"Wenn diese Wände sprechen könnten", sagt man, wenn man sich an historischem Ort einen Augen- oder Ohrenzeugen wünscht. In der Memminger Kramerzunft spricht derzeit tatsächlich die Holzdecke – die war nämlich als einzig übriges Gebäudeteil dabei, als unter ihr Vertreter der Allgäuer, Baltringer und Bodenseer Bauern im März 1525 die "12 Artikel" formulierten. Die Forderung nach Freiheitsrechten in Europa also, die das "Haus der Bayerischen Geschichte" bis 19. Oktober in der multimedialen Ausstellung "Projekt Freiheit" in Szene setzt.
Schon vor 500 Jahren waren die Thesen ein "Medienereignis". So nennt der Berliner Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann den Bauernkrieg in seinem aktuellen Buch, das die Aufstände, die in den Jahren 1524 bis 1526 grob gesagt auf einem Gebiet zwischen Frankenhausen und Trient in nord-südlicher, beziehungsweise Trier bis Salzburg in west-östlicher Richtung stattfanden als "Teil der Reformation als ein epochales Phänomen" und "medial initiiert und inszeniert" beschreibt.
"12 Artikel" weiter verbreitet als Luthers Schrift
War es damals der Buchdruck, der die Verbreitung der "12 Artikel" begünstigte, ebenso wie die wie eine detailliertere Ausführungsanweisung wirkende "Memminger Bundesordnung" – er bescherte den "Artikeln" eine größere Auflage als Luthers bis dato erfolgreichste Schrift "Sermon von Ablass und Gnade" aus dem Jahr 1518 –, so sind es heute andere Medien, mit denen die wirkungsreichste Publikation des Bauernkriegs lebendig wird.
In der Kramerzunft ist es eine Frauenstimme aus einer Surroundanlage, die von den Ambitionen der damals treibenden theologischen Kräfte Sebastian Lotzer und Christoph Schappeler erzählt und die mithilfe einer ausgeklügelten Lichtinstallation und einem Spot auf besagte Decke visualisiert wird.
Wenige Hundert Meter weiter findet man im für die Ausstellung extra innen umgebauten Dietrich-Bonhoeffer-Haus, das der evangelischen Kirchengemeinde gehört, neben einigen originalen Schriftstücken vor allem moderne Medien- und "Hands-on"-Stationen, die das sperrige und vor allem wenig Exponat-starke Thema "Bauernkrieg" den Besucherinnen und Besuchern näherbringen – auch den jüngeren.
Da verdeutlichen beispielsweise drei Gewichte, wie groß der durchschnittliche Ertrag eines Bauern war, wie viel diese ihren Herren abgeben mussten und wie viel am Ende noch übrig blieb. Eindrucksvoll, bedenkt man, dass die Bauernschaft vor 500 Jahren circa 90 Prozent der Gesellschaft ausmachte – und von den verbliebenen zehn Prozent, die sich in Bürger- und Adelsstand aufsplitterten, als primitiv und eher dem Tier nahe angesehen wurden.
Anderorts erzählt eine KI-animierte Holzskulptur an einer Hörstation vom Bildschirm aus, wie das damals so war, als nicht nur in Memmingen die Bauern für ihre Freiheitsrechte auf die Barrikaden gingen. Im nächsten Raum kann man seinen ganz persönlichen Stempel wählen, um ein Titelblatt für die individuelle Fassung der "12 Artikel" zu drucken – ein Verweis auf die zahlreichen Orte, an denen diese vervielfältigt wurden. Oder man lässt sich von den Bildern der Graphic Novel "Die Entstehung des Baltringer Haufens" an den Beginn des 16. Jahrhunderts zurückbeamen, aus dem auch die zwischendrin immer zu findenden Druck-Exponate und Handschriften stammen.
Reformatorische Interpretation bäuerlicher Forderungen
Insgesamt viel Farbe, viele bewegte Bilder und vieles zum Mitmachen – eindrucksvoll mit Sicherheit, und Lust machend, tiefer in die Geschichte des Bauernkriegs einzusteigen. Um dann festzustellen, dass die "12 Artikel" nicht nur eine Sammlung von Thesen sind, sondern die "dezidiert reformatorische Interpretation einiger bäuerlicher Forderungen, die durch biblische Referenzen christlich legitimiert werden sollten", wie Thomas Kaufmann schreibt.
Martin Luther, der nach anfänglicher Begeisterung für die freiheitlichen Ideen der Bauern schnell zu einem der schärfsten Kritiker avancierte, brachte der Geist, den letztlich seine Reformation hervorrief, zu immer wieder neuen Einordnungsversuchen. So deutet er im Ende Juli 1525 erschienenen "Sendbrief von dem harten Büchlein" den Bauernkrieg "rückblickend als Strafe Gottes" für die Verachtung des Evangeliums (Kaufmann).
Seine Kritiker wiederum witterten, dass Luther sich nur bemüht von den Bauern distanzierte. Der Dresdner Hoftheologe Hieronymus Emser warf ihm gar vor, seinen "Mantel nach dem Wind" zu wenden. Dass die Bauernhaufen letztlich aufgerieben wurden und die Aufstände rund 70 000 Menschen das Leben kosteten, habe Luther letztlich als Ausdruck des Zorns Gottes erklärt.
Ein "Happy End" kann daher auch die Memminger Ausstellung nicht bieten. Wohl aber erfüllt den Gast das Gehörte und Gesehene mit einem gewissen Stolz über den Mut und die Klarheit, mit denen revolutionäre Ideen schon 1525 formuliert wurden, die heute noch ihre Gültigkeit haben. Und der "sprechenden Decke" hört Groß und Klein einfach gerne zu.