Hansi Flick ist nach Hennes Weisweiler (1919-1983) und Udo Lattek (1935-2015) der dritte deutsche Trainer jenes "FCB", der weltweit noch bekannter und belieber ist als der FC Bayern München. Beim bayerischen FCB holte Flick 2020 das Titel-Triple mit dem Gewinn der Champions League, der Deutschen Meisterschaft und des Pokals. Nun erhofft man sich in Barcelona ähnliche Wundertaten.
Mittelfeldstar Bernd Schuster (der "blonde Engel" aus Augsburg) spielte von 1980 bis 1988 hier. Von 1981 bis 1983 war Lattek sein Trainer. Hennes Weisweiler, der Borussia Mönchengladbach in den 70er-Jahren zu einer europäischen Spitzenmannschaft formte, scheiterte 1975/76 nach wenigen Monaten an Barcelonas kapriziösem Superstar Johan Cruyff. Der deutsche Keeper Marc-André ter Stegen ist seit 2014 in der katalanischen Metropole zum vielleicht besten Torwart der spanischen Liga aufgestiegen, und auch der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, Ilkay Gündogan, spielt künftig unter Flick.
Doch Deutsche standen schon ganz am Anfang der Vereinsgeschichte, die vor genau 125 Jahren ihren Anfang nahm. Und eine evangelische Kirchengemeinde spielte bei diesem Stück europäischer Fußballgeschichte eine zentrale Rolle.
"Unser Freund und Partner, Hr. Hans Gamper, von der Fußballsektion der Sociedad Los Deportes und früherer Schweizer Meister, sich wünschend in Barcelona einige Spiele zu organisieren, bittet jeden, der diesen Sport mag, ihn zu kontaktieren und dienstags oder freitags von 9 bis 11 Uhr abends in die Redaktion zu kommen."
Diese etwas schwurbelige Notiz erschien im Herbst 1899 in der spanischen Zeitung Los Deportes; sie gilt als die Geburtsanzeige des heutigen Weltclubs FC Barcelona. Statt Hans Gamper steht im Zeitungsoriginal "Kans Kamper" und statt Fußball "Foot-Vall", was ein schönes Licht darauf wirft, wie iberische Ohren deutsche Namen hören, und vor allem, dass der Fußball damals noch nicht in aller Munde war. Vielleicht war der Druckfehler der Grund, warum sich der Schweizer Hans künftig katalanisch "Joan" nannte. Als Joan Gamper wurde er jedenfalls zur Legende. Die "Ciutat Esportiva Joan Gamper" ("Joan-Gamper-Sportstadt") ist unter anderem nach ihm benannt, das Trainingsgelände des FC Barcelona, auf dem sich auch die berühmte Nachwuchsschmiede "La Masia" befindet.
Treffpunkt der fußballverrückten Protestanten
Gamper, am 22. November 1877 in Winterthur geboren, kam im Oktober 1898 aus der Schweiz nach Barcelona – aus Lust am Abenteuer und um Arbeit zu finden. Sein Onkel lebte dort bereits, er selbst fand einen Job als Buchhalter für eine französische Bank. Nebenbei schrieb er als Sportreporter für zwei Schweizer Zeitungen. Der junge Mann war sportverrückt. Schon in der Schweiz bestritt er Rad- und Leichtathletikrennen. Er spielte Rugby, Tennis und Golf – aber am liebsten kickte er, und das wollte er nun auch in Barcelona tun.
Fußball war damals noch ein sehr junger Sport. Im Deutschland von "Turnvater Jahn" wurde das Spiel als "englische Krankheit" und "Fußlümmelei" verächtlich gemacht. Gamper hatte in Barcelona einen ganz anderen Makel, der es ihm unmöglich machte, in den Vereinen Anschluss zu finden, die es bereits gab in der Stadt: Er war Ausländer, und vor allem war er nicht katholisch, sondern evangelisch.
"Kolonialwaren" und "Desastre del 98"
Dazu muss man wissen, dass in Spanien, besonders in den Metropolen dort, damals eine merkwürdige Zeit zwischen Erstarrung und Aufbruch herrschte. Einerseits betrauerte das Land den dort als "Desastre del 98" bezeichneten Untergang seines einst weltumspannenden Kolonialreichs im Spanisch-Amerikanischen Krieg. Andererseits herrschten dort noch immer die alten, sehr rigorosen katholischen und erzkonservativen politischen Verhältnisse.
