Kris Laufbacher ist nicht der echte Namen der Person, die hier ihre Geschichte erzählt. Die Redaktion kennt die Betroffene und hat persönlich mit ihr gesprochen. Wir haben den Namen zum Schutz für die Betroffene geändert.

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Kris Laufbacher: Erfahrungsbericht

In einer Krise, von der ich damals nicht wusste, dass die Ursache in der Gewalt meiner Kindheit und Jugend lag, wollte ich meinen verloren gegangenen Glauben zurückgewinnen. Berührt von seinen Predigten, sprach ich den Pfarrer wegen Gesprächen an. Einen Termin bekam ich gleich. Ich wurde gehört, gesehen, öffnete mich mehr und mehr.

Seine Fragen wurden von Mal zu Mal intensiver, ich legte meine schlimmsten Wunden offen vor ihm aus. Tränen ohne Ende, bald versuchte er mich zu trösten, kam mir auch körperlich immer näher. Ich fühlte mich bei jedem Schritt unwohler, wollte aber seine Aufmerksamkeit nicht verlieren.

Dass der Pfarrer meine Krise für sich ausnutzte und mich von ihm abhängig machte, konnte ich nicht klar erkennen und benennen; das sah ich erst viel später. Als ich dann noch das Angebot einer Anstellung als Sekretärin bekam, konnte ich auch das nicht ausschlagen. So geriet ich neben der Seelsorge in ein weiteres Abhängigkeitsverhältnis.

Abhängigkeit vom evangelischen Pfarrer

Die Außenwelt bekam nichts mit, so weiß ich es heute. Ich lebte in einer Parallelwelt, gespalten in Geliebte des Pfarrers, Pfarramtsangestellte, Mutter und Ehefrau. Häufige depressive Phasen, Migräne und meine große Erschöpfung sahen die Mitmenschen als meine Krankheit, aber nicht als Zeichen eines Missbrauchsgeschehens.

Als meine Kinder groß genug waren, wollte ich mich um meine berufliche Laufbahn kümmern, aber die Abhängigkeit hielt mich fest. Viele Jahre verbrachte ich in der Angst vor Entdeckung. Dann verließ der Pfarrer die Gemeinde. Der Kontakt blieb verändert bestehen, bis ich nach einigen Jahren die Dimension dieser Missbrauchsbeziehung erfasste.

Missbrauch in der Kirche

Eine Frau sprach mich auf meine schlechte Verfassung an, das war meine Rettung. Nun bekam das Geschehen endlich eine neue Richtung. Ich fasste den Mut, die Beziehung zu beenden, fiel in eine schwere Depression, konnte schließlich in einer Therapie darüber reden und beschloss, die Sache an die Landeskirche abzugeben.

Die Ansprechstelle nahm mein Anliegen ernst, räumte einer Anzeige aber wenig Erfolg ein. Trotzdem entschloss ich mich, das Disziplinarverfahren mit meiner Aussage anzustoßen, weil mich die Folgen dieses jahrelangen körperlichen und seelischen Missbrauchs enorm belasteten.

Ich sprach mit den Pfarrern vor Ort, spürte deren Entsetzen, erzählte auch meinem Mann davon. So begann ein fünfjähriges kirchliches Verfahren, in dem ich nicht mehr Betroffene, sondern Zeugin war, rechtlos und immer wieder ohnmächtig der Institution Kirche gegenüber.

Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Institution

Weil ich als erwachsene Frau unter die Räder gekommen bin, habe ich mich jahrelang unglaublich geschämt und schuldig gefühlt. Die gute therapeutische Hilfe half mir, im Laufe der Zeit vom ohnmächtigen Opfer zur aktiven Betroffenen zu werden. Betroffenenbeirat, Studie ForuM, TrotzAllem Gottesdienst, sind einige Beispiele meines Engagements für Missbrauchsbetroffene. Auch das Urteil des Kirchengerichtshofes der EKD war hilfreich – wenn auch nicht zufriedenstellend, aber es bestätigte meine Wahrnehmung, dass der Pfarrer aus dem seelsorgerlichen Kontakt einen ausbeuterischen gemacht hatte. Ich begann zu spüren, dass ich nicht "verkehrt" bin.

Ich habe nichts von diesem Verfahren, keine Entschädigung, kein Schmerzensgeld. Die Kirche hat das Recht bekommen und die Geldstrafe eingestrichen. Einige überbrückende Therapiestunden wurden mir bezahlt, doch der körperliche und seelische Schaden, die verkorkste berufliche Laufbahn und die das Leben erschwerenden Symptome werden mich weiter begleiten. Und trotzdem: ich lebe, habe überlebt und die Chance auf gute Lebensmomente. Und letztlich lebe ich besser als je zuvor. Gott sei Dank.

Missbrauch in der Evangelischen Kirche

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