"Jetzt bin ich sprachlos - und das kommt wirklich selten vor", sagt Leonhard F. Seidl. Der Fürther Schriftsteller ist platt, nachdem er erstmals das Filmporträt "Ich schreibe Romane und keine Flugblätter" gesehen hat. Nach rund 70 Minuten weiß der Zuschauer: Wenn es um Themen wie Menschlichkeit und Rechtsradikalismus geht, findet der 41-Jährige spannende und eindringliche Worte.

Geschichten zu erzählen und Figuren zu zeichnen, das ist Leonhard Seidl mindestens ebenso wichtig, wie Stellung zu beziehen. Schon in Teenager-Tagen, die er im oberbayerischen Isen als "politischer Punk" erlebte, brachte ihm das nahezu jedes Wochenende die Prügel anderer Jugendlicher ein. In seinem Erstlingswerk "Mutterkorn" hat er 2003 diese Phase verarbeitet. Es ist geprägt von seinen Eindrücken der TV-Bilder von Rostock-Lichtenhagen ebenso wie von den ersten Erfahrungen mit Drogen.

Leonhard F. Seidl hat Gespür für die Realität

Visionär sah Seidl in seiner Gesellschaftsbeschreibung Erscheinungen wie die NSU-Terrorzelle und V-Männer beim Verfassungsschutz voraus - und musste sich später Behörden gegenüber rechtfertigen, nicht doch ein "Wissender" zu sein. "Die Realität hatte die Fiktion überholt", gruselt sich Seidl auch heute noch.

Den Film haben Julia Thomas und Thomas Steigerwald vom Fürther Verein Medienpraxis dem engagierten Autor quasi auf den Leib geschneidert haben. Sie hatten Seidl auf einer seiner Lesungen nach Dorfen begleitet, wo er aus seinem neuesten Roman "Fronten" rezitierte. Darin geht es um einen Amoklauf, der sich im März 1988 in dem kleinen Städtchen in Oberbayern, nur wenige Kilometer von Seidls Elternhaus entfernt, zugetragen hatte. Auch hier werden fiktive Personen und Handlungsstränge um reale Fakten gewoben.

Und wieder hat Seidl einen geheimnisvollen Riecher: Noch während der Arbeit an "Fronten" tötet ein 18-Jähriger Schüler am 22. Juli 2016 im Münchener Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen. Und am 17. Oktober 2017 eröffnet ein sogenannter "Reichsbürger" in Georgensgmünd das Feuer auf mehrere Polizisten. Beide Handlungsfelder sind in Seidls Roman bereits entworfen, als tatsächlich solche Dinge geschehen. "Verblüffend", sagt Seidl, "aber das bestätigt mich, mit meinen Themen nah an der Realität zu sein."

Seidl studierte Sozialpädagogik

Beinahe hätte Seidl die Realität selbst aus den Augen verloren. In seinen "harten Punk-Jahren" setzten ihn die Eltern sogar kurzzeitig vor die Tür. Als junger Erwachsener reißt er sich am Riemen, studiert Sozialpädagogik, wird für seine an der JVA Ebrach entstandene Diplomarbeit "Beschriebene Blätter – Kreatives Schreiben mit straffälligen Jugendlichen" 2007 mit dem Preis der Stadtmission und der Evangelischen Hochschule Nürnberg ausgezeichnet. Regelmäßig hält Seidl Lesungen an Schulen und stellt Projekte mit den Schülern auf die Beine.

Seit rund fünf Jahren steht er Pate für die "Schule ohne Rassismus" am Laurentius-Gymnasium in Neuendettelsau und organisiert in Nürnberg das Büro einer Organisation, quasi als "Brotarbeit", wie seine Mutter es nennen würde. Auch der namensgleiche Papa Leonhard Seidl, von dem sich der Junior rein schriftlich durch ein "F." zwischen Vor- und Nachname unterscheidet, ist Schriftsteller. Wie die Eltern im Film sagen, sind sie nun stolz auf "ihren Leo".

Wenn dieser bei einer Demo gegen Polizeigewalt und Abschiebepraxis vor der Nürnberger Lorenzkirche wortreich sein Plädoyer für mehr Menschlichkeit abgibt, dann vermengen sich wieder der politische Aktivist der Jugend und der Mann des geschliffenen Wortes, wie er heute vor einem sitzt. Der Filmtitel, der ist übrigens ernst gemeint: "Ich will den Lesern nicht sagen, was sie denken sollen, sondern zum Nachdenken anregen", sagt der Fürther.

 

Wo "Ich schreibe Romane und keine Flugblätter" zu sehen ist

Der Film über Leonhard F. Seidl ist in zwei Teilen am 18. und 25. März (jeweils um 19.30, 21.30 und 23.30 Uhr) im Franken Fernsehen zu sehen. Mehr Infos finden Sie unter diesem Link.