"Wenn sich nur Männer beworben haben, muss das Verfahren gestoppt werden, bis eine geeignete Frau gefunden ist"
In einem Instagram-Posting haben Sie erklärt, dass Diversität als ein höheres, übergeordnetes Kriterium betrachtet werden sollte, und dass Sie dabei zwischen 'höher' und 'wichtiger' unterscheiden. Könnten Sie das erläutern?
Constanze Pott: Man verfällt leicht in die Diskussion, welches Kriterium jetzt wichtiger ist und wer geeigneter ist. Ich wollte diese Diskussion von der Frage trennen, ob eine Frau oder ein Mann besser geeignet ist, denn es geht um Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Es ist wichtig zu verstehen, dass Diversität als übergeordnetes Kriterium betrachtet werden sollte. Das bedeutet, dass die Frage, ob ein Mann oder eine Frau besser geeignet ist, irrelevant wird, wenn Diversität das Ziel ist.
Ein Beispiel, wie politische Parteien damit umgehen: Platz eins ist für eine Frau, Platz zwei für einen Mann, und dann wechselt das. Darüber gibt es keine Diskussion, weil das übergeordnete Kriterium Diversität ist. Wenn ich sage, Diversität ist ein übergeordnetes Kriterium, dann bedeutet das, dass ich eine bestimmte Position nur mit einer Frau besetzen kann, weil das der Diversität dient. Wenn sich nur Männer beworben haben, muss das Verfahren gestoppt werden, bis eine geeignete Frau gefunden ist.
Sie meinen also, es werden die falschen Kriterien angelegt?
Ja! Ich habe kürzlich eine Stellenausschreibung für die Nachfolge eines Dekans gesehen. Die Ausschreibung war vier Seiten lang, zwei davon waren voll von Anforderungen und Leistungen, die der Kandidat erfüllen muss. Er muss im Feuerwehrverein sein, er muss mit den Parteimitgliedern gut auskommen, er muss gut predigen und so weiter. Da wurde alles Mögliche hineingepackt, ohne darauf zu achten, was für die Zukunft wirklich relevant ist.
Dabei betonen Diversity-Coaches in Großunternehmen immer wieder: Diversität und ein hoher Frauenanteil sind wichtiger als ein bestimmtes Kompetenzprofil für eine Stelle. Wir müssen davon wegkommen, zu sagen: 'Ich habe zwei Kandidaten, die zehn oder zwanzig Kriterien erfüllen müssen. Und wenn eine Frau diese Kriterien nicht erfüllt, ist sie nicht geeignet, und der Mann ist es.' Diversität ist ein höheres Gut als das bloße Abhaken von Kompetenzkriterien.
"Wir können es uns als Organisation Kirche nicht leisten, Frauen nicht zu fördern und sie nicht in Führungspositionen zu bringen"
Warum ist Diversität so wichtig?
Weil nur diejenige Person wirklich geeignet ist, die die Gesellschaft widerspiegelt und Menschen aller Couleur begeistern kann. Das gelingt nur im Gemisch, also wenn unsere Führungspersonen Diversität ausstrahlen. Und: ein diverses Führungskräfteteam führt besser als ein rein männliches oder rein weibliches Team. Denn Diversität in Führungsteams sorgt für bessere Ergebnisse und eine bessere Repräsentation der Gesellschaft. Zu guter Letzt: Wir können es uns als Organisation Kirche nicht leisten, Frauen nicht zu fördern und sie nicht in Führungspositionen zu bringen.
Können Sie das näher ausführen?
Wir können es uns nicht leisten, weil 55 Prozent der Studienanfängerinnen in der Theologie Frauen sind. Wenn wir Frauen nicht aktiv fördern, werden wir in einigen Jahren nicht mehr genügend Führungskräfte haben. Wir merken schon jetzt, dass wir viele Fachstellen nicht mehr besetzen können, weil der Nachwuchs fehlt. Das gilt auch für die Dekansstellen.
"Die Kompetenz, die wir in Zukunft brauchen, ist nicht nur fachlicher Natur"
Das Gegenargument lautet meist: Es sollte nur um Kompetenz gehen.
Sind wir denn sicher, dass wir allen Frauen die gleichen Chancen gegeben haben, diese Kompetenzen zu entwickeln? Haben wir Frauen ausreichend gefördert, um die gleichen Kompetenzen zu entwickeln? Ich glaube nicht. Das haben wir festgestellt, und das ist übrigens seit Jahren ein Problem. Das sieht man auch im Bericht des Ausschusses Bildung, Erziehung und Jugend in der Herbstsynode 2021. Wir haben festgestellt: Es gab schon seit 2017 eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema "Profil Dekaneamt" beschäftigt hat. Diese Arbeitsgruppe hatte festgestellt, dass es überhaupt kein Anforderungsprofil für mittlere Führungspositionen gibt.
