Wer demnächst bei den Bundestagswahlen seine Stimme abgibt, sagen böse Zungen, hat bald danach nichts mehr zu sagen. Was daran stimmt: Dass Bürger nicht nur bei Wahlen ihre Stimme erheben, ist für Demokratien ebenso wichtig wie die Stimmabgabe selbst, vielleicht sogar wichtiger.

Damit künftig nicht mehr nur Großkonzerne wie Google, Apple, Microsoft oder Amazon Sprach­erkennung "können", bittet nun die US-amerikanische Non-Profit-Organisation Mozilla die Netzbürger um "Stimmabgabe". Das Ziel ist eine frei verfügbare Spracherkennungssoftware. Mozilla steht hinter freier Software wie dem Internet-Browser Firefox, der allerdings gegenüber dem kostenlosen aber kräftig Daten sammelnden Google-Angebot Chrome ins Hintertreffen geraten ist.

Gemeinsam die Stimme erheben

Spracherkennung bedeutet Macht und Zukunft. "Hey Siri, ruf Jan in der Arbeit an!" oder "Alexa, wie wird das Wetter?" heißt es schon heute. Spracherkennungssoftware wird eine immer wichtigere Rolle dabei spielen, wie wir mit Computern und dem Internet interagieren. Die Grundlage für "Künstliche Intelligenz" ist die Fähigkeit von Maschinen, Muster zu erkennen: visuelle wie Bilder, Formen, Schrift, aber auch akustische wie Sprache. Spracherkennungssysteme lernen deswegen mit: Je mehr Menschen sie benutzen und je feiner die gespeicherten Muster sind, desto intelligenter können sie darauf reagieren, was ein Mensch sagt, und erkennen, was er meint und will.

Alle diese Programme setzen menschliche Sprache in Text um. Schon allein die Anzahl der verschiedenen Dialekte in einer Sprache zeigt, wie komplex die Aufgabe ist. Maschinelle Spracherkennung muss zudem alle möglichen weiteren Störfaktoren bewältigen, Hintergrundgeräusche beim Auto- oder Zugfahren beispielsweise, schlechte Verbindungen oder dazwischenplappernde Kinder.

Gewaltige Datenschätze

Die gewaltigen Datenschätze, auf denen diese künstliche Intelligenz beruht, gehören derzeit Firmen wie Microsoft, Apple, ­Google oder Amazon. Die hüten ihre Schätze gut. Den technologischen Vorsprung lassen sie sich mit Geld oder noch mehr Daten bezahlen. Weil ihnen Plattformen mit großer Marktdurchdringung gehören, bestimmen sie die Regeln. Sie können so leicht Zensur ausüben. Heißt bei Facebook, dass Bilder der klassischen Kunst gelöscht werden, weil weibliche Brustwarzen tabu sind. Heißt bei Google: Was nicht angezeigt wird, ist praktisch unsichtbar.

Unterstützung erhalten Zensoren wie jene in China (wo man jüngst die Kinderbuchfigur Winnie Puuh aus dem Netz verbannte, weil Witze kursierten, die den Bären mit Präsident Xi Jinping verglichen) auch von ­Apple: Sogenannte VPN-Programme, bei Dissidenten beliebte Internet-Tunnel-Apps, sind soeben aus dem chinesischen Store verschwunden.

"Demokratisches" Ziel: Zukunft in eigener Hand

Nicht nur Netzaktivisten ist all das ein Dorn im Auge. Dass die Idee kollektiv entwickelter und frei nutzbarer Software etwas mit der Freiheit selbst zu tun hat, liegt auf der Hand.

Mozillas "Common Voice" ist ein sogenanntes Open-Source-Projekt – Entwickler und Nutzer aus aller Welt können sich beteiligen und die Software weiterentwickeln. Vor allem aber kann jeder, der einen Computer mit Mikrofon besitzt, mitmachen. Unter https://voice.mozilla.org oder über über die iPhone-App Common Voice kann man Aufnahmen der eigenen Stimme beisteuern oder eingereichte Stimmproben überprüfen. 10 000 Stunden solcher Sprachschnipsel sollen in den nächsten Monaten zusammenkommen – derzeit nur auf Englisch, aber weitere Sprachen sollen folgen.

Einem wahrhaft "demokratischen" Ziel dient also auch die Stimmabgabe beim "Common Voice"-Projekt: Es könnte dafür sorgen, dass die Maschinen, mit denen wir in Zukunft sprechen, uns selbst gehören.