Bildhauer Otto Wesendonck über Himmel und Hölle

Der Künstler wohnt in einem alten Bauernhof  mitten im oberbayerischen Dorf. Im Garten stehen Skulpturen -  dynamisch geschwungene Formen aus glänzendem Metall von stattlicher Höhe. Der Bildhauer Otto Wesendonck lebt seit 1968 in dem beschaulichen Ort. Ursprünglich stammt er aus Dinslaken am Niederrhein. Nach einem Studium an der Folkwangschule in Essen ging Wesendonck an die Hochschule nach Berlin zu Bernhard Heiliger. Dort lernte er sein Handwerk - und die Begeisterung für die Bildhauerei und die Formen, die von Wind, Wasser, Luft oder Licht aktiviert werden.

Atelierbesuch in Waakirchen

Bei einem "Atelierbesuch" in Waakirchen begrüßt Wesendonck jeden Gast mit einem warmen, kräftigen Handschlag. An diesem Abend erzählt er ausführlich über seinen Lebensweg, seine Motivation als Künstler und seinem Bezug zum Glauben. Mit rastlosen Händen, die in der Luft die besprochenen Skulpturen nachzeichnen, erklärt er seine Arbeitsweise vom Entwurf bis zum fertigen Kunstwerk.

Den alten Bauernhof hat Wesendonck behutsam umgebaut. In der urigen Stube im Erdgeschoss steht eine Glasvitrine, in der kleine Figurinen um die Wette glänzen. Weiße Frauentorsi dienen als Raumtrenner zum hinteren Teil des Zimmers. An den Wänden, in Regalen und auf dem Boden stapeln sich Bücher über Kunst und Reisen, die erahnen lassen, wie intensiv sich der Künstler mit der Materie beschäftigt. Vor einem wärmenden Holzofen steht das Modell eines Schachbretts mit 9-18,5cm hohen Figuren aus Bronze. "Das war einer der ersten Wettbewerbe, an denen ich mich beteiligt habe", erzählt Wesendonck. Die Figuren des Schachbretts sollten rund zwei Meter groß werden, doch wurde die Idee leider nicht realisiert, weil die Auftraggeber fürchteten, dass die Figuren entwendet werden könnten.

Anders erging es Wesendonck mit einem weiteren Modell, dass in dem Raum steht: Der "Vesituuli"-Brunnen, dessen fünf Meter hohes Original aus Edelstahl und Bronze in Finnland zu sehen ist. Der Brunnen besteht aus einer großen rundgeformten Zunge, die an einem hohen Holm befestigt ist und als Pendel um eine bronzene Säule kreist. "Damit das Pendel nicht zu stark an die Säule stößt, taucht die Zunge ins Wasser und wird abgebremst", erklärt der Künstler die ambitionierte Konstruktion.

Gießerei für Skulpturen

"Und jetzt geht’s in die Hölle". Mit trockenem Humor fordert Wesendonck seine Gäste auf, ihm in die Gießerei zu folgen. Otto Wesendonck fertigt alle seine Arbeiten vom Entwurf bis zur Verwirklichung an. Das Handwerk gehört für ihn zum Beruf des Bildhauers: "Ohne geht’s nicht", meint er bestimmt, denn Kunst sei eben harte Arbeit.

In der Werkstatt wimmelt es von Geräten - Kabel, Sägen, Gipseimer, Gießformen, Brenner, Zangen und Flexgeräte. Mittelpunkt der Gießerei bildet eine Versenkung im Boden, in der über zwei Meter große Skulpturen gefertigt werden können. Dafür baute er eigens einen Heizölbrenner für den Schmelzofen um.

Blick ins Atelier

Auch wenn die Arbeit in der Gießerei mit großer körperlicher Anstrengung verbunden ist, möchte er dennoch nicht darauf verzichten. "Die Feuergewalt des Ofens brauche ich für mein Lebensgefühl. Mit Feuer habe ich sowieso schon immer gerne gespielt", sagt er. Harte körperliche Anstrengung fürchtet Wesendonck nicht. Selbst mit seinen 77 Jahren steht der Künstler gerne noch mit Männern aus dem Dorf in der Werkstatt, um Bronze zu gießen.

Wesendonck blickt auf eine sehr erfolgreiche Karriere als Künstler zurück. So gewann er bei zahlreichen Wettbewerben und konnte dadurch interessante Projekte realisieren. Zur Ruhe setzen will sich der Künstler nicht: Kürzlich reichte er einen Entwurf für ein Flößerkunstwerk ein, dass im Kreisverkehr in Wolfratshausen aufgestellt werden soll.

