Henning von Tresckow (1901-1944) hatte viele Facetten: Er war mondäner Bankangestellter, liebevoller Familienvater, gläubiger Christ und preußischer Militär. So schillernd seine Persönlichkeit war, so ambivalent wurde sein Widerstand gegen das NS-Regime von Historikern bewertet. Nun ist im Verlag Duncker & Humblot eine Biografie erschienen, die sich als "intellektuelle" Biografie des Widerstandskämpfers versteht.
Der Historiker Silvio Kobel widmet sich in seinem 500-seitigen Werk vor allem den bislang nur wenig erforschten Lebensthemen Tresckows. Er rekonstruiert prägende Ereignisse der Jugend und zeichnet den intellektuellen Werdegang des Adligen nach. Die Biografie schildert Henning von Tresckow als ebenso starke wie ambivalente Persönlichkeit, der sich zunächst für den Nationalsozialismus begeisterte, später aber zu einem entschiedenen Gegner des NS-Regimes wurde.
Henning von Tresckow: Geistige Grundlagen
Geboren wird Henning von Tresckow am 10. Januar 1901 in Magdeburg. Der Vater ist preußischer General, die Familie gehört mit ihrem Gutshof in Wartenberg (heute Chełm Dolny in Polen) zum brandenburgischen Uradel. Tresckow bleibt bis an sein Lebensende tief verbunden mit der märkischen Heimat. Das Gutshaus am Achtersee ist ihm Kraftquelle und Rückzugsort.
Mit 16 Jahren meldet sich Tresckow freiwillig bei der Preußischen Armee: Als Infanterist des Ersten Garde-Regiments kämpft er im Ersten Weltkrieg in Frankreich an den Ufern von Marne und Aisne. Die traumatischen Erfahrungen an der Front und das Kriegsende, der gesellschaftliche Umbruch und das Ende der Monarchie lösen in ihm eine tiefe Lebenskrise aus. Tresckow ist orientierungslos und verzweifelt: "Mir fehlt das zum menschlichen Glück und nützlichen Arbeiten unbedingte notwendige Ideal, welcher Art es auch immer sei", notiert er 1920 in seinem Tagebuch.
Tresckow kehrt dem Militär zunächst den Rücken und studiert Rechtswissenschaft in Berlin. Er beschäftigt sich mit Oswald Spenglers Konzept eines "nationalen Sozialismus", der auf einen autoritären Staat und preußischen Tugenden setzt, liest aber Ortega y Gassets soziologische Thesen über Eliten und die Anfälligkeit der "Massen" für populistische Ideen und Ideologien.
Er geht nach Kiel und studiert unter anderem am Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft. Nebenbei jobbt er an einem Hamburger Kontor. Mit 22 Jahren geht er zum jüdischen Bankier Wilhelm Kann nach Potsdam.
Henning von Tresckow: Vom Börsenmakler zur Weltreise
Als Börsenmakler erwirtschaftet er ein beachtliches Vermögen, mit dem er eine Weltreise finanziert: "Weiterer Horizont, Beziehungen und bessere Nerven sind die Endziele" dieser Reise, notiert er in seinem Tagebuch. Mit seinem Reisegefährten Kurt Hesse besichtigt er die französischen Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs, besucht die Londoner Westminster Abbey, überquert mit dem Schnelldampfer "Antonio Delfino" den Atlantik, durchquert Brasilien, Peru, Panama, Kuba und kehrt schließlich über die Vereinigten Staaten von Amerika nach Deutschland zurück.
Kurz nach seiner Rückkehr heiratet er Erika von Falkenhayn, genannt Eta, eine kluge und elegante Erscheinung, mit der er zwei Töchter und zwei Söhne großzieht. Erika wird im Widerstand zur engen Vertrauten und Verbündeten. Sie unterstützt ihren Mann "mit Rat, Kraft und Hilfe", wie Tresckows Sekretärin Margarethe von Oven später notierte.
1926 kehrt Tresckow als Offizier in die Reichswehr zurück. Er begrüßt die "Nationalsozialistische Bewegung" und sieht darin seine Vorstellungen von Führung, Gemeinschaft und ökonomischen Zielen erfüllt. In der Operationsabteilung des Reichswehrministeriums bekommt er Einblick in die aggressiven außenpolitischen Zielvorstellungen Hitlers. Die Blomberg-Fritsch-Krise im Jahr 1938, in deren Folge Reichswehrminister Werner von Blomberg und der Oberbefehlshaber Werner von Fritsch entlassen werden, sorgen für zunehmende Abneigung gegen das NS-Regime.
Die Willkür und Rechtlosigkeit, mit der das nationalsozialistische Regime agiert, bringen Tresckow zum Nachdenken. Als alle Versuche einer Einflussnahme scheitern und Hitler seine Ziele immer hemmungsloser verfolgt, reift der Entschluss, dagegen anzukämpfen. Es ist ein mühsamer, langwieriger Prozess, denn es gilt "mit allem zu brechen, was uns von den Vätern gelehrt und was mit der Ehre eines preußisch-deutschen Soldaten verbunden war", wie es einer der Mitstreiter aus dem Widerstand, Carl-Hans Graf von Hardenberg, beschreibt.
Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Tresckow entschließt sich, Widerstand zu leisten - unabhängig von der militärischen Lage. Für ihn galten zu diesem Zeitpunkt längst ganz eigene Werte, fasst der Biograf Kobel zusammen. Dazu gehören sein ausgeprägtes Elitebewusstsein, eine tiefe Religiösität und seine Bindung an die "Preußische Tradition", die er mit Werten wie Bescheidenheit, Moral und Pflichtbewusstsein verbindet.
Im März 1943, lange bevor Stauffenberg die führende Rolle im Kreis des militärischen Widerstands einnimmt, plant Tresckow das erste Attentat: Bei einer Lagebesprechung für eine geplante Offensive im Hauptquartier bei Smolensk soll Adolf Hitler erschossen werden. Das Attentat wird in letzter Minute abgesagt, weil Heinrich Himmler nicht erscheint.
Bei einem weiteren Versuch soll Hitler mit einer als Paket getarnte Bombe in einem Flugzeug in die Luft gejagt werden, doch ist es im Gepäckraum zu kalt, und der Sprengsatz detoniert nicht. Dann soll Hitler beim sogenannten Heldengedenktag im Berliner Zeughaus umgebracht werden. Doch verschwindet Hitler nach wenigen Minuten, und nur im letzten Moment gelingt es, die Bombe zu entschärfen.
Tresckow ist überzeugt:
"Das Attentat muss erfolgen, coute que coute. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig."
Im Sommer 1943 ändert er die Einsatzpläne für "Walküre", die als Grundlage dienen für einen geplanten militärischen Umsturz. Mit Graf Claus von Stauffenberg bekommt die Gruppe der Militärs, die Hitler umbringen und den Krieg beenden möchte, weitere Schubkraft.
Tresckow erfährt erst am Nachmittag des 20. Juli, dass das Attentat auf Hitler in der Wolfsschanze gescheitert ist. Weil er fürchtet, gefoltert zu werden und die Namen der Mittäter preiszugeben, erschießt er sich. Sein Leichnam wird am 27. Juli 1944 auf dem Familiengut Wartenberg beigesetzt.
Henning von Tresckow
Henning v. Tresckow: Prägende Jahre, geistige Grundlagen, Ambivalenzen
Verlag Duncker & Humblot, Berlin.
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