Weil also niemand von den Einheimischen mit den Ketzern aus dem Ausland kicken wollte, kickten die eben miteinander. Der Ort, wo sie sich trafen, war die deutsche evangelische Gemeinde in Barcelona. Wobei: Genau genommen muss man von der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde reden, denn viele Jahrzehnte vor der Leuenberger Konkordie (1973) übersprangen Deutsche und Schweizer, Lutheraner und Reformierte in Barcelona bereits sehr locker nationale und konfessionelle Grenzen. Bei der Gründung der Gemeinde stand Pfarrer Fritz Fliedner (1845-1901) Pate, ein Sohn des großen Kaiserswerther Diakoniegründers Theodor Fliedner (1800-1864). Und auch die renommierte deutsche Schule in Barcelona geht auf diese evangelische Gemeinde zurück.
Schweizer und Deutsche
Hier lernte der fußballverrückte Gamper einen ebenfalls sportbegeisterten jungen Württemberger kennen: Kicken konnte Otto Helmuth Gmelin zwar nicht wirklich; aber er half als Schiedsrichter, wurde im jungen Fußballclub zur rechten Hand Hans Gampers – und schließlich zum ersten und bisher einzigen deutschen Präsidenten des Clubs. Gmelin kam aus einer alten schwäbischen Familie, die viele evangelische Theologen, Professoren und Naturwissenschaftler hervorgebracht hat. Die SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin ist eine entfernte Verwandte von ihm. Gmelin wurde 1876 in Wangen im Allgäu als dritter Sohn eines Richters geboren. Sein Großvater war der Stuttgarter Naturkundeprofessor und Theologe Oscar Fraas (1824-1897).
Nach Barcelona wanderte Otto Helmuth Gmelin aus, um dort als Importeur und Händler von "Kolonialwaren" sein Glück zu machen. Seit dem "Desastre" von 1898 war auch Spaniens bisherige karibische Schatzinsel Kuba futsch – mit allen ihren Reichtümern Zucker, Tabak und Rum. Zu lange hatte sich das erzkonservative Königreich allen Reformen verweigert. Als man den nach Unabhängigkeit strebenden Kubanern anfing Zugeständnisse zu machen, war es längst zu spät.
Hat das berühmte "Blaugrana"-Trikot Wurzeln in Heidenheim?
Im Gegensatz dazu befanden sich die anderen europäischen Großmächte gerade auf dem Höhepunkt kolonialer Machtträume. Das Deutsche Reich war erst in jenen Jahren zur Kolonialmacht "aufgestiegen", als man auf Kuba endlich die Sklaverei abschaffte (offiziell 1886). Im von den Kolonien abgeschnittenen spanischen Mutterland war der Bedarf an "Kolonialwaren" freilich ungebrochen. Und die wirtschaftlichen Folgen des Verlusts der Kolonien wirkten sich in der brummenden katalanischen Hafenmetropole verhältnismäßig gering aus. Es lohnte sich, dort Geschäfte zu machen.
In der evangelischen Gemeinde lernte Gmelin auch den aus Heidenheim stammenden Club-Mitgründer Otto Maier (1877-1965) kennen. Ihn hatte sein Arbeitgeber nach Barcelona geschickt: der Verbandmaterial- und Medizinproduktehersteller Hartmann. Maier war dabei, als man am 29. November 1899 im "Gimnàs Solé" den Verein offiziell ins Leben rief.
Frühe Professionalisierung
Aus dem heutigen Baden-Württemberg kam auch Eduard Schilling (1852-1925), der als Stürmer auf dem Platz stand, als der gerade gegründete Club Anfang Dezember erstmals ein Spiel gegen in Barcelona lebende Engländer bestritt. Schilling stammte aus einer zum christlichen Glauben konvertierten jüdischen Familie aus Waldshut. Mit damals 47 Jahren ist er bis heute der älteste Spieler, der ein Spiel für den Club bestritten hat. Getroffen hat der in Barcelona als Büchsenmacher erfolgreiche Schilling nicht, das Spiel ging 0:1 verloren.
Der deutlich jüngere Otto Maier spielte bis 1902 als Mittelstürmer. Und es könnte durchaus sein, dass der FCB seine berühmten Farben "blaugrana" (katalanisch für blau-scharlachrot) dem gebürtigen Heidenheimer verdankt. Denn das Logo "seiner" Firma Hartmann bestand aus genau diesen Farben. Otto Maier hat jedenfalls bis zuletzt Stein und Bein geschworen, dass die "Barça"-Farben dem blau-roten Logo der schwäbischen Firma Hartmann zu verdanken seien.
