Tom Böttcher liegt in seinem Bett und möchte aufstehen. Wie von Zauberhand schlägt sich die Decke um, ein Schnitt, und der Schauspieler steht plötzlich im Bett und reibt sich die Augen.

Ein weiterer Schnitt und man sieht seine Füße, die - ohne auf dem Boden aufzusetzen - aus dem Bett hüpfen und in der Luft ein paar Schritte machen. Das Video, in dem der Hamburger sich wie eine Marionette bewegt, hat auf TikTok und Instagram zusammen mehr als sechs Millionen Aufrufe.

Schauspieler teilt Videos im Stil der Augsburger Puppenkiste

Dass die Bettdecke an einem Faden hängt, ist schnell zu erkennen. Die schwebenden Fußbewegungen dagegen erforderten einige Knobelei. "Es hat lange gedauert, bis ich eine Idee hatte, wie ich das machen kann", gibt Böttcher zu. "Es freut mich total, dass in den Kommentaren noch niemand meinen Trick herausgefunden hat."

Seit Oktober 2022 teilt der Schauspieler Videos im Stil der Augsburger Puppenkiste. Seine Follower können ihm beim Kaffee machen, Spazierengehen, Backen oder im Fitnessstudio als "Gym Knopf" zusehen. Besonders begeistert sind die Leute davon, wie authentisch Böttcher die Bewegungen und den Gesichtsausdruck einer Marionette imitieren kann.

"Das war immer so ein Partytrick von mir, bis mich eine Freundin auf die Idee gebracht hat, das bei TikTok online zu stellen."

Auch Klaus Marschall, Leiter der Augsburger Puppenkiste, findet die Videos toll. "Er macht das schon ziemlich gut. Wobei wir natürlich immer versuchen, mit unseren Marionetten am Boden zu bleiben", lacht er.

Dass 75 Jahre nach der Gründung der Puppenkiste immer noch junge Menschen begeistert vom Marionettentheater sind, überrascht ihn nicht. Die Vorstellungen in Augsburg seien bereits bis Mai fast ausgebucht. Bei einer Kapazität des Theaters von 220 Personen und 26 Vorstellungen haben sich allein im Januar mehr als 5.500 Gäste von den Geschichten für Groß und Klein verzaubern lassen. Am Jubiläumstag, dem 26. Februar, feiert "Rapunzel" Premiere.

Puppenkiste ist international bekannt

Nach Zahlen des Theaters kamen im vergangenen Jahr 22 Prozent der Besucher aus Augsburg, 15 Prozent aus dem weiteren Umkreis und 14 Prozent aus dem restlichen Bayern - knapp die Hälfte reiste also von weiter her an. Die Puppenkiste ist deutschlandweit und international bekannt, nicht zuletzt durch Kinofilme und Fernsehfassungen von Klassikern wie "Urmel aus dem Eis" oder "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer".

Dass das Publikum zurückkommt, war dabei keineswegs sicher. Lange musste das Theater wegen Corona geschlossen bleiben. Seit einem Jahr wird wieder durchgängig gespielt, doch der Knoten platzte erst Ende 2022, wie Marschall erzählt. "Als im November die erste Weihnachtsvorstellung ausverkauft war, ging es plötzlich ganz schnell", erinnert er sich.

"Wie wir die Pandemie wirklich überstanden haben, werden wir aber erst in ein oder zwei Jahren wissen."

Das Puppentheater hält Marschall jedenfalls für ein zukunftsträchtiges Konzept. "Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass die Erzählgeschwindigkeit gerade für Kinder auch die richtige ist", sagt er. Die Magie liegt für den Theaterleiter gerade im Offensichtlichen: "Wir bieten ein unfertiges Bild an, das die Zuschauer vervollständigen müssen. Das regt die Fantasie an."

