Ich mag Science-Fiction – oder dieses simple „Was wäre wenn“. Stellen wir uns doch mal Martin Luther im Jahr 2025 vor. Sicher ganz anders: schickere Frisur, kein Hammer, keine Holztür. Stattdessen ein Smartphone, das fragt: „Möchtest du diese These wirklich öffentlich teilen?“
Wahrscheinlich würde er kurz überlegen – und dann trotzdem auf „Posten“ drücken. Nicht, weil er Streit sucht, sondern weil er nicht mehr schweigen kann.

Wenn wir ehrlich sind – und ich weiß, wovon ich spreche – haben wir uns daran gewöhnt, vorsichtig zu formulieren. Möglichst niemanden verletzen. Möglichst keinen Shitstorm provozieren. Möglichst harmonisch durch jede Reform manövrieren.
Klingt zwar vernünftig, doch wir zahlen einen Preis: Wir verlieren Klarheit, Überzeugung, manchmal sogar die eigene Stimme.

Luther hätte diese Angst wohl nicht geteilt. Seine 95 Thesen waren kein Marketinginstrument, sondern ein Befreiungsschrei. Heute klingen viele kirchliche Texte wie Sitzungsprotokolle mit Segensformel. Verständlich, freundlich, korrekt – aber selten so, dass man nachts wach liegt und denkt: „Da muss ich etwas tun.“

Was wären also die Thesen von 2025?

Wahrscheinlich kürzer. Direkter. Vielleicht so:

  • Kirche muss berühren.

  • Angst ist kein geistlicher Dauerzustand.

  • Wer nur Strukturen sichert, verliert Menschen.

  • Der Glaube braucht Alltag, nicht nur Anlässe.

  • Hoffnung ist kein Soft Skill.

  • Nähe ersetzt keine Posts.

  • Gnade bleibt größer als jede Strategie.

Natürlich lässt sich das leicht sagen. Aber was würde es bedeuten, das auch zu leben? Vielleicht würde Luther heute nicht an Türen nageln, sondern an unser Selbstverständnis. Er würde fragen: Worum geht es euch eigentlich? Darum, nicht unterzugehen – oder darum, Menschen aufzuhelfen?

Die unbequeme Wahrheit

Manche Türen klingen inzwischen eher nach Rückzug als nach Aufbruch. Wir diskutieren Strukturen, während viele längst nicht mehr wissen, wofür Kirche eigentlich existiert. Wir entwickeln Konzepte für Zielgruppen, während echte Begegnungen sich nicht an Zielgruppenprofilen orientieren. Und oft erscheint es einfacher, Prozesse zu evaluieren, als Wunden auszuhalten.

Das ist nicht böse gemeint – aber es ist gefährlich.

Reformation bedeutet nicht Veränderung um der Veränderung willen.

Sondern Rückkehr zum Kern: Glaube ist nicht Verwaltung. Kirche ist nicht Standort. Evangelium ist keine Option im Portfolio. Es geht um Menschen, die hoffen wollen. Um Fragen, die weh tun. Um Vertrauen, das nicht nur behauptet wird, sondern trägt.

Vielleicht wäre eine These Luthers 2025:
„Wenn ihr euch fragt, ob Kirche Zukunft hat, fragt zuerst, ob ihr Menschen zuhört.“

Und jetzt?

Die Frage ist nicht, was Luther tun würde. Die eigentliche Frage lautet: Was würden wir heute zu posten wagen – nicht aus Trotz, sondern aus Überzeugung? Welche Worte würden wir öffentlich vertreten, auch wenn sie Widerspruch auslösen? Welche Haltung würden wir verteidigen, nicht weil sie populär ist, sondern weil sie Menschen stärkt?

Reformation ist kein Gedenktag. Sie ist ein Auftrag, unbequem zu bleiben – nicht gegen andere, sondern gegen die Angst.

Die Frage bleibt: Würden wir heute noch Thesen öffentlich bekennen – oder hätten wir Angst vor der Kommentarspalte?

Luther hätte gepostet, nicht weil er sich sicher fühlte, sondern weil er überzeugt war.