Das heißt, wir reden über Kompetenzen, sind aber nicht in der Lage, transparent darzustellen, welche Kompetenzen tatsächlich notwendig sind. Wenn wir die Kompetenzen nicht klar definieren, wie können wir dann sicherstellen, dass wir alle, auch und vor allem Frauen, ausreichend fördern und qualifizieren?
Und nochmal: Die Kompetenz, die wir in Zukunft brauchen, ist nicht nur fachlicher Natur. Wir brauchen auch die Kompetenz der Diversität, also die Fähigkeit, sozial führen zu können und die Gesellschaft in ihrer Vielfalt zu repräsentieren. Es geht darum, eine Führungskultur in unserer bayerischen Landeskirche zu entwickeln, die nicht patriarchal oder paternalistisch ist, sondern plural, gleichberechtigt und divers.
Konkret fordern Sie Führungsseminare für Frauen. Gibt es dafür Vorbilder in der freien Wirtschaft?
Ich selbst war bei Bosch in einem Förderprogramm für Führungskrafte. Da hatte ich schon ein Team von zehn oder elf Leuten. Ich weiß also, was es heißt, Teil eines Leadership-Programms zu sein und gezielt gefördert zu werden. Solche qualitativ hochwertigen Trainings, idealerweise mit externen Coaches und in einem festgelegten Programm, sind unerlässlich. Es muss in der Kirche sicherlich nicht in dem gleichen Umfang sein, aber wir brauchen solch ein Förderprogramm, bei dem die TeilnehmerInnen Seminare auswählen können, ohne große Genehmigungsverfahren vier Tage dafür frei bekommen und die Kirche als Arbeitgeber dahintersteht, weil sie weiß, dass es sich lohnt.
Sie haben auch mehr Transparenz bei der Stellenbesetzung gefordert. Was meinen Sie damit konkret?
Transparenz ist ein wichtiger Faktor, insbesondere bei der Besetzung von Dekansstellen. Wie ist der aktuelle Status quo? Wie viele Dekane und Dekaninnen haben wir heute im Juni? Wie viele offene Stellen gibt es? Welche Bewerberzahlen haben wir und wie ist der Anteil männlicher und weiblicher Bewerber?
Mit diesen Informationen hätten wir die Möglichkeit, ein effektives Controlling durchzuführen und festzustellen, welche Maßnahmen wir ergreifen müssen. Wenn wir nicht wissen, wie die Stellen verteilt sind und wie viele Frauen sich bewerben, können wir das eigentliche Problem nicht identifizieren: Sind Bewerberinnen durch fehlende Kompetenz etwa nicht genug befähigt oder haben sie sich gar nicht beworben, sei es durch äußere Umstände oder familiäre Verpflichtungen oder mangelnde Unterstützung?
"Solche Modelle würden nicht nur Frauen, sondern auch Männern zugutekommen, da sie eine ausgewogenere Work-Life-Balance ermöglichen"
Wie könnte man letzterem entgegenwirken?
Es gibt verschiedene Faktoren, die für Frauen in diesem Bereich ausschlaggebend sind. Zum Beispiel: Gibt es Stellenteilungsmodelle für Frauen in Leitungspositionen? Können sie zeitweise ihre Arbeitsstunden reduzieren? Gibt es flexible Arbeitsmodelle, die es Frauen ermöglichen, ihre beruflichen und familiären Verpflichtungen zu vereinbaren? Solche Modelle würden nicht nur Frauen, sondern auch Männern zugutekommen, da sie eine ausgewogenere Work-Life-Balance ermöglichen.
Die Diskussion hat in den letzten Tagen an Fahrt aufgenommen. Was glauben Sie, wie es weitergeht?
Wir Synodale werden den Druck erhöhen. In den letzten drei Jahren ist nichts passiert, davor fünf Jahre lang auch nicht. Wir spüren schon die Auswirkungen, und trotzdem werden die Stellen weiter so besetzt. Vielleicht liegt es daran, dass in der Vergangenheit so viel versäumt wurde, dass wir jetzt nur den einen geeigneten männlichen Bewerber finden und nicht nach anderen Kriterien vorgehen können. Das kann so nicht weitergehen.
Ich sehe auch die Gefahr eines kurzfristigen Aktionismus, nur um Stellen zu besetzen und Vakanzen zu vermeiden. Es wäre besser, eine Stelle ein Jahr lang unbesetzt zu lassen und alles, wirklich alles daranzusetzen, die richtige Kandidatin zu finden, als jetzt überstürzt zu handeln. In den nächsten vier Jahren haben wir eine Reihe hochdotierter Stellen auf Ebene der Regionalbischöfe und im Landeskirchenamt zu besetzen, wir müssen jetzt handeln!
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