Ein oranger Sonnenschirm mit Tisch und Stühlen am Kirchenportal, daneben ein weißer Container mit roter Aufschrift: Utopia Toolbox. Vor St. Markus tost der Verkehr auf dem Altstadtring, die Passanten sind eilig unterwegs. Etwa 50.000 Menschen arbeiten hier zwischen Museumsviertel und Landesbank; selbst die Touristen haben ein straffes Programm, keine Zeit, zu verweilen – aber da ist dieser Container mit dem Schirmchen …

Kunstprojekt Utopia Toolbox in der Markuskirche

"Haben Sie noch ’nen Traum im Leben?" –  mit dieser Frage bremste Manuela Meilinger den Schritt so mancher Anzugträger. Die Mitarbeiterin der Evangelischen Stadtakademie brachte auf dem Pflaster vor der Kirche den Container des Kunstprojekts "Utopia Toolbox" ins Gespräch. Eine Woche lang lautete die Frage: Was willst du wirklich? Und was kannst du tun, um noch heute deinem Wunsch einen Schritt näher zu kommen? "Wir haben gemerkt, wie die Menschen auf diese Frage anspringen, wie wichtig es ihnen ist, sich äußern und eine Utopie für ihr Leben formulieren zu können", resümiert Pfarrer Olaf Stegmann.

Ausgedacht hat sich die "Utopia Toolbox" die Augsburger Künstlerin Juliane Stiegele schon 2010. Das Netzwerk der visionären Werkzeugkiste reicht mittlerweile bis in die USA und nach Taiwan. Es gibt eine Utopia-University, Werkzeugtage zu "Arbeit" oder "Mut", Ideen wie den Supermarkt "nur 1" und konkrete Projekte wie die Innengestaltung der Augsburger Kinderklinik. Und es gibt den Container, der als "temporäres Zukunftsministerium" die Menschen herausfordern will, ihre Zukunft bewusst und kreativ zu gestalten. 

Mut-Installation in der Markuskirche.
Mut-Installation in der Markuskirche.

Wer, vom Container angelockt, die Markuskirche betrat, sah das Wort "Mut" in riesigen roten Stoffbahnen in den Raum geschrieben. Dazu, je nach Tageszeit: Vorträge, eine Restauratorin bei der Arbeit, Filmvorführungen, Musik oder die "Werkstattgespräche" in der Mittagspause bei Pizza und Wein mitten im Kirchenschiff – zum Beispiel zur Frage, was man aus dem "Raum Kirche" denn nun am besten machen könnte. Orte der Stille? Mit oder ohne geschultem Gesprächspartner für Lebensfragen? Treffpunkte für die Bürgerschaft, mit Café und Bücherei? Oder soziale Zentren – Stichwort Vesperkirche?

Kirchen sind oft letzter Freiraum in der Stadt

Gunter Schaumann, Kirchenvorstand der 2010 aufwendig umgebauten und so flexibel bespielbaren Markuskirche, brachte es am Tisch unterm "Mut"-Appell auf den Punkt: "Wie variabel kann ein Nutzungskonzept sein, ohne den Kirchenraum zu zerstören?" Nicht allzu variabel, fand Moderator Ulrich Schäfert vom Mitveranstalter "Kunstpastoral" der Erzdiözese München mit Blick auf die Markuskirche: "Kunstkirche, Unikirche, Museumskirche – das ist eigentlich schon zu viel."

Die Architektin Stefanie Seeholzer verwies darauf, dass Kirchen oft der letzte Freiraum in einer Stadt seien, in der sonst "jeder Quadratmeter verkauft und vernutzt ist". Thomas Rossmerkel, Tourismusexperte der Landeskirche, nannte Ruhe und Entschleunigung "die Megatrends in der Tourismusbranche". Die Stille der Kirchen sei ein Schatz. Zugleich zeigten die Gästebucheinträge, wie groß oft die seelische Not der Besucher sei: "Neun von zehn Einträgen sind ganz persönliche Gebete." Künstlerin Juliane Stiegler bemerkte, dass Einsamkeit "ein Riesenthema der Gesellschaft" sei – und dass Kirchen diese Not mit temporären, offenen Gesprächsangeboten auffangen könnten.

Mini-St.Markus aus Rädern.
Mini-St.Markus aus Rädern.

Alles schon bekannt? Vielleicht, doch neu war hier, dass die Türen offen standen, dass der Kirchenrat mit der Architektin, das Gemeindemitglied mit der Künstlerin diskutierte. "Die Menschen, die hierherkommen, wollen alle was – nur treffen wir sie als Kirche sonst nie", fasste Mitveranstalterin Jutta Höcht-Stöhr von der Stadtakademie zusammen. Und auch bei Olaf Stegmann bleibt nach dem Utopia-Projekt als Fazit: "Die existenziellen Fragen verbinden Kunst und Kirche. Durch die Toolbox wurden sie zum Gesprächsthema im Stadtviertel – auch bei denen, die gar nicht gekommen sind."