Von der Werkstatt führt Wesendonck seine Gäste direkt in den "Himmel": Im oberen Geschoss des alten Bauernhofs befindet sich inzwischen ein heller, hoher Raum. Dort stehen Skulpturen, Skizzen und Modelle, deren Bewegungsmechanismen von den Besuchern sofort ausprobiert werden. Hier balancieren und drehen sich Plasmide und ringförmige Plastiken auf steilen Pyramiden, dort pendeln Halbkugeln auf einander zu und wieder voneinander weg.

Wesendoncks Phönix

Ein Modell trägt den Namen "Phönix" und beschreibt die Dynamik und Verwendung von Naturkräften in der Kunst Otto Wesendoncks. Das zwölf Meter hohe Original in Oberhausen besteht aus Bronze und Edelstahl. Zwei silberne Flügel aus Edelstahl, an deren Spitzen sich Schaufeln befinden, pendeln an zwei Säulen aus Bronze. Die beiden Flügel werden von 20 Liter Wasser über die Schaufeln in Bewegung gesetzt. Das ausgeklügelte System ist eine Erfindung des Künstlers - es findet auch in anderen Werken wie dem "Yin-Yang-Brunnen" oder "Kern und Schale" Verwendung.

Zum Ausklang lädt Wesendonck seine Gäste zu einem Glas Sekt ein und öffnete dafür die Flasche, die er zum Anlass seiner Auszeichnung als Ehrenbürger der Gemeinde Waakirchen bekommen hat. "Es ist ja als Künstler immer wichtig, Feedback zu seiner Arbeit zu bekommen", erklärt er und hebt das Glas.

Philosophie von Otto Wesendonck

Seine Philosophie erklärt Otto Wesendonck wie folgt: "Große Bildkunst lehrt uns, mit den Augen zu denken. Sie kann uns mit ihren gestalterischen Kräften inspirieren und unser Leben mit Licht und Schatten, aber auch mit Lust erfüllen. Solche Antriebe brauche ich; denn Bildhauerei, wie ich sie mache, ist schwere Arbeit. Ich lasse nicht Bronze gießen - ich gieße Bronze bei 1200 Grad selber. Ich lasse nicht Edelstahl schweißen - ich schweiße tonnenschweren Edelstahl selber. Der ganze Entstehungsprozess – von der ersten Idee bis zu ihrer Vollendung bleibt in meiner Hand und vollzieht sich ungebrochen in meinem Atelier, in meiner Gieß-und Schweiß- und Ziselierwerkstatt. Bei der Umsetzung vom Modell ins große Format entwickle ich meinen Entwurf weiter, ich lasse ergänzende Ideen in die Plastik einfließen, arbeite den Charakter stärker heraus und optimiere die Proportionen und die Durcharbeitung der endgültigen Form. Sie muss eine klare Aussage haben, meine Arbeitsspuren tragen, Lebendigkeit und Kraft ausstrahlen und über sich hinaus weisen. Meine bildhauerische Arbeit entsteht aus meiner Leidenschaft zum lebensvollen Raum. Ich forme Abläufe und Entladungen von plastischen Energien und gieße und baue sie in rhythmischer Gestalt. Bronze und Edelstahl bilde ich so zu Trägern von Licht und Schatten, Bewegung und Zeit aus dem Bedürfnis, der Zeit einen Leib, ein Maß, einen Körper zum Anfassen und Begreifen zu geben – anders als in der Musik, aber wohl aus ähnlichen Beweggründen".

Atelier von Otto Wesendonck

Über Otto Wesendonck

  • 1939 geboren in Dinslaken am Niederrhein
  • 1957-60 Folkwangschule für Gestaltung in Essen-Werden.
  • 1960-67 Studium der Bildhauerei an der Hochschule der Künste in Berlin bei Bernhard Heiliger als Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes und Meisterschüler.
  • 1968-69 Erwerb und Umbau eines alten Bauernhofes zu Atelier und Werkstätten in Waakirchen in Oberbayern. Heirat mit Ragnvi, geborene Mietens.
  • 1970 Beginn einer Serie von Bronze-, Aluminium- und Edelstahlplastiken in monumentalen Größen
  • 1980-81 Einrichtung einer Werkstatt für experimentellen Kunstguss.
  • 1995 Aufnahme ins Reclams Künstler Lexikon
  • 1999 „Großer Kulturpreis der Sparkassenstiftung zur Förderung rheinischen Kulturgutes“