"Manchmal erinnert mich die Orgel ein wenig an ein Orchester"
Eine Besonderheit der Markuskirche sind ihre beiden Orgeln. Wie würden Sie den Klang der älteren Orgel beschreiben?
Michael Roth: Die Steinmeyer-Orgel aus den 1930er-Jahren klingt voll und weich, mit vielen Grundtönen. Außerdem warm und kräftig, ohne jemals schrill zu werden. Manchmal erinnert mich die Orgel ein wenig an ein Orchester, das lauter wird, ohne an Klangqualität zu verlieren.
Trotz mehrerer Restaurierungen wurde der Klang dieser Orgel kaum verändert – im Gegensatz zu anderen Orgeln in großen Münchner Kirchen wie in St. Matthäus und St. Lukas. Wie kam es dazu?
Der Grund dafür ist, dass 1967 eine neue Orgel in die Markuskirche eingebaut wurde. Diese zweite Orgel ist speziell für barocke Musik geeignet. Deshalb musste die Steinmeyer-Orgel nicht, wie viele andere Orgeln dieses Typs, an den klanglichen Trends der Zeit angepasst, also barockisiert werden. Im Gegenteil, sie konnte in ihrem ursprünglichen Klang erhalten bleiben und gezielt für Werke des 19. und 20. Jahrhunderts von Komponisten wie Max Reger oder für die französische Orgeltradition eingesetzt werden. Für Bach und Buxtehude wurde dann die zweite, barock ausgerichtete Orgel verwendet. Das ist bis heute so.
Warum wurde für die Markuskirche eine zweite Orgel angeschafft?
Die genauen Hintergründe lassen sich nicht mehr vollständig rekonstruieren. Aus schriftlichen Quellen weiß ich, dass ab 1963 der bekannte Orgelbauer Paul Ott mit dem Bau einer neuen Orgel für St. Markus beauftragt wurde. Zwei Jahre zuvor hatte der damalige Kantor Karl Richter mit dem Dekan über einen Umbau oder eine Erweiterung der bestehenden Steinmeyer-Orgel gesprochen. Danach sind für einen Zeitraum von etwa einem Jahr keine Quellen mehr erhalten. Erst 1964 tauchen wieder Unterlagen über den Bau einer völlig neuen Orgel auf. Vermutlich fiel in dieser Zeit die Entscheidung gegen eine klangliche Veränderung der alten Orgel und für den Bau einer neuen Orgel. Paul Ott führte den Auftrag 1965/66 aus und baute eine rein mechanische Orgel mit barockem Klangbild, die heute auf der Empore im Kirchenschiff steht.
"Für langsamere Bach-Werke setze ich mich gerne an die Steinmeyer-Orgel"
Spielen Sie Bach manchmal auch auf der Steinmeyer-Orgel, oder gehen Sie dafür immer an die zweite Orgel?
In der Regel setze ich mich für die Werke Bachs an die historische Ott-Orgel, da ihr Klang am besten zu den Kompositionen passt. Der Grund dafür liegt in den technischen Unterschieden der Instrumente: Die Ott-Orgel besteht aus Tonkanzellen und nicht aus Registerkanzellen, was sich auf die Klangfarbe der einzelnen Register auswirkt. Das verleiht vor allem den komplexen vielstimmigen Werken des Barocks mehr Ausdruck. Für langsamere Bach-Werke setze ich mich aber auch gerne an die Steinmeyer-Orgel, um sie bewusst etwas romantischer zu interpretieren.
Die Steinmeyer-Orgel ist eine sogenannte elektropneumatische Orgel. Der griechische Begriff "Pneuma" steht für Luft/Wind – aber auch für Geist. Was hat es mit der pneumatischen Technologie auf sich?
Der Name "Pneuma" steht hier ausschließlich für Luft und ausnahmsweise nicht für den Heiligen Geist. Im Gegensatz zur mechanischen Orgel von Ott haben die Tasten und Register bei einer elektropneumatischen Orgel keine direkte mechanische Verbindung zwischen dem Tastenhebel und dem Ventil zum Öffnen der Pfeifen. Stattdessen nutzt die Steinmeyer-Orgel Druckluft, um den Spielbefehl von den Tasten zu den Pfeifen zu übertragen. Die Luft ist in kleinen Ledertäschchen gespeichert. Wird eine Taste gedrückt, fallen die Täschchen zusammen, um das Ventil zu öffnen und die Luft zu den Pfeifen zu leiten. Diese Technik war damals ein großer Fortschritt. Vor allem bei großen Orgeln konnte das Spielen aufgrund des hohen Gewichts der vielen Register und Hebel sehr anstrengend werden. Allerdings ist die knapp 90 Jahre alte Elektrik der Steinmeyer-Orgel dringend erneuerungsbedürftig, auch aus Sicherheitsgründen.
"Ich bin ein Fan beider Orgeln"
Wenn Sie sich für eine der beiden Orgeln entscheiden müssten – welche würden Sie wählen?
