In einem ökumenischen Festgottesdienst in der Marktkirche Hannover forderte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, zu Beginn der "Woche für das Leben" mehr Zuwendung für Menschen, die sich das Leben nehmen wollen. Gottes Liebe gelte auch ihnen und denen, die sich selbst getötet hätten.

"Wie könnte Gott die fallenlassen, die für sich nur noch den Todes-Ausweg gesehen haben, wo er ihre Verzweiflung doch so gut kennt."

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hob die Angebote der Kirchen und ihrer Sozialverbände für Menschen hervor, die am Leben verzweifelten. Laut Statistik nehmen sich jedes Jahr in Deutschland etwa 10.000 Menschen das Leben. Noch deutlich mehr versuchen es.

Bedford-Strohm prangerte in seiner Predigt auch das frühere Versagen der Kirche in Umgang mit Selbsttötungen an. "Es ist eine historische Schuld der Kirche, dass sie viel zu lange diese offenen Arme Gottes dementiert hat", betonte der Bischof. Sie habe Menschen, die sich das Leben genommen hätten, als Selbstmörder verdammt, habe ihnen das Begräbnis verweigert und so die Schuldgefühle der Angehörigen potenziert. Damit sei sie ihnen "das Zeugnis der Auferstehung schuldig geblieben".

Kardinal Marx forderte mehr Achtsamkeit für Sterbewillige

"Wir appellieren an unsere Gesellschaft um ein wachsames Miteinander, um ein aufmerksames Auge auf den Nachbarn und um ein beherztes Eingreifen, wenn es um die Rettung und Begleitung eines Menschenlebens geht", sagte er. "Suizidprävention geht uns alle an." Mit der Telefonseelsorge sowie in Caritas und Diakonie stünden die Kirchen diesen Menschen zur Seite.

Als einen Irrweg hat auch die Bayreuther Regionalbischöfin Dorothea Greiner die langjährige frühere Praxis bezeichnet, Menschen, die sich selbst das Leben genommen hatten, das Begräbnis auf kirchlichen Friedhöfen zu verweigern. "Sie mit Segen beizusetzen ist ein letzter Liebesdienst an ihnen und vor allem an den Hinterbliebenen", sagte die Theologin laut Redemanuskript bei einem ökumenischen Gottesdienst am Freitag in Bayreuth.

Zur Eröffnung der "Woche für das Leben 2019" im Kirchenkreis Bayreuth und im Erzbistum Bamberg betonte Greiner, Christen könnten niemandem zur Selbsttötung raten.

"Das Gebot 'Du sollst nicht töten!' gilt auch für uns selbst. Wir Christen stärken andere zum Leben. Doch wir verurteilen niemanden, der diesen Schritt gegangen ist."

Mit Blick auf das aktuelle Leitwort der Woche "Leben schützen. Menschen begleiten. Suizide verhindern" verwies Greiner auf die seelischen Schmerzen, unter denen viele Angehörige nach einem Suizid oft lebenslang litten. Zahlreiche Mitarbeitende der Kirchen und aus Diakonie und Caritas leisteten präventiv und nachsorgend Hilfe und Seelsorge für Gefährdete und für Hinterbliebene. "Doch auch als Helfende sind wir keine Helden, sondern brauchen Hilfe und sind gerade dann hilfreich, wenn wir selbst gelernt haben, Hilfe für uns anzunehmen."

Der Bamberger Weihbischof Herwig Gössl warnte davor, Menschen in Krisensituation leichtfertig mit einfachen Antworten auf schwierige Fragen zu begegnen: "Da braucht es im Gegenteil jemanden, der ihnen mit Interesse und Feinfühligkeit zuhört", sagte Gössl laut vorab verbreiteter Pressemitteilung. Solche christlichen Zeugen für Menschen, die am Ende ihrer Kraft seien, gebe es auch in der Telefonseelsorge, in den Kliniken oder in den Beratungsstellen von Diakonie und Caritas.

Bischof Hanke: Licht in Dunkelkammern der Verzweiflung bringen

Suizid ist in der Gesellschaft nach Ansicht des Eichstätter katholischen Bischofs Gregor Maria Hanke immer noch ein Tabu. In Deutschland würden sich jährlich etwa 10.000 Menschen das Leben nehmen, sagte Hanke am Samstag beim ökumenischen Eröffnungsgottesdienst der "Woche für das Leben" in Schwabach. Hinter der erschütternd hohen Zahl stecke immer ein Menschenleben, mit einem oft langen Weg inneren Leidens, sagte der Bischof.

Die diesjährige Woche für das Leben fordere dazu auf, Anwälte und Förderer des Lebens zu sein und Licht "in die Dunkelkammern menschlicher Verzweiflung und Traurigkeit" zu bringen. Sensibilität für das Leiden habe aber in einer Welt der Perfektion wenig Raum, kritisierte der Eichstätter Bischof.

"Leiden gilt als Defekt, der allenfalls der Stoff für Optimierung ist, damit ökonomischer Erfolg und Perfektion gewährleistet sind".

Das Paradigma der fortwährenden Optimierung, Beschleunigung und des Erfolgsdenkens, könne die durch Bereitschaft, dem anderen zuzuhören, seine Probleme nicht herunterzuspielen und ihm die Botschaft zu vermitteln, wertvoll zu sein, gebraucht zu werden, durchbrechen.

Die evangelische Nürnberger Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern erinnerte ebenfalls daran, dass die Kirchen viel zur Stigmatisierung des Suizids beigetragen hätten. Bis in die 1970er Jahre seien vielerorts die, die Suizid begangen hatten am Rand des Friedhofs beerdigt worden. Die Begründung sei gewesen, sie hätten sich gegen sich selbst versündigt.

"Mit dieser Praxis sind die Kirchen schuldig geworden an den Gestorbenen, an den Angehörigen und ihren Leiden und an Gott und seiner Gnade", sagte die Regionalbischöfin.

Zur "Woche für das Leben" zeigt die Selbsthilfeorganisation AGUS ("Angehörige um Suizid") die Ausstellung "Suizid - Keine Trauer wie jede andere. Gegen die Mauer des Schweigens" in der Spitalkirche Kulmbach. Dort finden vom 5. bis zum 26. Mai mehrere Begleitveranstaltungen statt, unter anderem mit dem Bayreuther Suizidforscher Prof. Manfred Wolfersdorf.

Die "Woche für das Leben" wirbt seit 1994 für die Anerkennung der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des menschlichen Lebens in allen Phasen. Sie wird jedes Jahr zwei Wochen nach Ostern begangen.