Andere Legenden führen die Vereinsfarben auf den Schweizer Vereinsgründer Hans Gamper zurück: Dieser habe sich von den Farben des Tessins inspirieren lassen, wo seine Schwester lebte, sagen die einen. Manche verweisen auf die identischen Clubfarben des FC Basel, für den Gamper zwei Spiele bestritt. Wieder andere verweisen darauf, dass Gamper den FC Zürich mitgründete und dieser in seinen Anfangsjahren sowohl in den Zürcher Stadtfarben Blau-Weiß als auch in Rot-Weiß antrat. Was stimmt, wird wohl ein ewiges Rätsel bleiben, auch weil sich Gamper vor seinem frühen Ende nie zu der Frage geäußert hat.
Fußball und Tennis
Der bei uns praktisch unbekannte Otto Maier Zeuner (1877-1965; nach spanischer Manier nennt man auch den Nachnamen der Mutter) schlug jedenfalls ebenfalls Wurzeln in der Stadt. Von Barcelona-Fans wird er geradezu kultisch verehrt. Bis zu seinem Tod am 6. Oktober 1965 lebte er als erfolgreicher Unternehmer in der Stadt. Sein Sohn Enrique "Bubi" Maier war als spanischer Tennisspieler und ‑nationaltrainer erfolgreich. Er gewann als erster Spanier 1932 im Mixed einen Wimbledon-Titel.
Damit schließt sich der Kreis zu Otto Helmuth Gmelin aus Wangen im Allgäu: Barcelonas erster und bisher einziger deutscher Präsident war einer der Gründer der Tennisabteilung des Vereins. Der wegen seiner Körperfülle als "Gran Otto" bekannte Gmelin spielte auch selbst, war aber vor allem als Schiedrichter und Tennisfunktionär aktiv.
Wappen, Hymne, erster Meistertitel
Als Vereinsgründer Gamper im Oktober 1909 von seiner ersten Amtsperiode als Präsident zurücktrat, wurde Gmelin zum Nachfolger gewählt. Gamper verblieb als Schatzmeister im Vorstand. Unter Gmelin erlebte der FC Barcelona die vorerst beste sportliche Saison seiner jungen Geschichte. Die katalanische Meisterschaft holte man ohne Punktverlust. Und erstmals wurde der FC Barcelona 1910 spanischer Fußballmeister, nachdem man im letzten Spiel gegen Español de Madrid einen 0:2-Rückstand aufholte. Geschenkt, dass ein rivalisierender Verband eine eigene Meisterschaft ausspielte (Meister: Athletic Bilbao). Heute sind beide Titel offiziell anerkannt. Das Titel-Triple unter Gmelins Ägide komplettierte der Gewinn des Pyrenäen-Pokals, der erste internationale Titel des Vereins.
Ein weiterer Höhepunkt der Saison war das allererste Spiel des FC Barcelona gegen ein Profiteam, die Cardiff Corinthians aus Wales, das der FCB 4:1 für sich entscheiden konnte. Die Paarung macht anschaulich, dass sich unter Gmelins Präsidentschaft die Strukturen des bisherigen Amateurvereins stetig weiter professionalisierten.
Um die sportlichen Erfolge der Saison zu feiern, wurde am 17. Juli 1910 die erste offizielle Hymne des FC Barcelona uraufgeführt. Komponiert hatte sie ein Galizier namens José Antonio Lodeiro Piñeiros (1868-1934). Sie machte den FC Barcelona zum ersten spanischen Fußballverein mit einer Hymne.
Ein Kreuz verbindet Barcelona mit dem Mutterland des Fußballs
Während Gmelins Präsidentschaft wurde zudem das heutige Wappen in Schildform eingeführt, das von Carles Comamala im Rahmen eines Wettbewerbs entworfen worden war. Es hat seither nur leichte Änderungen erfahren. Auch bei den Trikots gab es eine für die Fans bedeutende Veränderung: Die weißen Hosen, in denen man seit der Gründung des Vereins spielte, wurden durch die bis heute genutzten blauen ersetzt.
Nach einer elfmonatigen Amtszeit übergab Gmelin am 17. September 1910 das Präsidentenamt wieder an Gamper. Mit dem Schweizer an der Spitze des Vereins kehrte er noch einmal von 1911 bis 1913 als Mitglied in den Vorstand zurück.
Einen großen Teil seines Lebens hatte Otto Gmelin mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Bereits länger schwer krank, kehrte er für die letzten Monate seines Lebens nach Deutschland zurück, wo er am 17. September 1925 im Alter von nur 48 Jahren in Esslingen starb.
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