Grundsätzlich habe ich eine Vorliebe für die romantische Klangsprache der Steinmeyer-Orgel. Sie eignet sich besonders gut für die Musik des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel für Transkriptionen von Orchester- oder Klavierwerken. Wenn ich zum Beispiel einen Sinfoniesatz von Gustav Mahler transkribiere, spielt die Steinmeyer-Orgel ihre klanglichen Möglichkeiten am besten aus. Ich schätze aber auch die Barockorgel sehr. Auf ihr kann ich die Musik von Bach in ihrer ursprünglichen Form interpretieren. Als Organist ist es ein Privileg, beide großartigen Kircheninstrumente zu spielen und für das aktuelle Repertoire das jeweils Passende auszuwählen. Sei es für Bach an der historischen Orgel oder für Transkriptionen auf der Steinmeyer. Auch die mechanische Spielart der einen Orgel bietet ein eigenes, faszinierendes Spielgefühl. Also: Ich bin ein Fan beider Orgeln!
Es sind Neuerungen geplant: Zwei Register kommen hinzu, und ein neuer Spieltisch wird eingebaut. Wie wird sich der Klang verändern?
Die neue Soloflöte bietet eine weiche klangliche Ergänzung im Solobereich. Das andere Register erhöht das Volumen im Schwellwerk und damit der gesamten Orgel. Schon Karl Richter hatte diese Ergänzung angedacht; das Fundament im Schwellwerk ist doch etwas schwach. Der neue Spieltisch wiederum erleichtert dem Konzertorganisten die Arbeit, indem er jetzt viel leichter die Klangfarben digital abspeichern und wieder abrufen kann oder elektrische Spielhilfen verwenden kann. Dadurch entsteht eine größere Klangvielfalt, ohne dass man extra neue Pfeifen anschaffen müsste.
Durch den Umbau des Kirchenraums von 2008 bis 2010 hat sich die Akustik in der Markuskirche stark verändert. Die Orgel soll nun an die neue Klangumgebung angepasst werden. Wie darf man sich das vorstellen?
Vor dem Umbau lag der Nachhall bei etwa zweieinhalb Sekunden, jetzt sind es beinahe fünf Sekunden! Wir konnten das teilweise durch Maßnahmen wie Teppiche auf der Empore und dickere Stuhlkissen reduzieren. Doch das ersetzt nicht die alten Holzbänke und den Hochaltar, die viel Schall geschluckt haben. Optisch hat die Kirche durch den Umbau gewonnen, aber akustisch verlangt er ihr vieles ab. Der Nachhall liegt immer noch bei gut vier Sekunden. Das ändert sich, wenn die Mauern poröser werden und mehr Schall schlucken. Die Akustik bleibt überakustisch, was für bestimmte Musikstücke, wie Soloinstrumente und Sologesang, ideal ist. Bei lauter und schneller Musik oder komplexen Chorstimmen wird es hingegen schwieriger. Man muss schärfer artikulieren und die Lautstärke anpassen. Die Intonation der Orgel spielt dabei eine wichtige Rolle. Intonation bedeutet hier nicht, dass die Töne sauber klingen, sondern bezieht sich auf die Klangfarbe und Lautstärke. Der Intonateur wird bei der Grundsanierung der Orgel einige Register dezenter gestalten und diese teilweise auf den Stand der 1930er-Jahre zurückführen. In den 1960er-Jahren wurden einige Register lauter gemacht, was dem Zeitgeist entsprach. Diese werden nun wieder weicher und runder intoniert; auch die lauten Register werden etwas sanfter gestaltet.
Was ist denn der heutige Zeitgeist, was den Orgelklang angeht?
Bei Neubauten versucht man oft, eine eierlegende Wollmilchsau zu schaffen, auf der man alles spielen kann. Man disponiert ein Werk etwas französischer, das Hauptwerk barocker und das Oberwerk im Stil des 19. Jahrhunderts. Manchmal gelingt das gut, aber oft bleibt es ein Kompromiss.
"Ich bin optimistisch, dass wir das restliche Spendenziel von knapp 300.000 Euro noch erreichen werden"
Wie ist der aktuelle Stand bei der Spendensammlung für die Orgelsanierung?
Bislang können wir schon auf erfreuliche Unterstützung bauen. Anfang des Jahres hat die Firma Projektil aus Zürich nach einer hier veranstalteten Lichtshow sehr großzügig 27 000 Euro gespendet. Auch von der Münchner Orgelstiftung unter ihrem Gründer Axel Philipp, der regelmäßig unsere Konzerte besucht, haben wir Mittel in Höhe von 50 000 Euro erhalten. In den ersten Monaten der Spendenaktion sind durch viele Einzelspenden und Überweisungen bereits rund 15 000 Euro zusammengekommen. Ich bin optimistisch, dass wir das restliche Spendenziel von knapp 300.000 Euro noch erreichen werden. Jetzt hoffen wir auf einen Zuschuss seitens des Denkmalschutzes.
Sind neue Musikprojekte im Zusammenhang mit der sanierten Orgel geplant?
Ich möchte gerne regelmäßig einen Evensong anbieten – ein abendliches Stundengebet nach anglikanischer Tradition. Dabei stehen Chor und Orgel im Mittelpunkt. Dank des neuen, mobilen Spieltisches kann der Organist noch enger mit dem Chorleiter zusammenarbeiten. Außerdem möchte ich mehr Solo- und Kammermusik auf der Orgel spielen und auch regionale Chöre für Auftritte in unserer Kirche gewinnen.
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