahinter verbirgt. Die Grünen wünschen sich eine weitgehende Einschränkung unserer religionsverfassungsrechtlichen Stellung. Davon halten wir als Kirche genau wie die katholischen Geschwister nichts. Worüber man reden kann, ist an einzelnen Punkten Annäherungen an das staatliche Arbeitsrecht vorzunehmen, wobei die Unterschiede gar nicht so gravierend sind, wie das von Teilen der Grünen, der SPD oder gerade auch von ver.di dargestellt wird.

"Wir sind in der Frage der Sozialpartnerschaft als Kirche frei."

Die Grünen haben auf ihrem Parteitag beschlossen, die Abschaffung des Dritten Wegs zu fordern.

Das können die Grünen fordern. Aber wir sind in der Frage der Sozialpartnerschaft als Kirche frei. Ob wir sagen, wir wollen Arbeitsbedingungen in tarifvertragliche Beziehungen regeln, was in einigen Landeskirchen und Teilen der Diakonie der Fall ist, oder wir wollen das, wie in der bayerischen Landeskirche und ihrer Diakonie, das über den Dritten Weg tun.

Weil es im Grundgesetz garantiert ist?

Wir haben im Grundgesetz eine Besonderheit, weil die religionsverfassungsrechtlichen Artikel der Weimarer Reichsverfassung nach wie vor gültiges Verfassungsrecht sind. Und Dreh und Angelpunkt ist der Artikel 137 Absatz drei der Weimarer Reichsverfassung. Darin heißt es: Die Religionsgesellschaften regeln ihre eigenen Angelegenheiten selbst innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze.  Selbstverständlich gelten im kirchlichen diakonischen Dienst alle Arbeitnehmer-Schutzbestimmungen. Es sei denn, die Kirche ist als Kirche betroffen.

"Wenn wir in der Osternacht Gottesdienst feiern, brauchen wir keine Genehmigung vom Gewerbeaufsichtsamt."

Was meinen Sie damit?

Wenn wir beispielsweise in der Osternacht Gottesdienst feiern, brauchen wir keine Genehmigung vom Gewerbeaufsichtsamt.

Was macht Sie so sicher, dass der Dritte Weg nicht zur Disposition steht?

Eine Forderung ist ja die Abschaffung des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts des kirchlichen Betriebsverfassungsgesetzes. Dazu müsste man, folgt man der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, das Grundgesetz ändern. Und das ist nicht wahrscheinlich. Und was mich noch sicher macht: Die Grünen haben vor einigen Jahren bei den wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages ein Gutachten in Auftrag gegeben, wie sich das Mitarbeitervertretung der Evangelischen Kirche zum Betriebsverfassungsgesetz verhält. Und nach 50 Seiten Gutachten sind die wissenschaftlichen Dienste zum Ergebnis gekommen: Es unterscheidet sich ein bisschen, aber das Mitarbeitervertretungsgesetz ist ein etwa gleichwertiges Äquivalent zum Betriebsverfassungsgesetz. Dieses Gutachten ist übrigens nicht veröffentlicht worden, womöglich, weil den Grünen das Ergebnis nicht behagte.

Der dritte Weg im kirchlichen Arbeitsrecht

In beiden großen Kirchen gilt im Arbeitsrecht der sogenannte Dritte Weg. Im Unterschied zum Tarifvertragssystem in der Wirtschaft und im Öffentlichen Dienst (Zweiter Weg) werden Löhne und Gehälter bei den Kirchen in Arbeitsrechtlichen Kommissionen ausgehandelt. Diese sind mit Vertretern von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen paritätisch besetzt.

Der Erste Weg ist die einseitige Festlegung der Löhne durch den Arbeitgeber. Beim Dritten Weg sind Streiks und Aussperrungen verboten. Rechtliche Grundlage des kirchlichen Arbeitsrechts ist das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen.

Das kirchliche Arbeitsrecht ist also besser als sein Ruf?

