"Ich liebe das fränkische "Rrrrr"!"

Herr Böhme, nach einem guten Vierteljahr in Mittelfranken: Was ist ihr - bislang - liebstes fränkisches Dialektwort?

Ludwig Böhme: Das ist schwierig. Was ich aber sagen kann: Ich liebe das fränkische "Rrrrr"! Denn in meiner Heimatstadt Leipzig, da war es mitunter nicht so einfach, den Chorsängern das rollende Zungen-R zu entlocken. Das geht in Franken sehr viel leichter, weil es zur Mundart gehört. Insofern ist der Dialekt in Franken für mich musikalisch eine Erleichterung. Ansonsten finde ich mich in mein Schicksal. (lacht)

Sie sind selbst Sänger im Leipziger Thomanerchor gewesen, kommen aus Leipzig, waren immer dort - könnte Windsbach zu ihrer neuen Heimat werden, auch musikalisch?

Deswegen bin ich ja hergekommen! Meine Familie und ich haben uns lange mit der Konstellation beschäftigt und haben das beschlossen. Jetzt sind wir hier und wir fühlen uns sehr wohl. Man übernimmt so ein Amt ja auch nicht einfach als irgendeinen Schritt auf der Karriereleiter, sondern als den einen großen Schritt. Letztlich hängt es von vielen Faktoren ab, wie lange man so eine Aufgabe ausfüllen kann - es muss einfach ein harmonisches Miteinander sein.

Wie war das für Sie nach diesem intensiven Bewerbungsverfahren, als Sie erfahren haben: Ich hab' den Job?!

Das war toll. Denn ich habe mich ja nicht auf die Stelle beworben, um meinen Marktwert auszuloten, sondern ich wollte diesen Job. Ich hatte tatsächlich sehr schnell das Gefühl, dass es gut läuft - in der Bewerbungswoche ist schnell ein Funke zwischen dem Chor und mir übergesprungen. Ich bin mit einem sehr guten Gefühl herausgegangen - ohne zu wissen, was meine Mitbewerberinnen und Mitbewerber in die Waagschale werfen. Aber ich war für meinen Teil sehr zufrieden!

"Und am Ende war ich glücklich überrascht."

Sie waren einer von 25 Bewerbern. Nach Ihren Schilderungen hatten Sie aber schon von Anfang an Hoffnungen, dass Sie das Rennen bei den Windsbachern machen könnten...?

Man muss sich von solchen Gedanken ein Stück weit freimachen. Ich habe mich intensiv mit der Stellenausschreibung und dem Windsbacher Knabenchor befasst - und danach war ich mir sicher, dass das sehr gut zu mir passen würde. Es gab ein intensives Bewerbungsgespräch und eben auch die Bewerbungswoche. Man kann sich in solchen Situationen nie sicher sein, aber hoffnungsfroh war ich schon. Und am Ende war ich natürlich schon glücklich überrascht - und habe sofort zugesagt.

Ihr Vorgänger Martin Lehmann und Sie haben selbst Knabenchor-Erfahrung - ist das Zugangsvoraussetzung oder einfach nur ein großer Vorteil?

Ob es eine Zugangsvoraussetzung ist, das müsste das Kuratorium beantworten. Es ist aber sicher von Vorteil, wenn man selbst weiß, wie es sich anfühlt, Teil eines Knabenchors zu sein und wie es ist, in einem Internat zu leben. Ich profitiere bis heute davon, dass ich Thomaner war. Man kann die Erfahrungen aber nicht eins zu eins übertragen - Windsbach ist anders als Leipzig. Für mich ist es im Moment sehr spannend, die Unterschiede und auch die Gemeinsamkeiten wahrzunehmen.

"Die Jungs in Windsbach sind wirklich sehr gut erzogen."

Sie haben zuvor eher kleinere Chöre dirigiert - wie werden Sie den 125 Windsbachern in den Proben und auf der Bühne Herr?

Indem man etwa zu bieten hat, indem man begeistert - und indem man weiß, wo man die "Zügel" anziehen muss und wo man sie locker lassen kann. Die Jungs müssen begreifen und fühlen, was wir tun. Manchmal wird man Dinge erklären müssen, um sie mitzunehmen. Wenn die Sänger im Chor begeistert dabei sind, sind auch längere und intensive Proben kein Problem. Das funktioniert dann ganz automatisch. Auch, weil die Jungs in Windsbach wirklich sehr gut erzogen sind.

Trotzdem wird es auch mal Situationen geben, in denen manche Sänger - Stichwort: Pubertät - einfach mal keinen "Bock" haben. Wie kommt man als Chorleiter damit klar?

Das kann ich ihnen in ein, zwei Jahren sicher mehr dazu sagen. Aber grundsätzlich gilt: Aufs und Abs gibt es auch in Erwachsenen-Chören, egal ob Laien- oder Profi-Ensembles. Mein Vorteil ist: Ich bin jetzt der "Neue" und da sind natürlich die Augen erst mal besonders weit geöffnet und alle machen super mit. Wenn sich die "Magie des Neuen" gelegt hat und der Alltag einkehrt, wird es noch mal spannend. Aber Motivationstiefs sind jetzt nichts, was nur Jugendliche haben, oder?

