Das diesjährige Festival-Motto "Je ne regrette rien" ("Ich bereue nichts") ist eine Hommage an Édith Piafs ikonisches Chanson, das in Frankreich bis heute als Ausdruck von Lebensmut und Aufbruch gilt. Das Motto symbolisiert zugleich das Selbstverständnis eines Festivals, das mit klarem Blick in die Vergangenheit schaut und dabei unbeschwert französische Lebensart und musikalische Vielfalt feiert.

Am 20. Juni eröffnete das Orchestre Philharmonique de Radio France den Kissinger Sommer im Max‑Littmann‑Saal des Regentenbaus dann auch stilecht mit einem Programm, in dem Frankreich auf Deutschland traf – als ein musikalische Reise von Impressionismus bis Moderne. Das Konzert markierte zugleich den emotionalen Abschied des finnischen Chefdirigenten Mikko Franck, der nach zehn Jahren diese Saison verlässt. Der ließ sich als Zugabe nicht nehmen, mit Jean Sibelius´ "Impromptu 5" ein Stück seines Landsmannes zu präsentieren.

Von Debussy bis Strauss

Doch der Reihe nach: Claude Debussys "Prélude à l’après‑midi d’un faune", uraufgeführt 1894, leitete als poetisches Orchesterstück einst die impressionistische Musikrevolution ein. Seine fließende Struktur und sanfte Klangfarben symbolisieren den Aufbruch in eine neue Klangwelt. Die charakterstische Flöteneinleitung wird immer wieder in Fernseh- und Filmsequenzen verwendet.

Camille Saint‑Saëns Klavierkonzert Nr. 5 "Égyptien" (1921) steht exemplarisch für den französischen Exotismus. Saint‑Saëns ließ sich durch die dem Legenden zufolge 470 Meter tief gebohrte Thermalquelle inspirieren und integrierte nubische Gesänge, die er auf einer Nil-Fahrt hörte. Jean‑Yves Thibaudet, langjähriger Stammgast in Bad Kissingen, brillierte dabei mit lyrischer Exotik und klanglicher Brillanz

Dem folgte nach der Pause mit der deutschen Erstaufführung von Camille Pépin (*1990) "Inlandsis" ein zeitgenössisches Werk, das klangmalerisch das Abschmelzen der Gletscher nachstellt. Eine atemberaubende Reise, bei der auch ungewöhnliche Klänge erzeugt werden – beispielsweise, indem der Vibraphonist mit dem Geigenbogen über den Klangstab streicht.

Zum Schluss: Richard Strauss´ "Don Juan", eine Tondichtung mit kraftvoller, prägnanter Sprache. Darin schildert Strauss das Leben des legendären Verführers Don Juan. Im Zusammenhang mit dem Festival-Motto durchaus als ironisch-kraftvolle Replik ("nie fühl’ ich Reue") zu verstehen.

Beziehungen zu Frankreich seit 1960

Bad Kissingens Oberbürgermeister Dirk Vogel nannte die Gemeinsamkeiten der jüngeren und jüngsten Geschichte zwischen Frankreich und Bad Kissingen und erinnerte dabei an den 26. Mai 1960, als hunderte Kissinger Bürger begeistert am Bahnhof die Gäste aus der neuen Partnerstadt Vernon begrüßten oder an das Jahr 2021, als Bad Kissingen gemeinsam mit Vichy von der UNESCO 2021 zu herausragenden Kurorten in Europa ernannt wurden. "Bad Kissingen und Frankreich sind sich näher als wir dachten und denken", meinte Vogel.

Intendant Alexander Steinbeis betonte den inklusiven Charakter des Festivals, dessen Konzerte auch zeitversetzt im Kulturprogramm des Deutschlandfunks zu hören sind. "Wir sind mit dabei als Livestream im Rahmen unseres Projektes "Gesund mit Musik" verwies Steinbeis auf die  Orchesterkonzerte, die seit vier Jahren barrierefrei per Video-Livestream zu Patienten und Bewohner in Gesundheits-, Pflege- und Betreuungseinrichtungen gebracht werden. Indirekt appelliere die Initiative an Akteure und Personal im Gesundheitswesen, den Blick für die psychischen wie physischen Effekte von Musik im Gesundungsprozess zu schärfen.

Konzerte in der Erlöserkirche

Unter den rund 60 Konzerten sind auch einige in sakralen Stätten wie der evangelischen Erlöserkirche gegenüber der Wandelhalle zu finden: Am Donnerstag, 10. Juli, präsentiert das Instrumentalensemble "Les Arts Florissants unter der Leitung von William Christie Georg Friedrich Händels Oratorium "Il trionfo del Tempo e del Disinganno". Dieses Werk aus Händels früher italienischer Schaffensperiode lässt die personifizierten Phänomene Schönheit, Vergnügen, Zeit und Erkenntnis in einem Streitgespräch aufeinandertreffen

Ein besonderes Ereignis für die jüngsten Besucher ist das Kindermusical "Bileam und seine gottesfürchtige Eselin" am Sonntag, 13. Juli, um 9.30 Uhr. Die Kissinger Gospelkids und eine Musicaltruppe führen dieses Werk von Gerd-Peter Münden auf, das eine "coole Diskussion" zwischen Bileam und seiner Eselin aus dem 4. Buch Mose erzählt.

Der Sonntag, 20. Juli, ist ein Doppelfeiertag: Am Finaltag des Kissinger Sommers findet um 9.30 Uhr ein Kantatengottesdienst statt, bei dem Georg Philipp Telemanns Kantate "Jesus sei mein erstes Wort" erstmals auf modernen Instrumenten aufgeführt wird. Die Festpredigt hält Landesbischof Christian Kopp. Direkt im Anschluss, um 11 Uhr, weiht Kopp das neue LichtForum, das Haus der Evangelischen Kirche in der Von-Hessing-Straße 4, feierlich ein. Dieses neue Zentrum entsteht im ehemaligen evangelischen Pfarrhaus von 1858. Begleitet wird die Einweihung von einem Kurzkonzert mit dem Jugendchor PraiSing.

Geschichte des Kissinger Sommers

Der Kissinger Sommer fand erstmals 1986 in der damals strukturschwachen Kurstadt Bad Kissingen statt. Initiiert als Teil der Zonenrandförderung, hatte das Festival wirtschaftspolitische Ursprünge: Es sollte die leerstehenden Kureinrichtungen und Hotels in den Sommermonaten mit kulturellem Leben füllen. Das Festival hatte von Beginn an das Leitmotiv "Europa in Kultur", und jedes Jahr fungierte ein osteuropäisches Land wie Ungarn, Polen, die Tschechoslowakei oder die Sowjetunion als Partner. Damit wurde es zu einem kulturellen Brückenschlag zwischen Ost und West zur Zeit des Kalten Krieges. Nach dem Mauerfall weitete sich das Spektrum auf ganz Europa, Nordamerika und Asien aus.

Der Kissinger Sommer verbindet demnach kulturelle Brückenbildung (anfänglich Ost-West, heute global), architektonische und historische Stätten – darunter sakrale Räume mit reicher Geschichte – und innovative Konzertformate von traditionell bis modern. Die Kuranlagen, prägenden Kirchenbauten und das bewahrte Ambiente Bad Kissingens als UNESCO-Weltkulturerbe bilden das unverwechselbare Erlebnisumfeld.

Orchestre Philharmonique de Radio France
Das Orchestre Philharmonique de Radio France beim Eröffnungskonzert des "Kissinger Sommers" im Max-Littmann-Saal.

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