Augsburger Puppenkiste

Nach 75 Jahren und einer Pandemie verzeichnet die Augsburger Puppenkiste wieder ausgebuchte Vorstellungen. Ein kurzer Überblick über die großen Meilensteine:

26. Februar 1948: In der Puppenkiste geht zum ersten Mal der Vorhang hoch. Premiere hat das Stück "Der gestiefelte Kater".

1950: Das Marionettentheater inszeniert erstmals ein politisches Kabarett für Erwachsene. Diese Tradition gibt es bis heute.

1953: "Peter und der Wolf" ist die erste Fernsehproduktion der Puppenkiste.

1960-1968: Es folgen weitere Fernseh-Projekte wie "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer", "Kater Mikesch", "Der Räuber Hotzenplotz" oder "Bill Bo und seine Kumpane".

1969: Mit "Urmel aus dem Eis" wird eine der bekanntesten TV-Geschichten aufgezeichnet.

1976: "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" werden in Farbe gedreht.

1997: "Die Story von Monty Spinneratz" ist der erste Kinofilm der Puppenkiste. Die Geschichte der mutigen Kanalratte sehen knapp eine Million Kinobesucher.

2001: Das Puppentheatermuseum "Die Kiste" öffnet und zeigt die berühmtesten Marionetten der Augsburger Puppenkiste.

2016: Mit der biblischen Weihnachtsgeschichte bringt die Puppenkiste ein Bühnenstück als Film in die Kinos, 2017 und 2018 folgen weitere Kinofilme.

2018: Zum 70-jährigen Jubiläum wird der "Ring des Nibelungen" als zweistündige Abendvorstellung aufgeführt.

2020: Am 17. März müssen sowohl die Augsburger Puppenkiste als auch das Museum "Die Kiste" wegen der Pandemie schließen.

2022: Nach einer kurzen Öffnung 2021 und dem erneuten Schließen darf die Puppenkiste wieder Gäste begrüßen.

Marionetten begeistern noch junge Menschen

Tom Böttcher konnte ebenfalls erleben, wie sehr Marionetten auch junge Menschen noch begeistern. Viele Follower loben seine Schauspielkunst, aber bei einigen schwingen auch glückliche Kindheitserinnerungen mit. Er selbst habe am liebsten "Schlupp vom grünen Stern" geschaut, erzählt er.

"Sehgewohnheiten ändern sich immer, aber das Stilmittel von Puppentheater hat hunderte Jahre lang funktioniert und bleibt interessant."

Es biete eine erfrischende Abwechslung zum überall verbreiteten Hyperrealismus. "Man kann sich verzaubern lassen, dazu verführen lassen, eine Geschichte anzunehmen, obwohl die Mittel offen zugänglich sind."

Die Geschichten der Augsburger Puppenkiste sind nicht mehr so wie früher regelmäßig im Fernsehen zu sehen. Der letzte Kinofilm lief 2018, ein neuer ist noch nicht in Produktion.

"Wir brauchen die Eltern, dass sie ihren Kindern den Zugang zum Figurentheater weiter ermöglichen", wünscht sich Klaus Marschall für die Zukunft.

Er selbst möchte die Puppenkiste irgendwann an seine eigenen Kinder übergeben, die bereits mitarbeiten. Über das Aufsehen bei TikTok freut er sich und hat Tom Böttcher zu einem Besuch nach Augsburg eingeladen.

Dort kann sich der Schauspieler sicher auch ein paar Tipps für das Spielen mit seiner eigenen Marionette abholen, die er kürzlich mithilfe eines 3D-Druckers und der Unterstützung handwerklich begabter Freunde in vielen Arbeitsstunden selbst gebaut hat. Sie sieht aus wie eine Miniaturversion des Schauspielers. "Ich übe viel mit der Puppe, aber da eine Lebendigkeit reinzubringen, ist unglaublich schwierig. Ich habe große Lust, einen richtigen Profi mal bei der Arbeit zu sehen", sagt der Hamburger voller Ehrfurcht. "Ich selbst bleibe dann doch lieber Schauspieler."

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