Es gebe kein Thema, bei dem die Glaubwürdigkeit der Kirche mehr auf dem Spiel stehe, als sexualisierte Gewalt und Missbrauch, sagte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm zur Eröffnung der Landessynode. "Sie hinterlässt bleibende Wunden. Sie belastet ein ganzes Leben."

Barbara Pühl ist die Leiterin der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt. Wir haben mit ihr über den Stand der Aufklärung, die Wichtigkeit des Themas und die Einbindung Betroffener sowie deren Umfeld gesprochen. 

 

Sie haben der Landessynode einen Bericht über den aktuellen Stand der Aufklärung von sexualisierter Gewalt abgegeben. Zu welchem Fazit kommen Sie?

Barbara Pühl: Die evangelische Kirche hat zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt deutliche Zeichen gesetzt – durch ein Gesetz und durch die Einrichtung und Ausweitung einer Fachstelle. Die Umsetzung, die tatsächliche Arbeit muss aber von allen mitgetragen und geleistet werden. Die Verantwortung lässt sich nicht an die Kirchenleitung und die Fachstelle abgeben. Glaubwürdigkeit und Vertrauen können nur neu gewonnen werden, wenn auf allen Ebenen sichtbar wird, dass Bewusstsein und aktives Handeln gegen sexualisierte Gewalt vorhanden ist und erfolgt.

"Die evangelische Kirche hat zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt deutliche Zeichen gesetzt."

Wo sehen Sie Erfolge im Kampf gegen Missbrauch?

Pühl: Das verabschiedete Präventionsgesetz und das Rahmenschutzkonzept setzen hilfreiche und gute Standards für die Präventionsarbeit. Die Resonanz zeigt, dass viele kirchliche Mitarbeitende das Engagement befürworten und unterstützen. Die Vorarbeit ist soweit geleistet, dass jede Einrichtung nun mit der Arbeit am eigenen Schutzkonzept beginnen kann und dass ab nun flächendeckende Fortbildungen möglich sind.

Und wo besteht noch Verbesserungsbedarf?

Pühl: Verbesserungsbedarf besteht neben der Umsetzung der Präventionsmaßnahmen sicher noch im Bereich der Aufarbeitung. Vieles ist noch im Unklaren. Dazu braucht es aber neben den entsprechenden Ressourcen auch Geduld – die Forderung der Öffentlichkeit, dass es einerseits nicht schnell genug gehe und andererseits aber Aufarbeitung nicht einfach abgearbeitet und abgehakt werden könne, sondern ein langer Prozess sei, stehen in einem Spannungsverhältnis. Hier ist es wichtig, an den eigenen Prinzipien: Genauigkeit statt Schnelligkeit und kontinuierliche Kommunikation auf Augenhöhe festzuhalten. Ich denke, dass wir da auf einem guten Weg sind. Was wir dafür brauchen, ist ein langer Atem.

"Gute Prävention gewinnt ihre Erkenntnisse aus der Aufarbeitung."

Welche konkreten Schritte muss die Landeskirche jetzt umsetzen?

Pühl: Im Bereich Prävention ist das die Fortbildung aller kirchlichen Mitarbeitenden und die Erarbeitung von Schutzkonzepten durch jeden einzelnen Träger bzw. jede Einrichtung. Dabei ist zu beachten, dass gute Prävention ihre Erkenntnisse aus der Aufarbeitung gewinnt. Deshalb ist auch die Aufarbeitung der Vergangenheit und die dauernde Nachsteuerung in der Präventionsarbeit wichtig.

Wie sollen die Betroffenen eingebunden werden?

Pühl: Dass dabei Betroffene beteiligt werden, ist sehr sinnvoll und wichtig – allerdings muss dem ein Prozess vorausgehen, in dem geklärt wird, wie solche Beteiligung tatsächlich gelingen kann. Bereits jetzt sind wir im regelmäßigen Austausch mit Betroffenen und  beziehen sie in unsere Arbeit ein. Uns ist dabei wichtig, dass auch die Stimmen derer gehört werden, die sich nicht in der Öffentlichkeit oder in sozialen Netzwerken zu Wort melden. Auch deshalb lädt die Kirchenleitung nun öffentlich zu einer neuen Begegnung mit Betroffenen im nächsten Frühjahr ein, zu der sich Interessierte melden können. (Nähere Informationen dazu über AnsprechstelleSG@elkb.de oder telefonisch unter 089/5595 676), Anm. d. Red.)

"Die Synode wird das Thema sexualisierte Gewalt in Zukunft wieder auf die Tagesordnung setzen."

Landesbischof Bedford-Strohm hat betont, wie wichtig das Thema sexualisierte Gewalt ist. Wird dem Thema bei der Synode aus Ihrer Sicht genug Raum gegeben?

Pühl: Bei der diesjährigen Herbstsynode ist es kein hervorgehobener Tagesordnungspunkt. Nachdem die Herbstsynode jedoch traditionell den gesetzten Schwerpunkt der Haushaltsplanung hat, sagt dies nichts über die Bedeutung oder Relevanz des Themas aus. Auch andere wichtige Themen nehmen hier keinen größeren Raum ein. Sicher wird die Synode das Thema sexualisierte Gewalt in Zukunft wieder auf die Tagesordnung setzen. Dann wird sie dem Thema vermutlich auch entsprechend mehr Zeit zur Verfügung stellen und andere Formen der Beteiligung und der Thematisierung wählen.

Eine Synodale hatte als Reaktion auf die Rede des Landesbischofs gefordert, nicht nur Täter und Opfer, sondern auch das jeweilige Umfeld mit zu bedenken. Ist das in Ihrem Sinne?

Pühl: Das ist aus fachlicher Perspektive ein sehr wichtiger Punkt. Bei der rein juristischen Behandlung der Fälle ist dies früher häufig außer Acht gelassen worden. Es ist aber einer der Beiträge, den genau die Fachstelle heute im Krisenfall leistet. Bei der Beratung im Krisenfall wird versucht, sowohl das gemeinsame Umfeld von Opfer und Täter*in als auch deren jeweils individuelles im Blick zu haben und dann die jeweils notwendige Unterstützung zu bedenken. Diese dann auch zu ermöglichen, ist nicht immer leicht, weil die Kirche dafür keine Strukturen vorhalten kann, auf die sie einfach zurückgreifen könnte und auch im weltlichen Kontext solche Unterstützungsmöglichkeiten rar sind. Selbst externe Fachberatungsstellen haben bisher kaum Erfahrung im Umgang mit einem traumatisierten Umfeld bzw. einer traumatisierten Gemeinschaft oder Institution. Ebenso gibt es wenige Stellen, die sich um Angehörige von Täter*innen kümmern. Fachberatungsstellen übernehmen diese Arbeit nicht, weil sie in Spannung zu ihrer Arbeit für die unmittelbaren Opfer steht.