"Wir sind ein gewachsener Chor, der gut vernetzt ist."

Was reizt Sie an der Arbeit mit einem Knabenchor, im Vergleich etwa zu ihrer vorherigen Arbeit mit Erwachsenen im Leipziger Synagogalchor?

Mein Antrieb ist es immer, gute Musik zu machen - egal mit welchen Chören. Mit jungen Stimmen zu arbeiten, dazu die Offenheit der Jungs, das ist schon etwas Besonderes, das macht viel Freude. Was außerdem besonders schön ist: Wir sind ein gewachsener Chor, der gut vernetzt ist, es gibt ein Büro mit motivierten Mitarbeitenden und die alle wollen, dass wir mit unserer renommierten, großen Institution auch große Sachen anstellen. Das hatte ich vorher in dieser Form nicht.

Jetzt steht die erste große Konzertreise nach Spanien an. Worauf freuen Sie sich dabei besonders? Was ist dabei für Sie Neuland?

Ich habe in der Vergangenheit musikalisch immer die Nische gesucht. Also, wenn alle in der Adventszeit Weihnachtsoratorium aufgeführt haben, habe ich für meine Ensembles zum Beispiel ein Chorwerk von Henry Purcell herausgesucht. Meine Chöre waren Nischen-Ensembles für alte oder für jüdische Musik. Trotzdem kenne ich als Thomaner natürlich jeden einzelnen Ton der Bach-Oratorien. Und jetzt ist es das erste Mal, dass ich ein Weihnachtsoratorium als Dirigent interpretieren werde!

"Der Windsbacher Klang wird sich mit mir verändern."

Es ist immer wieder mal die Rede vom Windsbacher Klang. Was genau ist das für Sie, der Sie ja jetzt noch ziemlich frisch dabei sind?

Es hat wohl jeder seine eigene Vorstellung vom Windsbacher Klang. Und das ist auch gut so. Denn wir konservieren diesen Klang ja nicht. Der Klang eines Knabenchors definiert sich zum einen durch die Stimmen der Jungs - und zum anderen durch die Arbeit des Chorleiters. Das bedeutet: Der Windsbacher Klang wird sich mit mir vielleicht etwas verändern. Und es kann sein, dass der Dresdner Kreuzchor unter Martin Lehmann demnächst ein bisschen nach Windsbach klingt.

Sie haben kurz nach der Bekanntgabe, dass Sie nach Windsbach kommen, gesagt, Sie wollen nicht jedem Trend hinterherrennen. Was wären denn solche Trends?

Ich habe eine Allergie gegen zu seichte Chormusik, die nichts Neues zu bieten hat. Ich will mit den Windsbachern Experimente wagen und etwas Unkonventionelles machen. Dazu gehört auch, dass für uns komponiert wird und wir Uraufführungen machen. Zugleich will ich Bewahrenswertes auch bewahren. Die Johannespassion von Bach steht für sich - da braucht es keine Inszenierung mit Lichtshow oder so. Trotzdem verträgt auch das Programm der Windsbacher mal etwas Kitschiges, zum Beispiel ein schönes Weihnachtsarrangement oder eine überladene Motette.

Lassen Sie uns noch einmal kurz über das Thema Auftragskompositionen sprechen: Was genau ist da geplant? Wer wird für die Windsbacher komponieren?

Die Planungen für die nächste Saison waren zu meinem Amtsantritt am 1. September schon so weit vorangeschritten, dass mit Auftragskompositionen für uns nichts mehr zu machen war. Das muss ja auch alles noch einstudiert werden! Ich habe schon einige Komponisten im Hinterkopf, die ich demnächst ansprechen will - aber es wird noch ein wenig dauern, bis diese Früchte zum Klingen kommen. Allerdings will ich bei unseren aktuellen Konzerten einen kleinen eigenen kompositorischen Akzent setzen - deshalb habe ich mich erdreistet, selbst etwas für die Windsbacher zu schreiben.

"Fleisch steht jetzt nicht auf meinem täglichen Speiseplan."

Lassen Sie uns noch einmal kurz auf Ihre neue Wahlheimat blicken, nachdem wir anfangs schon über den Dialekt gesprochen haben: Was ist ihr liebstes fränkisches Essen?

Sagen wir es so: Fleisch steht jetzt nicht auf meinem täglichen Speiseplan. Aber ich esse hin und wieder deftige Kost sehr gerne und schätze daher die Gasthöfe hier auf dem fränkischen Land schon einmal grundsätzlich.

... Sie drücken sich gerade um ein Bekenntnis zu einem Gericht ... 

... weil ich einfach schon zu viele Verschiedenes gegessen habe, was wirklich gut war. Also Braten, Schäufele, Bratwürste - was man in Franken eben gut bürgerlich serviert bekommt.

Nur um den gebackenen Karpfen haben Sie bislang einen Bogen gemacht?

Den habe ich tatsächlich noch nicht probiert. Ich habe nichts gegen Fisch, ich esse gerne Fisch. Aber Karpfen habe ich schon lange nicht mehr gegessen, das ist ja durchaus etwas Spezielles. Also, ich will es nicht ausschließen, dass ich das in dieser Karpfensaison noch probiere - aber Sie merken schon: Mein Herz schlägt beim Gedanken an Karpfen nicht gleich höher...