Es hat zwar gelegentlich eine schlechte Presse, ist aber, wenn man sich mal anschaut, deutlich besser als sein Ruf. Ich kann das an drei Dingen konkret benennen: Es gibt in neun Prozent aller betriebsratsfähigen Betriebe tatsächlich auch Betriebsräte. Neun Prozent. Wir haben in 90 Prozent aller Einrichtungen eine Mitarbeitervertretung. Das ist ein ganz anderer Deckungsrad betrieblicher Interessenvertretung als draußen in der Welt. Dann zahlen wir in der Pflegewirtschaft gemeinsam mit der Caritas die höchsten Entgelte. Und in der verfassten Kirche, also in den Landeskirchen, Kirchengemeinden, Dekanate etc. zahlen wir wie der öffentliche Dienst, teilweise ein wenig besser. Also kann es ja so schrecklich mit dem kirchlichen Arbeitsrecht nicht sein.

"Wenn der Dritte Weg funktioniert, wenn die Spielregeln eingehalten werden, ist Streik nicht erforderlich."

Die Zulässigkeit von Arbeitskämpfen und Streik käme für Sie nicht infrage?

Das Bundesarbeitsgericht hat im November 2012 festgestellt: Wenn der Dritte Weg funktioniert, wenn die Spielregeln eingehalten werden, ist Streik nicht erforderlich und von daher ausgeschlossen. Das ist auch die kirchliche Position. Wenn der Dritte Weg nicht funktioniert, weil der individuelle Arbeitgeber sich nicht daran hält, ist Streik möglich. Auch das ist auch unsere Auffassung. Dazu muss man sehen: Die Gewerkschaften haben im Bereich der Evangelischen Kirche und der Diakonie einen Organisationsgrad zwischen einem und fünf Prozent. Jede Schnupfenwelle kostet uns mehr Arbeitskraft als uns ein Streik kosten würde.

"Arbeitsrecht ist eine dynamische Materie. Das gilt auch für das kirchliche Arbeitsrecht."

Das klingt, als sähe die EKD das Ansinnen der Ampelkoalition relativ gelassen.

Ja. Wir sind gesprächsbereit, aber wir werden aufzeigen, was nicht zur Disposition steht. Über Details kann man immer reden. Wir wollen ja nicht den Eindruck erwecken, als sagten wir, es müsse alles so bleiben. Arbeitsrecht ist eine dynamische Materie. Das gilt auch für das kirchliche Arbeitsrecht.

Detlev Fey
Oberkirchenrat Detlev Fey ist Referent für Arbeitsrecht, kirchliche Werke und Einrichtungen im Kirchenamt der EKD.

In welchen Punkten wäre die EKD denn gesprächsbereit?

Wir können uns vorstellen, dass wir, was wir rechtlich nicht tun müssten, Unternehmensmitbestimmung in größeren diakonischen Einrichtungen auf einer verbindlichen Grundlage etablieren. Bisher gibt es dazu eine sogenannte Verbandsempfehlung der Diakonie Deutschland. Das können wir uns verbindlich vorstellen, weil es auch zum Leitgedanken der Dienstgemeinschaft gut passt, dass an der Führung diakonischer Unternehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Teilhabe haben.

Gab es bereits konkrete Gespräche mit der Regierung?

Ich selbst hatte letztes Jahr im Herbst eine Gesprächsrunde mit den religionspolitischen Sprechern der SPD-Landtagsfraktionen und der Bundestagsfraktion, also den Abgeordneten, die für Religion zuständig sind. Es gab Mitte Juni eine Gesprächsrunde der Grünen, die Experten eingeladen haben. Allerdings gibt es in Berlin natürlich aktuell andere Themen, die vorherrschender sind als das Arbeitsrecht der Kirchen.

"Verbesserungsbedarf gibt es immer und überall, aber prinzipiell ist das kirchliche Arbeitsrecht gut."

Sie rechnen also nicht mit einer baldigen Entscheidung?

Ich gehe davon aus, dass im Spätherbst oder im Frühling Gespräche stattfinden werden. Wir sind dazu auch bereit und wollen uns der Diskussion auch nicht verschließen, weil wir eben rüberbringen wollen, dass das kirchliche Arbeitsrecht prinzipiell gut ist. Verbesserungsbedarf gibt es immer und überall, aber prinzipiell ist es gut. Unsere Beschäftigten kriegen pünktlich eine vernünftige Vergütung. Und man gönnt Menschen immer noch mehr als anderswo, in der Pflege beispielsweise.