Als erste lutherische Kirche besiegeln die bayerischen Protestanten am Samstag (7. Juni) die volle Kirchengemeinschaft mit der amerikanischen Episkopalkirche. Für Bischof Sean Rowe bedeutet diese Zusammenarbeit die lebendige Kraft gemeinsamer Mission, die in Zeiten globaler Herausforderungen ein starkes Zeugnis der Einheit Christi setzt.
Seit über hundert Jahren ist die Episkopalkirche in Bayern präsent, heute stärker denn je verbunden mit ihren lutherischen Nachbarn. Im Interview spricht Rowe über die theologischen Grundlagen, die Bedeutung dieser Partnerschaft und die Inspiration durch Martin Luther für den gemeinsamen Weg.
"Wir haben schon lange als Nachbarn zusammengearbeitet"
Was bedeutet die Kirchengemeinschaft mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für die episkopale Kirche?
Bischof Sean Rowe: Unsere Kirche ist seit über hundert Jahren in Bayern präsent. Heute sind wir die einzige Vertretung der Anglikanischen Gemeinschaft in Bayern, mit Gemeinden in München, Augsburg und Nürnberg. Jede dieser Gemeinden ist Gast einer Gemeinde der bayerischen Kirche, und eine dieser Beziehungen besteht seit über fünfzig Jahren. Wir haben schon lange als Nachbarn zusammengearbeitet, und jetzt hat Gott uns gerufen, diesen Schritt zu gehen, um noch intensiver Auftrag und Dienst miteinander zu teilen.
Was war die Motivation für Ihre Kirche, in die Kirchengemeinschaft einzutreten?
Christen beten immer für die Einheit der Kirche. Diese Vereinbarung über die volle Gemeinschaft zwischen unseren Kirchen verkörpert diese Hoffnung und bringt praktische Vorteile für unsere Gemeinden, die seit den 1970er-Jahren eine fruchtbare Partnerschaft aufgebaut haben. Dieser Schritt wird neue Anforderungen an unsere Kirchen stellen und bietet uns neue Möglichkeiten für Wachstum und Veränderung. Das ist es, wozu Christus uns aufruft, und wir sind dankbar, den Weg mit unseren Geschwistern in Christus der bayerischen Kirche fortzusetzen.
Verändert die Kirchengemeinde Ihre Kirche?
Ich hoffe es. Die Kirche ist der Leib Christi in der Welt, und das bedeutet, dass unsere christliche Gemeinschaft jeden Tag neu entsteht und sich verändert, während wir auf die Bedürfnisse, Hoffnungen und Anliegen des Volks Gottes in bestimmten Zeiten und Orten reagieren. In Bayern werden wir das besser gemeinsam in voller Gemeinschaft mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche tun.
"Gerade heute sollte die Kirche eine Form von Leitung verkörpern, die sich an den Lehren Christi orientiert"
Welche theologischen Gemeinsamkeiten sehen Sie als besonders tragfähig für die Partnerschaft zwischen den beiden Kirchen?
Eines der fruchtbarsten Gespräche im Vorfeld des Augsburger Abkommens war die Frage nach dem Wesen kirchlicher Leitung. Gerade heute sollte die Kirche eine Form von Leitung verkörpern, die sich an den Lehren Christi orientiert und sich den Schwächsten, Ausgeschlossenen und Marginalisierten zuwendet. Unsere beiden Kirchen haben Leitung historisch unterschiedlich strukturiert und theologisch verschieden verstanden. Doch in unseren Beratungen wurde deutlich: Was uns in der Nachfolge Christi verbindet, wiegt ungleich schwerer als das, was uns in Fragen kirchlicher Struktur trennt. Bei unseren Beratungen haben wir jedoch festgestellt, dass unsere Unterschiede weit weniger bedeutend sind als unser gemeinsames Verständnis von der Lehre Christi.
Wie können Kirchenpartnerschaften dazu beitragen, globale Herausforderungen anzugehen?
Kirchen können eine Wahrheit verkörpern, die die Welt mehr und mehr zu vergessen scheint: dass das, was uns eint, weit größer ist als das, was uns trennt. Wenn wir über unsere historischen Unterschiede hinaus zu echter Einheit und Zusammenarbeit finden, geben wir ein kraftvolles Zeugnis des Evangeliums – ein Zeugnis, das in unseren Gemeinden und im alltäglichen Dienst unserer Mitglieder sichtbar wird. Angesichts des weltweiten Wiedererstarkens autoritärer Strömungen gewinnt unser Bekenntnis zur Einheit in Christus neue Bedeutung: Es stiftet Beziehungen, die uns helfen, die Zeichen der Zeit zu deuten – und gemeinsam den Blick neu aufeinander und auf den auferstandenen Christus zu richten.
"Auch wir in der Episkopalkirche stehen heute unter wachsendem Druck, staatlichen Erwartungen zu entsprechen"
Was schätzen Sie am bayerischen Protestantismus?
Die bayerische Kirche war immer wieder gezwungen, ihr Verhältnis zur Staatsmacht neu zu justieren – ihre Unabhängigkeit zu wahren und zugleich ihrer Verantwortung für Kultur und Geschichte Deutschlands gerecht zu werden. Auch wir in der Episkopalkirche stehen heute unter wachsendem Druck, staatlichen Erwartungen zu entsprechen. Gerade deshalb können wir viel von dem Weg lernen, den die bayerische Kirche gegangen ist. In einer Zeit, in der wir neu über die Bedeutung institutioneller Standhaftigkeit nachdenken, ist ihr Beispiel für uns wegweisend.
Was schätzen Sie an Martin Luther?
Als Anglikaner verstehen wir uns oft als "via media" – als mittlerer Weg, der zwischen römisch-katholischer, lutherischer und reformierter Theologie vermittelt. In diesem Spannungsfeld hat auch Luthers Denken die frühe anglikanische Theologie geprägt. Besonders Thomas Cranmer, der das erste Book of Common Prayer verfasste – jenes liturgische Werk, das bis heute als Fundament des anglikanischen Glaubens gilt –, stand unter dem Einfluss von Luthers sakramentaler Theologie. Martin Luthers Betonung der Heiligen Schrift prägte auch die anglikanische Frömmigkeit – besonders sichtbar in Thomas Cranmers Gestaltung der täglichen Morgen- und Abendgebete, die in unserer Kirche bis heute einen festen Rhythmus für das persönliche Gebet und das Bibelstudium bieten.
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